
Teamdynamik – ein Geschehen im Paradox
Teil 1/8 der Skizze einer Metatheorie der Teamdynamik (von Klaus Eidenschink)
In Zeiten agilen Arbeitens, Selbstorganisation, Krise der Hierarchie wird schnell das Lob der Teamarbeit gesungen. Ich finde auffällig, dass dabei sehr häufig primär über Begeisterung und Esprit, über die Chancen von autonomen, selbstbestimmten Arbeiten, über die Motivationskraft gemeinsamen Wirkens zu lesen ist. Alles prima, und dennoch beschleicht mich bisweilen der Eindruck, dass die herausfordernden Aspekte von Arbeiten im Team, über informelle Machtprozesse, Ausgrenzungen, Cliquenbildung, Koordinationsprobleme oder Enttäuschungspotenziale doch stark vernachlässigt werden. Zudem scheint die Beobachtung vieler schlechter Chefs (in guten Teams) dazu zu drängen, das Wissen um schlechte Teams (trotz guter Chefs) zu verdrängen. Wer unter Chefs und starrer Hierarchie schon gelitten hat, der möge es mit unkontrollierter Gruppendynamik in kooperativen Gemeinschaften versuchen. Meine 30 Jahre Erfahrung als Konfliktmoderator, Teamentwickler und Supervisor von Teams sagen mir: Es ist vielschichtiger als man möchte. Nicht umsonst kommen Forschungen um sog. High-Performance Teams nicht so recht voran und sind untereinander mehr als widersprüchlich (siehe als Beispiel unter vielen).
Dies nehme ich zum Anlass, mir wichtige Differenzierungen zu diesem Thema vorzutragen. Erneut nutze ich dabei eine Form der Theorie, die vor Gegensätzen, Paradoxien und unvereinbaren Polaritäten nicht zurückschreckt, sondern versucht, genau dies für ein vertieftes Verständnis vom Geschehen in Teams nutzbar zu machen. Damit mute ich den Lesern zu, dass am Ende keine alle Unsicherheiten tilgende Sicherheit zu finden sein wird, sondern ein facettenreiches Mosaik, welches jedoch für Phänomene in und um Teams herum ausgesprochen sensibilisiert. Wer Rezepte sucht, mag die Lektüre hier mit gutem Gefühl beenden. Alle anderen dürfen neugierig bleiben.
Team – was ist das?
Fragt man woraus ein Team besteht, erntet man in der Regel die Antwort „aus Menschen“. Das ist ebenso plausibel wie falsch. Warum? Teams haben weder Verdauung, noch Schuppen, noch sind sie gekleidet, noch können sie wahrnehmen, noch haben sie Bedürfnisse. Wenn also nicht die Gesamtheit „Mensch“ Element eines Teams ist, was dann? Am einfachsten kann man es an folgendem Beispiel klar machen: Ein Mann und eine Frau heiraten. Zwei Menschen, eine Beziehung! Sie bekommen ein Kind. Drei Menschen, drei Beziehungen! Jeder der das erlebt hat, weiß dass in der bestehenden Beziehung kein Stein auf dem anderen bleibt, wenn zwei weitere Beziehungen dazu kommen. Ein zweites Kind wird geboren. Vier Menschen, sechs(!) Beziehungen. Auch hier, die drei bestehenden Beziehungen verändern sich stark durch drei neue Beziehungen im System. 10 Menschen, 45 Beziehungen! Das bedeutet, dass eine Gruppe – auf den Unterschied zum Team komme ich noch – aus Beziehungen „besteht“.
