
Was ist der Zweck eines Teams?
Teil 2/8 der Skizze einer Metatheorie der Teamdynamik (von Klaus Eidenschink)
In der gegenwärtigen Diskussion um Sinn, Zweck, Purpose und New Work wird viel über Organisationen und Menschen gesprochen, eher weniger explizit über die Systemform „Team“. Das kann überraschen, ist doch ein Team dasjenige soziale Geschehen, welches – so die These – einen Zweck, ein Ziel braucht, damit es am Leben bleibt. Daher möchte ich heute diesen Aspekt genauer beleuchten. (Im ersten Teil der Serie hatte ich begründet, dass Teams nicht aus Personen, sondern aus Beziehungen „bestehen“).
Jeder, jede der/die Mitglied in einem Team ist, braucht Antworten auf Zweckfragen, wie: Wofür arbeiten wir zusammen? Weswegen treten wir zueinander in Beziehung? Warum tragen wir Konflikte aus? Wieso können wir zusammen Erfolge feiern?
Gibt es Antworten auf diese (und weitere) Fragen ist das der untrügliche Ausdruck dafür, dass aus einer Gruppe ein Team geworden ist. Gruppen können sich ihre Ziele selbst wählen.
Ein Team hingegen entsteht – so meine Definition -, wenn es ein gemeinsames Ziel hat, das in Teilen von seiner Umwelt bestimmt wird. Sein Daseinszweck erwächst daraus, dass es eine Aufgabe verfolgt, die einer alleine nicht lösen könnte und die mit externen Erwartungen – sei es Organisation, Inhaber, Verein etc. – an die Zielerreichung verbunden ist: „Ihr sollt dieses Produkt entwickeln, die Kampagne starten oder dieses Spiel gewinnen!“
Das Manövrieren eines Hochseeseglers, Basketballspielen, Kundendienst Norddeutschland, IT-Administration im Autowerk – allein ist das nicht leistbar. Zu komplex, zu schwierig, zu langsam, zu überfordernd. Eine eigentlich scheinbar banale Aussage. Ist es aber nicht. Denn mit dieser Einsicht geht automatisch ein Regulationsbedarf einher, dem sich kein Team entziehen kann: Es muss tagaus, tagein entscheiden, ob das Ziel (oder die Ziele), die ihm seine Identität verleihen, auch am nächsten Morgen noch gültig sind oder ob sie variiert werden sollen. Somit ist die Bearbeitung seiner Zielsetzung für jedes Team ein wichtiger Aspekt seines Selbstregulationsmusters. Diese Einsicht ist für Teamentwickler wie für Teams und deren Leitung für die alltägliche Praxis ungemein relevant, weil eben ein Team beide Kompetenzen braucht:
- Es erfordert Strukturen und Prozesse, um an vereinbarten Zielen festzuhalten. Das schränkt zwangsläufig die Autonomie jedes Teammitglieds ein! Darum ist die Selbstorganisation des Teams hoch strukturiert und keine freie Spielwiese für die Mitarbeiter.
- Es erfordert Strukturen und Prozesse, um vereinbarte Ziele zu verändern. Auch das greift zwangsläufig in vorhandene autonome Handlungsfelder von Teammitgliedern ein. („Jetzt so und nicht mehr so!“). Daran ändert sich nichts, egal ob eine solche Änderung über eine hierarchische Struktur oder über mehr Absprache unter Gleichen erzielt wird.
Das heißt, dass Arbeiten im Team immer gleichzeitig die Selbstbestimmung seiner Mitglieder einschränkt und sie frei macht etwas Bestimmtes zu tun. Diese Einschränkungen und Ermöglichungen bilden einen Aspekt der Teamdynamik, den wir in unserer Theoriebildung „Leitprozess Zielsetzung“ bezeichnen. Er beschreibt wie die Aktivitäten der Teammitglieder ausgerichtet, koordiniert und parallelisiert werden.
Welche Funktionen hat dieser Prozess für ein Team? Es sind dies vorrangig vier Aspekte:
- Fokus: Nur wenn ein (klarer) Fokus existiert, kann sich ein Team verbindlich darum versammeln. Fehlt der Fokus, verfällt das Commitment. Verfällt das Commitment, zerfällt das Team in Splittergruppen oder es vereinzelt und es entwickelt sich eine Art Gästementalität unter den Teammitgliedern („Hier macht doch jeder das, was er will!“)
- Konfliktbearbeitung: Ein Fokus gibt Orientierung darüber, welches die relevanten (Sach)-Konflikte sind, die mit der Zielsetzung einhergehen. So weiß man, worüber man zu streiten hat. Fehlt ein solcher Fokus, entwickeln sich Nebenkriegsschauplätze und die Sachprobleme werden folgerichtig personalisiert („Was weiß der denn schon!“).
