
Teil 3/8 der Skizze einer Metatheorie der Teamdynamik (von Klaus Eidenschink)
Kann man sich in Teams wohlfühlen?
Komische Frage? Ja, vielleicht. Denn jeder möchte das und viele haben es auch erlebt. Aber geht es auf Dauer, in jeder Hinsicht, für alle und ohne nachteilige Folgen für andere oder für die Organisation? Dann wird die Frage vielleicht schon begreiflicher. Nimmt man nun noch ins Kalkül, dass viele dauerhaft jammern, klagen und sich aufregen, egal ob das nun die Teamleiterin oder den Teamleiter oder Kollegen betrifft, dann finde ich, dass es genug Anlass gibt, über die Frage und ihre versteckten Implikate in Ruhe nachzudenken. Dazu braucht es zunächst einmal einen theoretischen Boden, der tragfähig genug ist, die Dynamik auf der interaktionalen Ebene so zu erfassen, dass er nicht seinerseits sofort wieder Wunsch- oder Zielvorstellungen mit sich führt, wie eine Gruppe zu sein hat. Diesem „Boden“ dient dieser Artikel.
Es teamt so schön im Reich der Wahrnehmung
Wenn Gruppen und Teams (zu diesem Unterschied siehe hier) nicht aus Personen, sondern ihren Beziehungen zueinander bestehen, wie kommen dann diese Beziehungen zustande? Was erzeugt die Bezogenheiten, die das „Medium“ sind, in denen die Mitglieder sich zurecht finden müssen? Am einfachsten kann man sich das klar machen, wenn man sich erinnert, was geschieht, wenn Personen sich zum ersten Mal in einer Gruppe zusammenfinden. Man beäugt sich! Man schaut, wer einen anschaut, und sieht, wer es bemerkt, dass man ihn oder sie anschaut. Manche sehen, dass andere sich anschauen und das wieder tun, während andere sich schwer tun, Aufmerksamkeit zu bekommen oder die eigene an den Mann oder die Frau zu bringen. Es bilden sich also Unterschiede. Diese können schnell stabil werden: Zwei oder drei haben sich dann „gefunden“ oder meiden sich konsequent. Es entstehen Bezogenheitsstrukturen. Die Regulation dieser Strukturen bezeichne ich im Kontext metatheoretischer Überlegungen zur Teamdynamik als den Leitprozess Interaktionsmuster.
Was braucht es, um dieses Geschehen am Leben zu halten?
Wenn Teams im Medium einer solchen wechselseitigen Wahrnehmung „schwimmen“, kann niemand der Wahrnehmung der anderen entkommen und – wichtig – man kann die anderen nicht nicht wahrnehmen! (Andre Kieserling hat das reflexive Wahrnehmung genannt). Alles hat in Teams potentiell Bedeutung, egal ob man spricht oder nicht, sich einmischt oder es bleiben lässt, egal welche Mimik man an den Tag legt, mit welchem Tonfall man spricht, welche Körperspannung man hat – um nur einiges zu nennen.
In Teams ist diese wechselseitige Wahrnehmung aller Mitglieder die grundlegende Form der Interaktion
Denn man kann sehen, dass man gesehen wird (oder nicht). Man kann verbergen, was man denkt, aber man kann nicht verbergen, wie es sich körpersprachlich ausdrückt, dass man etwas nicht ausspricht. Und der andere muss nicht bewusst reflektieren, dass jemand etwas nicht ausspricht. Aber er wird es subtil wahrnehmen und meist unbewusst auch darauf reagieren, etwa mit Verunsicherung und Vorsicht. Diese Vorsicht ist dann evtl. gepaart mit Phantasien: „Ich glaube, der mag mich nicht und traut mir nichts zu!“. Eine solche Phantasie prägt wiederum das eigene Ausdruckserhalten, auf das der andere wiederum reagiert. So bilden sich schnell sehr stabile Muster. Diese Wahrnehmungsvorgänge laufen im Übrigen auch am Telefon oder in Videokonferenzen ab.
Das Wahrnehmen der Wahrnehmungen anderer erzeugt somit Unterschiede, Selektionen, Vorlieben, Aversionen – also Einschränkungen von Freiheitsgraden. Da nun Menschen im Zusammensein mit anderen sich besonders gern mit den beiden Fragen beschäftigen „Bin ich drin oder draußen?“ und „Bin ich oben oder unten?“, werden die Wahrnehmungen (meist unbewusst) daraufhin ausgewertet. Dies ist für das Verstehen und Verändern von Interaktionsmustern in Teams jedoch besonders bedeutsam, weil eine Beschränkung der Beobachtung auf sprachliche Kommunikation eine dem Phänomen „Team“ vollkommen unangemessene Reduktion darstellt. Bei der Leitung und Beratung von Teams muss man diese zirkulären Formen aufeinander bezogener Wahrnehmungsvorgänge in den Blick nehmen und deuten,. Andernfalls bleibt man am Verhalten oder der sprachlichen Kommunikation kleben und verliert damit das eigentlich bestimmende Medium jeder Teamdynamik. Zugleich wird hier schon deutlich, wie anspruchsvoll und voraussetzungsreich ein Leben in Teams ist. Nicht alle Menschen haben die innerpsychischen Fähigkeiten mit diesem Medium zurecht zu kommen, da unausgesprochene, aber sehr wohl ausgedrückte Impulse für viele Menschen das wichtigste Material sind, um innere Phantasien und Ängste zu pflegen und mit persönlichen Projektionen die Beziehungen im Team stark zu prägen. Das ist wichtig im Auge zu behalten.
