
Teil 4/8 der Skizze einer Metatheorie der Teamdynamik (von Klaus Eidenschink)
Jede Lösung schafft Verlierer, jede Einigung schafft ein Problem
In den bisherigen Artikeln hatte ich herausgearbeitet, dass Teams sich ständig dynamisch regulieren müssen, weil sie Ziele sowohl stabil halten als auch verändern müssen, und weil sie Verhaltensweisen und Kommunikationen der Mitglieder sowohl bestätigen wie negativ sanktionieren müssen. Nie reicht das eine, es braucht beides und es ist immer zu entscheiden, was von beiden gerade passend ist. So weit, so gut. Diese Herausforderung – zwei einander widersprechende Pole in jeder Gegenwart zu bearbeiten – hat einen weiteren Aspekt. Dieser kommt ins Spiel, wenn man sich mit der Bearbeitung von Zielen beschäftigt.
Es ist leider nicht damit getan, eine Aufgabe so zu erledigen, dass sie gut gelöst wird. Das ist nur die halbe Miete. Eine kleine Szene in einem Workshop mit Bereichsleitern eines großen Konzerns mag das illustrieren:
Zwei Bereichsleiter stehen am Stehtisch in der Pause zusammen. Sagt der eine: „Ich verstehe die Diskussion eben nicht. Die Lösung liegt doch auf der Hand. Warum entscheiden wir nicht einfach, es zu tun?“ Antwortet der andere: „Mann, bist Du naiv! Solange der Vorstandsvertrag unseres Chefs nicht verlängert ist, passiert an der Stelle sicher gar nichts. Das wäre viel zu riskant!“
Worüber informiert uns das? Viele würden sagen, dass das doch typisch sei für Leitungsteams oben in der Hierarchie: Überall wird nur Politik gemacht und das sachlich Richtige fällt unter den Tisch. Eine solche Wertung macht sich die Sache allerdings zu leicht. Wie viele Wertungen vermeidet sie die Frage, warum das Abgewertete eigentlich Bestand hat und welche hilfreiche Funktion es vielleicht haben könnte. Denn diese kleine Szene führt uns mitten hinein in die dritte Entscheidungspolarität, die ein Team zu bearbeiten hat – ob es will oder nicht.
Mit welcher Brille schauen wir?
Diese dritte Polarität, die zu bearbeiten ist, lautet: „Löst man Probleme oder bearbeitet man Interessen?“. Jedes Problem in Organisationen ist mit konfliktären Interessen behaftet. Dadurch muss jedes Team entscheiden, ob es sich darauf fokussiert, eine fachlich gute Lösung zu erarbeiten. Damit geht es jedoch immer auch das Risiko ein, am Ende etwas zu haben, was so viele Interessen verletzt, dass es nicht gewollt wird oder nicht durchsetzbar ist. Alternativ kann es darauf setzen, alle ins Boot zu holen und nach sinnvollen Kompromissen zu suchen (z.B. mit anderen Teams), um dann festzustellen, dass dieser Kompromiss das Problem nicht löst, sondern ständig neu entzündet.
Ein Fokus auf Problemorientierung allein reicht nicht
Bei der Wahl, ob ein Team Ziele in Richtung Problemlösung oder in Richtung Interessensorientierung bearbeitet, haben die meisten Teams (und Personen) Vorlieben. In der Systemtheorie nennt man dies „Entscheidungsprämissen“. Teams, die gerne Probleme lösen, lassen sich daran erkennen, dass sie sich über die sogenannte „Politik“ in der Organisation beklagen. Man glaubt ein Problem am besten zu lösen, wenn man eine schwierige, komplizierte und komplexe Aufgabe aus der sachlichen Dimension heraus betrachtet. Auf Grundlage dieser Entscheidung untersucht man die Aufgabe im Hinblick auf die Kompetenzen, die Ressourcen und die Zeit, die es braucht um sie zu lösen. Man generiert Lösungsvarianten, analysiert deren Vor- und Nachteile, wählt die fachlich beste aus und setzt diese dann um. Gerade für Ingenieure und wissenschaftlich orientierte Personen (und Teams) ist dies die bevorzugte Wahl. Man glaubt, dass wer inhaltlich, sachlich recht hat, auch recht bekommt.
Ist ein Team auf diesen Problemlösungspol fixiert, droht es allerdings trotz bester Arbeit nicht unbedingt Erfolg zu haben. Denn die von ihm vernachlässigten Interessenslagen führen dazu, dass andere Teams/Personen/Organisationseinheiten gar nicht, zu wenig, zu spät oder zu ungeschickt eingebunden werden. Man hat dann keinen Blick auf deren Bedenken, Ängste, Sorgen um Auswirkungen, Empfindungen von Konkurrenz, Neid, Eifersucht oder Kränkungspotentiale. Die sachlich beste Lösung ist daher oft „politisch“ nicht durchsetzbar.
Interessenorientierung reicht ebenfalls nicht aus
Nun gibt es Teams, die orientieren sich in ihrem Vorgehen am anderen Pol. Sie betrachten die definierte Aufgabe aus der sozialen Dimension heraus. Der Blick richtet sich in diesem Fall folglich darauf, welche Interessen überhaupt im Spiel sind, welche Interessen bedient und verletzt werden könnten und wer die mächtigen Akteure im jeweiligen Kontext sind. Ein Team, das seine Ziele auf diese Weise bearbeitet, versucht das eigene Interesse anderen als etwas zu verkaufen, das auch gut für die anderen ist. Funktioniert das nicht, sucht man Konsens oder Kompromisse. Man achtet darauf, das alle das Gesicht wahren können, hat mögliche Verlierer (oder die sich als solche sehen) konstruktiv im Blick und ist nicht sehr dogmatisch. Eventuell gibt man auch dort nach, wo man es sachlich für falsch hält. Besser ein schlechter Kompromiss als gar keiner lautet die Devise. Entsprechend setzt man seine Ressourcen dafür ein, umfassend zu kommunizieren, Schlüsselakteure zu „massieren“, zu werben und intelligente Zeitpunkte für bestimmte Botschaften abzuwarten. Das birgt die Gefahr, dass die Fachleute demotiviert sind, weil sie kein wirkliches Gehör finden, insbesondere dann, wenn sie sagen: „So darf/kann man das einfach nicht machen!“. Am Ende droht man – wie oben schon gesagt – zu einer Lösung zu kommen, welche das Problem nicht löst oder neue schafft (etwa Qualitätsmängel). Jeder kennt das!