- Wertbeitragsbeurteilung: Aus einem Fokus lässt sich ableiten, welcher Wert die Arbeit jedes Teammitglieds für die Erreichung des Ziels bzw. die Erfüllung der Aufgabe hat. Andernfalls werden Beurteilungen beliebig oder von Sympathie (oder anderen irrelevanten Bezügen) abhängig („Hier musst Du nur dem Chef/der Chefin gefallen, alles andere zählt nicht!“)
- Zeitkoordination: Ziele schaffen die Möglichkeit, in der zeitlichen Dimension Abfolgen, Fristen, Etappen und Endpunkte zu definieren. So können Aktivitäten zugunsten einer gemeinsamen Zukunft in der Gegenwart parallelisiert werden.
Die Regulation der Zielsetzung hat aber nun noch eine Reihe von weiteren Folgen, die ich beleuchten möchte, weil sich dadurch bekanntes Wissen besser begründen lässt.
Kommunikation über Ziele muss zirkulär sein
Die Art und Weise wie über Ziele kommuniziert wird, ist einer der wichtigsten Vorgänge in Teams (die ich mir als Berater entsprechend genau anschaue). Warum? Systemtheoretisch ist Stabilität immer ein zirkulärer, dynamischer, kontinuierlicher Prozess wie beim Fahrradfahren das Treten in die Pedale. Es ist nie eine einmalige Aktion mit klarer Ursache-Wirkungs-Kette.
Zielkommunikation darf daher (in komplexeren Arbeitsumgebungen) nicht die Form von Instruktionen haben. Der Satz „Mache es so!“ ist nicht zirkulär. Es findet keine kommunikative Rückkoppelung statt, und damit ist die Stabilität des Ziels gefährdet. Der Mitarbeiter bleibt dann auf der kommunikativen Ebene nicht Teammitglied, welches für das Ziel des Teams zuständig ist, sondern er wird ausführendes Organ (Roboter) einer einmaligen Instruktion des Anweisers. Man könnte sagen, der Teamprozess bricht zusammen. In etwas verdeckterer Form findet sich dieser Vorgang etwa beim Führen über (Jahres-)Ziele (MbO) wieder und zwar dann, wenn Mitarbeiter an dem am Jahresbeginn definierten Ziel festhalten, obwohl sie wissen, dass dieses schon längst sinnlos oder falsch geworden ist.
Ebenso ist es naiv oder auch sorglos, zu glauben, dass ein aufgeschriebenes oder ausgesprochenes Ziel dem Kriterium der Zirkularität genügt.
Zirkulär wird eine Zielsetzung dann, wenn alle im Team mit eigenen (!) Worten formulieren können, was sie selbst und die anderen im Team mit dem, was sie tun, zur Aufgabe des Teams beitragen.
Letztlich muss jeder im Team in jedem Moment seiner Arbeit Auskunft darüber geben können, für was und wen die momentane Tätigkeit gut ist. Man kann gelegentlich staunen, wenn man als Berater in Teams vor Ort umherläuft, wie wenig Mitarbeiter hier auskunftsfähig sind. „Ich mache halt das, was mir gesagt wurde oder was mir sinnvoll erscheint!“ ist dann das, was man zu hören bekommt. Mitarbeiter arbeiten Aufträge ab, kennen aber die Zielsetzung nicht.
Identifikation mit dem Ziel muss und darf unterschiedliche Stärken haben
Jedes Team ist darauf angewiesen, dass sich seine Mitglieder mit dem Ziel identifizieren. Nur so kann die Zielsetzung aufrechterhalten werden. Mangelnde Identifikation kann auf zweierlei Weise bearbeitet werden:
- Entweder werden die Ziele verändert, so dass alle im Team ja sagen können. Das setzt voraus, dass eine solche Einigung besser gelingt als beim alten Ziel und nicht andere nun demotiviert sind. Dies ist unter komplexen Arbeitsbedingungen oft aufwändig zu erarbeiten, weil viele denkbare Alternativen zur Disposition stehen. Zugleich geht das nur, wenn das Team einen Entscheidungsspielraum an der fraglichen Stelle hat, was nicht immer der Fall ist.