Teams erzeugen also – ohne auf sprachliche Kommunikation angewiesen zu sein – Sitten, Gewohnheiten, Regeln, Werte und Normen: Wie werden Informationen weitergeleitet? Welche? Wann? Wo? Wer bespricht mit wem Problematisches? Wie bekommt man Hilfe? Wie äußert man Kritik? Wie wird gefeiert und wie mit Niederlagen umgegangen? Wie mit Konkurrenz? Das sind nur wenige von vielen Fragen, die in jedem Team geregelt sind und die neue Mitglieder innerhalb weniger Tage „einatmen“, also registrieren, ohne dass darüber zwangsläufig kommuniziert werden muss. An der Auflistung dieser wenigen Fragen lässt sich schon ablesen: Teams kultivieren Unterschiede und fördern und erschweren damit gleichzeitig das Wohlbefinden ihrer Mitglieder.
Der innere Zwiespalt aller Mitglieder
Die Notwendigkeit diese Teaminteraktionsmuster zu bearbeiten führt nun zu einem paradoxen Effekt auf Seiten der Mitarbeitenden. Denn jeder Einzelne hat ein Interesse die Teammuster so zu beeinflussen, dass es das eigene Wohlfühlen verbessert und jeder möchte gleichzeitig (!) Wünsche anderer, die sein Wohlfühlen beeinträchtigen würden, eher verhindern.
Man gerät in die Situation das Team beeinflussen zu wollen und von ihm möglichst nicht unerwünscht beeinflusst zu werden
Das erfordert von jedem Lösungen, von denen man aber nie weiß, welche Nebenwirkungen sie haben: Wann gehe ich auf die Wünsche anderer ein, wann verweigere ich mich? Mit welchen Folgen für die eigenen Wünsche? Initiiere ich Gegengeschäfte a la „Wenn Du, dann ich, wenn ich, dann auch Du“? Suche ich Verbündete oder lasse ich mich auf Bündnisse ein? Jeder Vorteil droht auch Nachteile mit sich zu bringen. Es bilden sich Oszillationsbewegungen zwischen Polen: Anpassung und Aufbegehren, Zugehörigkeit pflegen und seine Einzigartigkeit im Team leben, Nähe und Distanz, Autonomie und Loyalität, Freiheit und Sicherheit.
Die Notwendigkeit von Bestätigung
Bei so viel Möglichkeiten und Unübersichtlichkeit ist es zu erwarten, dass das System „Team“ diese Komplexität reduziert und die Varianten zugunsten der eigenen Stabilität begrenzt. Deshalb braucht es Mittel, damit sich bestimmte Interaktionsereignisse wiederholen. Wie macht ein Team das? Es gibt dazu zwei Mittel: Bestätigung und Sanktionierung, da diese beiden Rückmeldungen in aller Regel für die Psyche der Mitarbeiter Reize darstellen, die diese nicht so leicht ignorieren (können):
- Wenn im Fluss des Wahrgenommen-werdens ein bestimmtes Verhalten als nützlich, als erwünscht, als möglich, als richtig, als angebracht u.a.m. von anderen Teammitgliedern markiert wird – wiederum nicht unbedingt oder gar ausschließlich verbal! – dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man das Verhalten wiederholt. Der Prozess der Bestätigung läuft zum einen oft implizit oder beiläufig ab und nimmt zum anderen dabei eine pfadabhängige Form an: Was etabliert ist, etabliert sich durch den Gebrauch weiter (analog zum Pfad auf einer Parkwiese, der – wenn etabliert – von fast allen instinktiv benutzt wird). Man weiß dann irgendwann, wer beim Chef beliebt ist und wer es schwer hat, wer unpassende Witze macht oder nicht mehr ganz ernst genommen wird. Es gibt zahllose solcher impliziten Muster in jedem Team; sie sind sehr stabil und können (wie alle Entscheidungen) funktional und dysfunktional sein.
- Zum anderen läuft der Prozess auch explizit ab, indem Erwartungen diffus („Sind Sie auch Ingenieur?“) oder konkret („Bei uns geht die Ablage so!“) ausformuliert werden. Über auf diese Weise kommunizierte Erwartungen bilden sich Regeln, Normen und Werte – zum Unterschied dieser drei Begriffe hier mehr – heraus.
