
Teil 5/8 der Skizze einer Metatheorie der Teamdynamik (von Klaus Eidenschink)
Diener zweier Welten – wie geht das?
Ist die Leiterin oder der Leiter eines Teams Vertreterin der Organisation im Team oder Vertreter des Teams in der Organisation? Oder beides? Oder keines von beidem? Kann ein Team sich erhalten, wenn es den Interessen der Teammitglieder dient, ohne sich um die Organisation zu kümmern? Nein! Kann ein Team einfach tun, was die Organisation will, ohne sich um die Anliegen der Mitarbeiter zu kümmern? Genausowenig! Was aber, wenn die Anliegen von Organisation und Mitgliedern nicht zusammenpassen oder sich gar grundsätzlich widersprechen?
Willkommen im 4. Paradox der Teamdynamik: Leitprozess Teamerhalt
In vielen Organisations- und Teamtheorien werden m.E. die untilgbaren Konflikte zwischen den unterschiedlichen Systemarten – Person, Team, Organisation – unterschätzt. Das kann man daran erkennen, wenn die Zielvorstellungen mit allmeinem Konsens, Wohlfühlen und Wertschätzung aller für alles einhergehen. Alles wird als aggressionslos auflösbar angesehen, wenn man nur die passenden Prozesse, Strukturen und Kommunikationsformen pflegt. Alle können mit Purpose, kollaborativ, autonom, kreativ arbeiten, gleichzeitig wird das Produkt besser, ist schneller am Markt und hat mehr Marge. Ich möchte dazu einladen an dieser Stelle genauer hinzuschauen. Kann dies funktionieren? Wenden wir uns zunächst den Anliegen der Organisation mit Blick auf Teams zu.
Die Wünsche der Organisation an Teams
Organisationen nutzen Teams zur Bewältigung ihrer Ziele und Aufgaben. Damit sind automatisch Erwartungen verbunden. Diese hat das Team zu erfüllen, will es nicht Probleme bekommen. So weit, so gut und so weit auch nichts aufregend Neues. Soll ein Team diese Erwartungen erfüllen, ist es nötig sich diese genauer anzuschauen. Dabei lässt sich relativ leicht in der Praxis beobachten und theoretisch herleiten, dass organisationale Erwartungen zunächst mal in sich widersprüchlich sind (und sein müssen).
Im Wesentlichen sind es diese drei Polaritäten, die es jedem Team schwer machen mit seiner Organisation zurecht zu kommen:
- Einerseits erwartet die Organisation, dass das Team umsetzt, was seine Aufgabe aus Sicht der Organisation ist (innenorientiert) und auf der anderen Seite erwartet die Organisation, dass aus dem Team durch die Wahrnehmung relevanter Umwelten (außenorientiert) innovative Impulse, Ideen und Aktionen kommen. (Mehr siehe hier)
- Einerseits erwartet die Organisation, dass das Team sich in der Organisation flexibel zeigt und sich mit organisationalen Prozessen verknüpft und andererseits entkoppelt und unabgelenkt von anderen fokussiert seine Arbeit tut. (Mehr dazu hier)
- Einerseits erwartet die Organisation, dass das Team schnell die Ergebnisse abliefert und andererseits gründlich vorgeht. (Mehr dazu hier)
In allen Fällen liegt in den Erwartungen ein inhärenter Widerspruch und dennoch darf keine Organisation einen Pol oder ein Anliegen zur Gänze aufgeben. Daher muss die Organisation jedem Team in gewisser Weise auf die Nerven gehen.
Teams reagieren dementsprechend zwangsläufig in gewisser Weise allergisch: „Was kommt nun schon wieder von oben?“. Alle Impulse von „oben“ drohen die Teamautonomie zu begrenzen, eingeschwungene Zustände zu stören, beliebte Vorgehensweisen zu verbieten oder aus Sicht des Teams störende Aktivitäten zu erzwingen (z.B. Controllingreports!). Es ist daher alles andere als selbstverständlich oder leicht, die Organisation zu bedienen. Die Gefahr, die entsteht, ist, dass sich das Team spaltet: Der Teamleiter fühlt sich zuständig für die Interessen der Organisation, während die Teammitglieder sich für die Interessen des Teams stark machen. Wenn der Teamleiter sich nicht für die Organisation einsetzt, droht er sich oder seine Karriere eher zu gefährden. Daher ist es für den Erhalt des Teams von großer Bedeutung, dass alle gemeinsam für das Motivieren der Organisation Verantwortung übernehmen.
Nun ist das schon schwer genug, aber doch nur die Hälfte der Miete, da ja auch die Teammitglieder Anliegen mit ihrer Arbeit verbinden.