- Oder man sucht die Flexibilität auf Seiten der Mitarbeiter. Sie müssen dann inneren Spielraum gewinnen und ihre eigene Überzeugung darüber, was sinnvoll und passend ist, zugunsten anderer Überzeugungen oder Vorgaben zurückstellen oder aufgeben. Dies wird oft unterschätzt oder zugunsten einer bisweilen illusionären Hoffnung, dass immer alle aus vollem Herzen zustimmen können, kompensiert.
Deswegen ist es nötig, viele und sehr unterschiedliche Formen der Identifikation zu kennen und zuzulassen: Von Begeisterung über Sinnvoll-finden über „Ganz ok“ oder „Wenn ihr meint, dann bin ich dabei“ bis hin zu „Ich bin dagegen, aber ziehe mit, weil ich Schlimmeres verhindern will“. Die Vorstellung, dass alle immer vor Begeisterung brennen, ist ungünstig, da dann latente Kritik (und damit Veränderungspotential) aus dem Team verschwunden ist. Das ist tendenziell gefährlich. Überidentifikation (= Ein erreichter Konsens, wird sehr ungern in Frage gestellt) ist meist genauso dysfunktional wie Nicht-Identifikation. Aus diesem Grund gibt es kaum eine so wichtige Kompetenz auf Seiten von Teammitgliedern wie „I disagree and commit!“.
Teams entwickeln leicht eine konservierende Tendenz
Auf jedes Team wirken Kräfte ein, welche die vorhandenen Ziele in Frage stellen. Diese Impulse können aus unterschiedlichen Umwelten kommen: Die Hierarchie oben, neue Teammitglieder, andere Teams, Kunden oder Lieferanten wollen, dass sich etwas ändert. Weil kein Team sich in Dauerreflexion, Dauerdiskussion und dauerhafter Neuausrichtung aufreiben will und damit nur noch unzureichend zur Bearbeitung des bestehenden Ziels kommt muss es Routinen geben, sich gegen „Störungen“ abzuschirmen. Das passiert oft subtil und dient schlicht der Entlastung von Komplexität. Man lässt Anliegen von Außen abperlen, abprallen, depriorisiert sie, etc. Es ist wichtig zu sehen, dass eine solche Abschirmung genauso nötig ist, wie die im Moment unter dem Stichwort „Agilität“ hervorgehobene Veränderungskompetenz und Sensibilität für Kundenwünsche. Auch hier braucht es beides.
Weil Abschirmung nicht so leicht zu haben ist, hat dies die Folge, dass jedes Team eine Tendenz entwickelt, konservierend zu entscheiden. Das wird oft als Veränderungsresistenz oder als Unbeweglichkeit negativ bewertet. Doch allzu oft ist es nichts anderes als der Versuch, Ziele stabil zu halten. Eine einmal gewonnene Ordnung ist viel wert und wird daher in der Regel nicht leichtfertig aufgegeben. Die bestehenden Ziele und ihre Bearbeitung zu verändern, ist immer riskant. Niemand weiß, ob es wirklich nötig ist, ob man sich auf das Neue einigen kann, ob man kompetent ist, das Neue zu bearbeiten und erfolgreich zu gestalten. Die Mitglieder wissen nicht, ob sie im neuen Spiel ihren Platz behalten und ob dies für sie Chance oder Gefahr darstellt. Aus Sicht der Organisation ist unklar, ob die Mitarbeiter für das neue Ziel zu gewinnen sind und ob sie die erforderlichen Kompetenzen mitbringen.