Konflikte im Team sind unausweichlich
Nun nutzen Regeln, Normen und Werte nichts, wenn deren Missachtung folgenlos bleibt. Die Teamdynamik braucht somit Sanktionen, um für ihre Stabilität zu sorgen. Das kann ein schlichtes „Nein“ sein, ein scharfes „So nicht!“ oder eine hochgezogene Augenbraue. Je subtiler, desto wirksamer ist es, da die Verunsicherung auf Seiten des Wahrnehmenden höher ist: Man macht sich Gedanken und die Möglichkeiten der Gegenreaktion sind geringer. Wie antwortet man schon auf eine erhobene Augenbraue?
Die andere, noch massivere Möglichkeit zu sanktionieren, ist jemanden zu ignorieren. Da Interaktionen aus Bezogenheit bestehen, ist die Verweigerung der Wahrnehmung eines anderen vielleicht das mächtigste Mittel in Teamdynamiken. (Manche Menschen wissen wie es ist, wenn die Eltern nicht mehr mit ihnen gesprochen haben!). Dass Mobbing mit dem Mittel des Ignorierens arbeitet, verwundert daher nicht.
Gleichzeitig mit Sanktionen bildet sich im Team immer auch ein Muster aus, wer sanktionieren darf. Das sind nicht zwangsläufig (nur) die Personen, die Leitungsrollen innehaben, sondern durchaus auch „normale“ Teammitglieder. Die Sozialpsychologie präsentiert viele Forschungen darüber, wie vielfältig, unvorhersehbar und in jeder Gruppe anders die Regeln sind, nach denen Mitglieder sanktioniert werden dürfen. Bestätigen darf jeder, wirksam sanktionieren nur manche. Die meisten Menschen kennen das aus Schulklassen. Es gibt immer welche, die auslachen und die die ausgelacht werden.
Teams sind Orte für Abstimmungsprozesse
Diesen Prozess des Sanktionierens und Bestätigens kann kein Einzelner kontrollieren und steuern. Er ist autopoeitisch und ist im engen Sinn des Wortes eben ein Teamprozess. Alle Mitglieder sind Täter und Opfer gleichermaßen, sie sind systemtheoretisch gesprochen (unersetzliche) Umwelt dieser Selbstregulation des Teams. Somit haben wir nach der Regulation der Zielsetzung (Teil 2 der Serie) einen weiteren autonomen Selbstregulationsprozess von Teams herausgearbeitet: Die Regulation seiner Interaktionsmuster. Teams haben folglich dauerhaft Konflikte über erwünschtes und unerwünschtes Verhalten so wie Organismen Stoffwechsel haben – es geht nicht ohne! Teams (wie Gruppen im allgemeinen) mit der Erwartung zu belegen, sie sollten ein Ort des Wohlfühlens, der gemeinsam geteilten Begeisterung und der Wonne im Zusammenleben sein, erweist sich als naiv und illusionär, ja kontraproduktiv. Letzteres deshalb, weil es zwangsläufig zu Enttäuschung führt, selbst dann wenn alle Beteiligten mit höchster Gruppenkompetenz ausgestattet sind.
Fazit
So ist die Antwort auf die titelgebende Frage, ob man sich in einem Team wohlfühlen kann, einfach: Es hängt davon ab,
- ob man Konflikte mag und mit ihnen zurecht kommt,
- ob man die permanente Verunsicherung durch Wahrnehmung der anderen gut regulieren kann und von Bestätigung und Sanktionierung unabhängig ist,
- ob man Unterschiede in Beziehungen gut tolerieren kann und nicht in Neid und Eifersucht verfällt,
- ob man mit guten Gefühlen andere Personen Einfluss auf sich nehmen lassen kann und andere beeinflussen kann, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen,
- ob man mit Annäherung und Distanzierung von anderen gut zurecht kommt.
Man sieht, das ist alles nicht selbstverständlich. Eher ist es andersherum: Man muss damit rechnen, dass die Mehrzahl der Menschen mehr oder weniger beeinträchtigt ist, in Teams gut zurecht zu kommen. Und dann wäre die Antwort auf die Frage mit dem Wohlfühlen: Eher weniger…!
Bei all den Überlegungen war die Frage der Leitung von Teams bislang nicht im Fokus. Das liegt daran, dass es in gewisser Hinsicht nachrangig ist, ob ein Team mit oder ohne formale Leitung ausgestattet ist. Beides hat Vor- und Nachteile. Die Vor- und Nachteile bestimmen sich in engem Bezug zum Zielbearbeitungsdilemma des Teams, welches als Thema beim nächsten Leitprozess „Zielbearbeitung“ im Fokus stehen wird.
Teil 1 der Reihe findet sich HIER
Teil 2 der Reihe findet sich HIER
Jan V Wirth
Ein wirklich guter Artikel. Kompliment und weiter so! Jan V Wirth, Prof Dr