Die Anliegen der Teammitglieder ans Team
Mitglieder von Teams nutzen diese auch zur Erfüllung ihrer (menschlichen) Bedürfnisse. Auch damit sind aber nun Erwartungen verbunden. Diese hat das Team zu erfüllen, will es nicht Probleme bekommen. So weit, so gut und so weit auch hier nichts aufregend Neues. Weil aber die Mitglieder ganz und gar nicht „organisationsgerechte“ Interessen in Teams verfolgen, wird die Sache schwierig: Menschen wollen (potentiell) in Teams Anerkennung, Wertschätzung, Bestätigung, Sicherheit, Kompetenzgefühle oder zumindest keine Überforderungsgefühle. Sie wollen autonomes Arbeiten, welches ihnen trotzdem Orientierung gibt, einen schönen Arbeitsplatz und Aufstiegschancen (um nur das Wichtigste zu nennen). An sich ist die Liste endlos.
Dies bringt das Team in die Lage, dass es einerseits mit Interessen der Mitarbeiter überfrachtet zu werden droht und diese zwangsläufig aus Zeit- und Ressourcenmangel zum Teil frustrieren muss. Andererseits kann es die Bedürfnisse der Mitarbeiter nicht gänzlich ignorieren, da es auf deren Motivation angewiesen ist. Aus Organisationssicht ist prinzipiell alles Verschwendung, was nicht direkt der Leistungserbringung dient – wenn da nicht die Bedürfnisse der Mitarbeiter wären. Deswegen entkommt kein Team der Entscheidung, wo und wie es die Ressourcen Zeit und Geld nutzt, um die Interessen der Teammitglieder möglichst gut erfüllen zu können. Damit ist das Spannungsfeld aber noch nicht vollständig beschrieben.
Gehen wir von der (illusionären) Annahme aus, die Organisation würde dem Team endlose Ressourcen zur Motivierung der Mitglieder zur Verfügung stellen. Auch dann blieben massive Probleme, weil die seelischen Bedürfnisse von Menschen in sich polar sind. Die Psyche ist – wenn man so will – in sich ebenfalls zerrissen.
Es sind drei Polaritäten der psychischer Grundbedürfnisse, die ich hier in aller Kürze benenne (Mehr dazu hier):
- Bindung: Einerseits erwarten die Mitglieder, dass das Team Nähe ermöglicht und man sich im Team verstanden und aufgehoben fühlt, auf der anderen Seite erwarten die Mitglieder, dass es ihnen ermöglicht wird in Distanz zu anderen zu bleiben, sich nicht mit jedem anfreunden zu müssen, keinen „Zwang zum DU“ zu haben und in Ruhe seiner Arbeit nachgehen zu können.
- Selbstbestimmung: Einerseits erwarten die Mitglieder, dass das Team Freiheit ermöglicht und man im Team autonom und nach eigenen Regeln arbeiten kann, auf der anderen Seite erwarten die Mitglieder, dass sie mit Sicherheit versorgt werden, indem es klare Regeln für alle gibt, man weiß, wo es für alle hingehen soll, dass Gerechtigkeit herrscht und die Dinge transparent sind.
- Selbstachtung: Einerseits erwarten die Mitglieder, dass das Team Einzigartigkeit ermöglicht und man sich im Team hervortun darf und Anerkennung für individuelle Leistungen bekommt, auf der anderen Seite erwarten die Mitglieder, dass sie Zugehörigkeit erleben und damit stressige Konkurrenz wegfällt, man sich wechselseitig unterstützt und Minderleistung von allen kompensiert wird.
In allen Fällen liegt in den Erwartungen ein inhärenter Widerspruch und dennoch wollen die Teammitglieder nicht einen Pol oder ein Anliegen zur Gänze aufgeben. Dazu kommt, dass nicht alle Teammitglieder ihre Erwartungen aus Bedürfnissen ableiten, sondern viele auch aus Ersatzbedürfnissen, was weiteren – dysfunktionalen – Druck auf die Teamdynamik ausübt.
Enttäuschungszwang
Folgt man diesen Überlegungen stehen Teams – um es glasklar zu formulieren – unter Enttäuschungszwang. Sie können es nicht allen recht machen. Das lässt sich mildern, kaschieren, es fällt unter günstigen Bedingungen nicht auf oder nicht besonders ins Gewicht, aber prinzipiell ist es nicht auszurotten: Wenn ein Team alles für die Motivation der Mitarbeiter tut, frustriert es die Organisation (schon weil das Ressourcen verbraucht) und wenn es alles für die Organisation tut, dann bleibt die Mitarbeitermotivation auf der Strecke.
Ein Team braucht daher von seiner Organisation, die sie auch mitträgt, wenn nicht nur direkt an Effizienz und Effektivität orientierte Maßnahmen im Team praktiziert werden. Und das Team braucht Teammitglieder, die auch bei einer Teilfrustration ihrer Anliegen trotzdem motiviert arbeiten. Üblicherweise geschieht genau das im Alltag von Organisationen auch. Unter drei Umständen wird es allerdings schwer:
- Dann, wenn die Organisation sich sehr abhängig davon macht, dass ihr eigenes Interesse in jedem Fall bedient wird. Effizienzfixierte Organisationen werden den systemimmanenten Konterinteressen von Teams nicht gerecht und schaden sich auf diese Weise.