Teams brauchen gemäß dieser Theorie also beide Fähigkeiten – Problemlösungs- und Interessensbearbeitungskompetenz – und sie brauchen die Kompetenz zu entscheiden, wann, wo und wie die beiden einzusetzen und anzuwenden sind. Dafür gibt es allerdings keine Regel, das geht nur situativ.
IQ und EQ brauchen ein Zusammenspiel
Hat man das verstanden, erscheint ein oft diskutierter Punkt in einem anderem Licht. Die Frage, ob Führungskräfte und Teams im Ganzen einen hohen Intelligenzquotienten auf der kognitiven Ebene oder emotionalen Ebene brauchen, um gute Leistungen zu erbringen, erübrigt sich. Man braucht beides, um sachgerechte Lösungen oder Ergebnisse in der Organisation durchzusetzen und akzeptabel zu machen. Oft wird suggeriert, dass nicht die Ziele, sondern die Menschen leiden würden, wenn ein Team oder eine Führungskraft nicht gut kommuniziert. Das halte ich eher für die Ausnahme – denn die Ziele leiden auch.
Wenn man im Blick hat, dass das Bearbeiten von Interessenlagen wesentlicher Bestandteil der Organisationsdynamik wie der Teamdynamik ist, dann darf man den Aufbau von Beziehungs- und Kommunikationskompetenz nicht mehr als Sozialromantik im Dienste humaner Arbeitsverhältnisse diffamieren. Emotionale Intelligenz und dialogische Fähigkeiten sind dann theoretisch wie praktisch dem kognitiven, handwerklichen und fachlichen Können gleichgestellt.
Beides ist nötig, um die Motivation der Mitarbeiter zu erhalten. Mitarbeiter wollen nicht nur angemessen informiert sein, sondern auch angemessen fachlich gefordert werden. Dazu brauchen alle im Team kognitive (IQ) wie soziale Kompetenz (EQ).
Zur Gestaltung von Meetings
Wenn beide Pole unabdingbar sind, dann hat dies zwangsläufig auch massive Folgen für eine der wichtigsten Arbeitsformen eines Teams: Meetings. Deshalb kommt der Struktur und dem Ablauf von Meetings für die im Paradox agierende Bearbeitung von Zielen eine besondere Bedeutung zu. Es ist hilfreich auf folgenden Punkte zu achten, um die Muster eines Teams zu erkennen bzw. um zu beobachten, wie es mit der Leitunterscheidung Problem versus Interesse umgeht:
- Zustandekommen der Tagesordnung
- Auswahl der Themen
- Reihenfolge ihrer Platzierung
- Bemessen der Zeitfenster
- Auswahl der Vortragenden
- Form der Vorabinformation
- Art und Weise des Vortrags
- Art und Weise des Zuhörens, Diskutierens und Entscheidens
- Atmosphäre des Meetings
- Gestaltung der Wechsel von Tagesordnungspunkt zu Tagesordnungspunkt
- Art und Weise der Dokumentation
- Art der Information über die Ergebnisse im Nachgang sowie
- Form des Nachhaltens der offenen Punkte und der Entscheidungen
Ein Tagesordnungspunkt kann aus Sachgründen besprochen werden, z.B. um etwas zu klären oder aus Interessengründen diskutiert werden, z.B. um jemanden vorzuführen und ein unliebsames Thema zu beerdigen – beide Varianten sind möglich. Meist weiß ein Team recht genau diese Informationen zwischen den Zeilen der formalen Dokumente zu lesen. Je verdeckter, je informeller, je unstrukturierter, je zufälliger die Leitunterscheidung im Meeting gehandhabt wird, desto mehr wird das Team mit informellen Prozessen, Intrigen und Phantasien beschäftigt sein. Dies bindet Zeit und Kraft.
Für jedes Team und jede Teamberatung sind aus diesen Gründen oben angeführte Punkte ein unabdingbarer Beobachtungsfokus.
Fazit
Man muss aus meiner Sicht die Interaktionsmuster eines Teams daher in Verbindung mit seinen Prämissen bringen, wie die Ziele bearbeitet werden. Nur so kann man dysfunktionale Fixierungen auf die Sachlage oder Interessenlage vermeiden. Ein Team muss frei entscheiden können, welche Gesichtspunkte in welchem Arbeitsschritt berücksichtigt werden müssen. Viele der im Moment so gepriesenen agilen Arbeitsformen bieten durchaus neue und intelligente Lösungen an, um den Gegensatz zwischen den benannten Bearbeitungspolen zu gestalten, weil sie einen permanenten Austausch über Stakeholderkonflikte und sachliche Arbeitsfortschritte strukturieren (siehe etwa die Scrum-Logik). Das ist nicht der schlechteste Grund sich mit New Work zu beschäftigen – jenseits von Hypes und Moden.
Wir starten im Herbst eine Fortbildung zum Thema. Mehr dazu HIER.