Was mich zur Frage führt, was denn Beziehungen sind? Beziehungen entstehen aus Interaktionen von Menschen. Sie sind aber mehr als eine einzelne Interaktion, denn diese ist nicht zeitstabil. Aus Interaktionen werden Beziehungen, wenn Menschen wechselseitig Erwartungen an andere ausbilden. Damit begegnen sich zwei oder mehrere Erwartungen, die das eigene Verhalten wie das Verhalten der anderen an diesen Erwartungen ausrichten. Diese (Beziehungs-)Erwartungen verknüpfen sich, bilden ein für niemand durchschaubares Geflecht von Rückbezüglichkeiten. Niemand hat dies raffinierter dargestellt als der englische Psychiater Ronald Laing in seinem Buch „Knoten“:
„Wie klug muss man sein, um dumm zu sein? Die anderen sagten ihr, sie sei dumm. Also machte sie sich selbst dumm, um nicht sehen zu müssen, wie dumm die anderen waren zu glauben, sie sei dumm,weil es schlecht wäre zu glauben, die anderen seien dumm. Sie zog es vor dumm und gut, anstatt schlecht und klug zu sein. Es ist schlecht dumm zu sein: sie muss klug sein, um so gut und dumm zu sein. Es ist schlecht klug zu sein, weil es zeigt, wie dumm die anderen waren, ihr zu sagen, wie dumm sie sei.“ (R. D. Laing, Knoten, S. 29)
Über derartige und viele weitere Rückbezüglichkeiten entstehen stabile Bilder von sich und von anderen. Wenn man sagt Gruppen sind selbstorganisiert, dann bedeutet das, dass sie ihre Beziehungsmuster selbst organisieren. Kein Mensch kann das, auch keine Menschen. Das geschieht in der Gruppe, genauer: Dieses Geschehen ist die Gruppe. So kann man vielleicht erahnen, welch hohe Eigenständigkeit es hat, wenn „es gruppt“, und warum Gruppendynamik so stabil, ja resistent gegen Änderungswünsche sein kann, die einzelne Gruppenmitglieder äußern oder anstreben. Dieses „System Gruppe“ kann von keinem einzelnen Gruppenmitglied gezielt verändert werden, da niemand kontrollieren kann, wie seine Impulse bei andere ankommen und verarbeitet werden und welche Schlüsse Dritte aus den Interaktionen von A und B ziehen. Was durch die Erwartungen aller in fester Kopplung zueinander erschaffen wird, kann ein Einzelner – wenn überhaupt – nur verändern, wenn er sehr viel Einfluss besitzt. Diesen hat jemand in der Regel nur (!) dann, wenn er durch eine formale Sonderrolle – etwa Gruppenleiter – oder als unbestrittener Experte privilegiert ist, die Erwartung anderer zu irritieren. Das ist einer der Gründe, warum es so gut wie nie vollkommen symmetrisch ausbalancierte Machtmuster in Gruppen gibt. Solche Gruppen neigen nämlich zur Hyperstabilität, was nur in sehr stabilen Umwelten nützlich wäre. Sonst ereignen sich meist Brüche oder Zerfallsprozesse im Versuch Änderungen zu erreichen.
Alle weiteren Überlegungen basieren auf dieser Analyse: Gruppen bestehen aus Beziehungen, die zustande kommen, weil Menschen zeitstabile Erwartungen aneinander ausbilden und diese Erwartung explizit und implizit ausdrücken und aneinander wahrnehmen (siehe dazu sehr ausführlich A. Kieserling, Interaktion unter Anwesenden). Somit gerät jeder Mensch in Gruppen in ein System mit beschreibbaren Regeln, Normen, Werten, das sein Verhalten beeinflusst und verändert.
So entstehen wie von selbst Muster eines Netzwerks von Beziehungen, die aufeinander reagieren, einander beeinflussen, stören, unterstützen, erschweren, entmutigen, mit Konflikten versorgen, mit mehr Nähe oder Distanz, mehr Vertrauen oder Misstrauen versehen. All dies geschieht nicht ohne Personen, lässt sich aber eben nicht auf diese und ihre innerseelischen Motivlagen reduzieren. Damit sich solche Muster bilden können, bedarf es einer gewissen Zeit (vgl. die bekannte Teamuhr). Darum unterscheiden sich Gruppen von Menschenansammlungen. So entsteht das, was man Gruppendynamik nennt. Hier ist der Begriff Selbstorganisation absolut zutreffend.