- Dann, wenn egozentrierte Mitarbeiter sich nur auf die eigenen Interessen fokussieren und die der Organisation außer Acht lassen. Gerade auch wenn Führungskräfte die Organisation für eigene Interessen ausbeuten, müsste das aus theoretischen – nicht moralischen – Gründen von Organisationen strickt verhindert werden.
- Dann, wenn es eine Teamleitung allen recht machen möchte, niemanden frustrieren kann und deshalb keine Entscheidungen trifft oder diese vor sich her schiebt, kommt es zum Stillstand. Das Team wird zum Esel, der zwischen den Heuhaufen verhungert.
Damit wird deutlich: In einer Welt endlicher Ressourcen gibt es nur die Wahl, welcher Umwelt das System „Team“ etwas schuldig bleibt: Den Mitarbeitern oder der Organisation. Für die Leitung eines Teams hat das massive Folgen, weil es zu einem dauerhaften Rollenkonflikt führt. Die Leitung gefährdet ihren Rückhalt bei den Teammitgliedern, wenn sie als Vertreterin der organisationalen Interessen im Team auftritt. Andersherum droht sie den Rückhalt der Organisation zu verlieren, wenn sie sich als Vertreterin der Teaminteressen in der Organisation positioniert. Aus der Sicht dieser Theorie ist daher jedes Team insgesamt – also nicht nur der Teamleiter – mit der Aufgabe betraut, die Mitglieder auch dann noch motiviert zu halten, wenn die Organisation nicht so tickt wie gewünscht.
Und dann ist alles auch noch knapp
Organisationen verwalten knappe Ressourcen. Kosten müssen minimiert werden, das Budget soll eingehalten werden. Knappheit ist in gewisser Weise der Lebensraum von Organisationen, mehr einzunehmen als auszugeben ihre Überlebensbedingung. Das bedeutet für Teams, dass sie sehr selten aus dem Vollen schöpfen können, sondern mit weniger Budget, weniger Personal, weniger Platz, weniger Zeit, weniger XY auskommen müssen, als die Teammitglieder sich dies als Personen und aus fachlicher Sicht wünschen. Ressourcenknappheit ist für die Mitglieder des Teams demnach nicht tilgbarer Stress. Es ist wie Kindergeburtstag mit 12 Kindern und 11 Stück Kuchen! Knappheit führt per se zu herausfordernden gruppendynamischen Situationen: Ängsten, Koalitionsbildungen, Abschottung, Verteidigung, Besitzwahrung, Pfründesicherung, Verteilungkämpfen, Neid, Eifersucht, Demotivation, Gier, Heimlichkeiten, Gewinner-/Verlierersituationen u.v.a.m..
Der Umgang mit dieser durch Knappheit erzeugten Stresswelt eines Teams muss als eine ganz wichtige Aufgabe der Selbststeuerung und Führung jedes Teams angesehen werden. Das kann selbstverständlich unter stabilen Bedingungen sehr im Hintergrund sein, aber die prinzipielle Herausforderung bleibt: Als Mitglied eines Teams braucht man hohe Frustrationskompetenz, damit man auch dann glücklich bleibt, wenn man weniger als gewünscht bekommt. Anderenfalls ist ein ständiges Leiden an der Organisation, ständiges Nölen über die Verhältnisse und ständiges Aufregen über die Ungerechtigkeiten der Firma die Alternative.
Fazit
Ich hoffe, es ist deutlich geworden, welche Herausforderungen ein Team in Organisationen zu bewältigen hat. Daher verwundert es tatsächlich ein wenig, dass die aus diesen Spannungsfeldern und Polaritäten erforderlich werdenden Kompetenzen nicht systematischer in Organisationen geschult werden. Man könnte dabei an Gelassenheit, Verzicht auf Vorwürfe, Frustrationskompetenz, Verzicht auf überhöhte Erwartungen etc. auf Seiten der Mitarbeiter denken. Auf Seiten der Organisation würde ein konsequentes Respektieren der Doppelrolle jeder Teamleitung, das Minimieren von „Durchregieren“ wollen und die Normalisierung von Konflikt in den Blick kommen.
Für Berater ist eine solche Teamtheorie hilfreich, erkennt man doch so Fixierungen, ungünstige Oszillationen, unrealistische Erwartungen und ungedeihliches Zusammenspiel von Erwartungsstrukturen sehr viel schneller. Somit kann man es gezielter ansprechen und für die Menschen in Organisation plausibel einordnen. Die Gefahr, dass man an ungünstigen, weil unerreichbaren Zielen arbeitet sinkt und auch die Wahrscheinlichkeit, ungünstige Ziele des Kunden einfach zu übernehmen.
Im Übrigen: Wir starten im Herbst eine Fortbildung, die auf unserem metatheoretischen Verständnis von Teamdynamiken aufbaut. Mehr dazu hier.
Teil 1 der Reihe findet sich HIER
Teil 2 der Reihe findet sich HIER
Teil 3 der Reihe findet sich HIER
Teil 4 der Reihe findet sich HIER