Verändern des Ziels braucht akzeptierte Anlässe
Da die Welt sich nun mal verändert, muss das Team auch seine Ziele anpassen können. Was braucht es dafür? Um diese Entscheidung fällen zu können, gilt es herauszufinden, ob überhaupt Alternativen vorhanden sind, ob sie relevant sind und welche Auswirkungen es hat, sie zu ignorieren. Hierfür ist kontinuierliche Achtsamkeit bezüglich Veränderungen in den Umwelten nötig. Anderenfalls droht die erzeugte Stabilität zur Rigidität zu werden. Dann ist die Anpassungsfähigkeit des Teams eingeschränkt und sein Erhalt gefährdet. Es braucht demnach ein Entscheidungsmuster im Team, das regelmässig die Wahrnehmungen der Mitglieder über Veränderungen in den relevanten Umwelten einspielt. Es braucht einen Austausch über sachliche Neuigkeiten („Es häufen sich die Reklamationen!“), soziale Neuigkeiten („Die Konkurrenz lacht über uns!“, „Die Kundenwünsche ändern sich!“) und zeitliche Neuigkeiten („Diese Innovation dürfen wir nicht verschlafen!“). Solche Neuigkeiten nehmen sehr leicht die Form von Kritik an. Mitarbeitern oder relevanten Umwelten, die Änderungen ins Team einbringen wollen, wird leicht unterstellt, dass sie lästig sind oder gegen das Team arbeiten. Immunisierung gegen Kritik ist in Teams folglich eine permanente Gefahr. Auch hier lässt sich entgegenwirken, indem man solche Kommunikation durch Wertsetzungen erleichtert („Änderungswünsche sind erwünscht!“). Mir scheint, dass viele Methoden und Techniken im Umfeld von agilem Arbeiten genau diese Erleichterungsfunktion haben und daher so viel Positives bewirkt haben.
Oszillationen sind normal und nötig
Wenn in Bezug auf die Zielbearbeitung in Teams sowohl Stabilisieren wie Verändern Alltag sein muss, ist das Ausdruck einer Paradoxie. Deren Bearbeitung führt – wie bei allen praktizierten Paradoxien – mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu oszillierenden Effekten. Um ein Ziel zu stabilisieren, braucht es Konsens im Team. Diesen Konsens herzustellen, erzeugt jedoch sehr leicht eine Überidentifikation mit dem Ziel („Wir sind uns einig!“) . Wenn sich alle geeinigt haben (oder geeinigt wurden), sind in der Regel alle froh. Die Kuh ist vom Eis. Man hat oder ist entschieden. Wunderbar, oder? Das lässt sich solange genießen und ist solange sachlich erfolgreich, bis aufgrund sich ändernder Bedingungen neue Anforderungen an die Flexibilität des Team gestellt werden. Das erzeugt meist Konflikte, da ein Team sich selten einig ist, ob es überhaupt relevante Änderungsanforderungen gibt, ob diese bedeutsam sind, ob man darauf reagieren muss, ob man das kann oder darf etc.. Diese Konflikte müssen nun bearbeitet werden. Es entsteht also neuerlich die Notwendigkeit für Konsens.
Die oszillierende Reihe schaut demnach so aus: Konsens >> Überidentifikation >> Flexibilitätsnotwendigkeiten >> Konflikte >> Konsensnotwendigkeit >> Konsens >> usw.
Solche Oszillationen zwischen Entscheidungspolen werden in Teams häufig beklagt, weil sie so interpretiert werden, dass man nicht weiß, wo es lang geht oder was nun richtig ist. Man kann dieses Phänomen auch als Entfaltung einer Paradoxie in der Zeit interpretieren – und dann wird es zu einem untilgbaren Aspekt von Teamdynamiken. Teamziele führen zwangsläufig zu Bewegung in den Beziehungen der Teammitglieder.
Fazit
Die Auseinandersetzung mit Zielen führt in jedem Team zu einem Alltag, der nie ganz stabil sein kann und es doch sein muss. Dieser „Stoffwechsel“ im Team kann auf vielfältige Weise organisiert werden. Die Hoffnung, dass es da einen one best way gibt, halte ich für nicht haltbar. Das scheint mir auch der Grund, warum gänzlich unterschiedlich arbeitende Teams erfolgreich sein können und warum Erfolgrezepte in Teams so oft scheitern. So empfehle ich Skepsis und Nüchternheit, wenn mal wieder von Dreamteams, von Selbstverwirklichungschancen in Teams, von notwendigen Begeisterungsgemeinschaften u.ä.m. geschwärmt wird. Meist lässt sich so etwas nicht auf Dauer stellen und wäre auch gar nicht gut. Teams atmen gewissermassen zwischen Stabilität, Variation und Restabilisierung. Das macht manchmal Spass und mal weniger. Das zu wissen, hilft gelassen zu bleiben.
Im nächsten Teilen dieser Serie werden ich mich mit dem Aspekt der Teamdynamik beschäftigen, der die Beziehungen der Teammitglieder reguliert, also mit dem Interaktionsmuster des Teams: „Kann man sich in Teams wohlfühlen?“
Teil 1 der Reihe findet sich HIER
Teil 3 der Reihe findet sich HIER