Daraus lässt sich aber auch ableiten, dass Gruppen nicht endlos wachsen können. Wenn die Zahl der Gruppenmitglieder zu groß wird, werden die Passivitätszumutungen an den Einzelnen zu groß – man kommt einfach zu selten zu Wort – und es werden sich Untergruppen, Abspaltungen oder Abwanderungen ergeben. Rein aufgrund empirischer Beobachtungen scheint hier bei 12-15 Personen die obere Grenze zu liegen. Das ist auch irgendwie plausibel, da man in größerer Runde nicht mehr alle gleichzeitig wahrnehmen kann.
Nun ist nicht jede Gruppe auch ein Team. Ein Team bildet sich, wenn eine Gruppe eine gemeinsame Aufgabe beziehungsweise eine gemeinsame Zielsetzung bekommt. Es gibt einen gemeinsamen Aufmerksamkeits- und Handlungsfokus. Also etwa: Wir besteigen die Eigernordwand, wir rudern im Achterboot bei den Weltmeisterschaften, wir entwickeln einen neuen Motor oder sind in der Firma XY für das Marketing für Norddeutschland zuständig. Je loser die Themen und Mitglieder, desto mehr ist die Gruppe nur »Interaktionsereignis« (Bahnabteil), je fester die Themen (»Ziele«), Struktur (»Rollen«) und Mitglieder (»Ausweis«) sind, desto mehr ist die Gruppe ein »Arbeitsteam«. Diese Ziele können explizit sein, sie können aber auch eher latent und unausgesprochen sein.
Teams sind operative Paradoxien
Die Kernthese aller kommenden Überlegungen ist, dass Teams – wie alle Systeme – im Paradox handeln: Jede Handlung vernichtet gewissermaßen eine sinnvolle, alternative „Gegenhandlung“. Man kann nicht gleichzeitig etwas tun und nicht tun bzw. etwas tun und auch das Gegenteil tun. Teams machen grundsätzlich „Fehler“, weil sie z.B. nicht gleichzeitig
- jeden im Team an allen Fragen beteiligen können (=Partizipation) als auch dem Wunsch gerecht werden können, ohne Einmischung anderer in Ruhe arbeiten zu können (=Abkapselung),
- Konsens herstellen (=Identifikation mit dem Bestehenden) als auch Konflikt (= De-Identifikation zugunsten von Flexibilität ) sicher stellen können,
- die Unterordnung der Teammitglieder unter die Teamziele (= gemeinsame Ausrichtung) als auch die Individualität der Teammitglieder (= Sicherstellung der Kreativität) bedienen können,
- Motivation durch neue Ideen bei den Vertretern des Neuen (=Zerstörung von Bewährtem) als auch die Motivation durch Erhalt des Bewährten bei den Vertretern des Alten (=Verhinderung von Innovation) gewährleisten können.
Diese wenigen Beispiele sollen illustrieren, dass Handeln als Team – je nach Beobachtungsstandpunkt – immer richtig und falsch ist. Alles ist kritisierbar, könnte auch anders sein oder gemacht werden. Systemtheoretisch sagt man: Alles ist kontingent und führt seinen Selbstwiderspruch immer mit sich mit. Die problematischen Muster, wie Teams damit umgehen, sind unendlich: Wie sie sich verwirren, verfranzen, verzetteln, verfestigen, stagnieren, aufreiben, verzweifeln, verbittern, niedermachen, in Naivität wiegen, Scheinlösungen aushecken, falsche Zufriedenheit pflegen und Einseitigkeiten fixieren – oft allein deshalb weil der Mythos herrscht es könne so sein, dass alle zufrieden sind. Auch deshalb braucht es oft Beratung.
Auf dieser Basis will ich in den nächsten Wochen folgenden Foki zum Verständnis der Selbstorganisation von Teams darstellen:
Teil 2: Zielsetzung – Wie wird bestimmt, ob sich etwas ändert?
Wenn Teams ein Sonderfall von Gruppe sind, der sich dadurch definiert, dass es gemeinsame Ziele gibt, dann finden sich in jedem Team Muster, wie diese Ziele bestimmt, kontrolliert, stabil gehalten werden und wie sie hinterfragt, angepasst und verändert werden.
Teil 3: Interaktionsmuster – Warum nicht alles akzeptiert werden kann!
Jedes Team muss seine Interaktionsmuster auf Tauglichkeit im Hinblick auf diese Ziele gestalten. Interaktionsmuster bilden sich, weil in jedem Team ständig entschieden wird, welche Kommunikationen, Handlungen und Verhaltensweisen sanktioniert werden und welche bestätigt, bekräftigt und belohnt werden.
Teil 4: Zielbearbeitung – oder warum es nie nur um die Sache gehen darf!
(Team-)Ziele enthalten immer eine Paradoxie. Jedes Ziel erfordert sachliche Lösungen, die möglichst optimal sein sollen, und es bedient oder verletzt Interessen, die mit dem Ziel verknüpft sind. Dies führt zwangsläufig zum Konflikt zwischen Lösungsoptimierung und Konsensnotwendigkeiten, die für den unerlässlichen Interessensausgleich sorgen.
Teil 5: Teamerhalt – Der Diener zweier Herren ist immer im Konflikt
Wenn Teams ein Sub-System einer Organisation sind, verlieren sie einen Teil ihrer Autonomie. Daraus erwachsen für die Teamdynamik weitere anspruchsvolle Aufgaben, da das Team sowohl die Anliegen der Teammitglieder als auch die Anliegen seiner Organisation berücksichtigen muss. Diese stehen oft in direktem Widerspruch, so dass auch hier Entscheidungszwänge auftreten.
Teil 6: Teamgrenze – Drinnen oder Draußen?
Auch der Eintritt und Austritt aus dem Team ist in den meisten Organisation z.T. fremdbestimmt, was weitere Regulationsaufgaben mit sich bringt. Das Team braucht sowohl Bindung und Zusammenhalt als auch Offenheit für Wechsel von Mitgliedern. Auch hier bilden sich günstige oder weniger günstige Muster.
Teil 7: Teamreflexion – Über die Wichtigkeit von Transparenz und Intransparenz
Schlussendlich können nicht alle diese Fragen ständig und umfassend reflektiert und besprochen werden. Das würde jedes Team überlasten. Es muss also ausgewählt werden, welche Themen auf die Agenda kommen, besprochen und zur Entscheidung gebracht werden, und welche Themen einfach so geschehen…!
Teil 8: Kann man Teams beraten? – Ja, aber nur wenn man dabei keine Menschen im Blick hat
Wer in Teams nur mit den Motiven und kommunikativen Beiträgen der Mitglieder arbeitet, lässt wesentliche Aspekte des Geschehens unbearbeitet und außen vor. Es braucht die Kompetenz mit den Kommunikations- und Beziehungsmustern zu arbeiten. Was das bedeutet und wie das geht, wird im abschließenden Teil skizziert.
In Summe ergibt dies eine ultimativ verkürzte Darstellung unserer metatheoretischen Überlegungen zur Dynamik von Teams. Mehr dazu findet sich in unserem Theorie-Portal und wer Teamentwicklung aus nächster Nähe erleben und erlernen will hier.
Teil 2 der Reihe findet sich HIER
Teil 3 der Reihe findet sich HIER
Teil 4 der Reihe findet sich HIER
Teil 5 der Reihe findet sich HIER
Teil 6 der Reihe findet sich HIER
Teil 7 der Reihe findet sich HIER (demnächst)
Teil 8 der Reihe findet sich HIER (demnächst)