Klaus Eidenschink
Konflikte und ihre Dynamik (Teil 3/12)
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Der Beschreibungsmodus
Sucht die Konfliktkommunikation die Vielfalt oder die Einfalt in der Beschreibung der Lage?
Die erste Leitunterscheidung der Konfliktdynamik
Es kann nur eine Wahrheit geben! Ist das wirklich so? Wer aber hat recht? Ein Merkmal von Konfliktkommunikation ist es, dass sie versucht dies zu klären. Warum eigentlich ist es so wichtig, dass einer recht hat oder bekommt? Die Antwort ist einfach und pragmatisch. Es ist nicht immer möglich, dass beide oder alle recht bekommen oder behalten dürfen. In solchen Fällen brauchen soziale Systeme eine Form mit der Situation umzugehen. Es gilt sich für eine Wahrheit zu entscheiden, damit man (gemeinsam) handeln kann, einen Fokus für den Einsatz von vielen Kräften und Ressourcen hat. In der Familie wird das Urlaubsziel entschieden, damit nicht der eine die Steigeisen, der andere die Luftmatratze einpackt, und man dann eins von beiden nicht braucht. Scheinbar ist das trivial. Aber es gibt immer wieder die Ansicht zu lesen, man könnte sich „Zweinigen“, also sachlich Gegensätzliches unter dem Mantel der Toleranz und Wertschätzung sozial einigen. Selbstverständlich gibt es Fälle, wo das geht. Besteht jedoch ein Zwang zur sachlichen (Wie? Wo? Was?) oder der zeitlichen (Wann?) oder sozialen (Wer?) Einigung, dann ist das keine Option.
Es braucht „EINfalt“, wenn ein soziales System sich EINigen muss. Oder – wenn eine bestehende „EINigkeit“ nicht mehr (von allen) akzeptiert wird und daher der herrschenden Einfalt eine andere, neue, möglicherweise bessere entgegengesetzt werden soll. Somit bewegen sich alle Konflikte in einem Modus, in dem die herrschende oder ungeklärte Ansicht darüber, was richtig, rechtens oder wahr ist, diskutiert wird.
Diesen Vorgang nenne ich in dieser Konflikttheorie den Leitprozess „Beschreibungsmodus“. Dieser Leitprozess bearbeitet die Paradoxie, dass es immer möglich ist, das Gleiche unterschiedlich und identisch zu beschreiben – aber eben nicht gleichzeitig und von allen und in jeder Hinsicht. Somit sind Konflikt dazu da, Stabilität im sozialen System (wieder) herzustellen, wenn es instabil ist („Wohin geht es in den Urlaub?“) oder die alte Stabilität in Frage gestellt wird („Nein, nicht schon wieder ans Meer, da waren wir doch jetzt schon so oft!“).
Das Wichtige daran ist, dass es grundsätzlich offen ist, ob Sturheit oder Nachgeben besser ist. Wenn der Klügere mit der besten Lösung nachgibt, dann ist das eben nicht klug. Wenn der mit der falschen Lösung sich durchsetzt, ist das dumm. Jeder weiß das im Grunde. In sozialen Systemen, die darauf angewiesen sind, schnell zu Sachentscheidungen zu kommen – etwa Unternehmen -, haben sich daher in Bezug auf diesen Leitprozess Tools entwickelt, wie man Konflikte austragen und begrenzen kann. Der Austragungsort könnte etwa ein Meeting sein, in dem die Spezifikation eines Produkts oder eine Marketingkampagne besprochen wird. Viele Beschreibungen des Sachverhalts – vulgo Meinungen – sind zu Beginn durchaus funktional. Die Begrenzung der Vielfalt entsteht dann jedoch durch
- einen zeitlichen Rahmen, der eingehalten werden muss,
- die Expertisen von Fachleuten, deren Aussagen mehr Gewicht bekommen als die anderer und
- am Ende durch eine Abstimmung, Konsensfindung, Kompromissbildung oder jemanden aus einer hierarchischen Rolle, der/die entscheidet.
Klingt einfach, ist es aber nicht, da die Positionen, aus denen heraus dieser Prozess beobachtet wird, in aller Regel sehr verschieden sind.
- Beschreibungsposition 1: Die einen – nehmen wir die zwei Teammitglieder, die mit einem Lösungsvorschlag ins Meeting gehen – haben diesen Vorschlag in einer vorab verschickten Präsentation verteilt. Die beiden haben schon am Anfang des Meetings EINE Meinung, wie die Lösung auszusehen hat. Vielleicht zu Recht?! Jedenfalls haben sie zu Beginn des Meetings keinen Konflikt, weil sie einer Meinung sind. Sie erwarten Zustimmung zu ihrem Vorschlag und sind entspannt und ruhig. Nun entwickelt sich das Gespräch mit allen im Team darüber so, dass von der Lösung abgewichen wird und eine – in ihren Augen – wesentlich schlechtere Variante aus der „Vielfalt“ des Möglichen verabredet und entschieden wird. Diese Lösung wird nun für die beiden zum Konflikt, weil sie von der eigenen Meinung am Ende abrücken sollen. Die gemeinsame „Lösung“ am Ende erscheint für sie so als Verlust der eigenen „Lösung“ am Anfang.
- Beschreibungsposition 2: Andere wiederum wissen schon zu Beginn des Meetings, dass sie der EINEN Lösung, die in der Präsentation vorgeschlagen wurde, andere Möglichkeiten entgegensetzen wollen und werden. Für sie ist die schnelle „einfältige“ Lösung der beiden Fachexperten im Meeting dysfunktional, da sie Aspekte dessen, wie sich diese Lösung an anderen Stellen ungünstig auswirken wird, gar nicht in den Blick genommen hat. Darum haben diese Teammitglieder schon am Anfang des Meetings einen Konflikt. Sie sind in Vorspannung und nervös. Darum kämpft(!) man für Vielfalt. Man will den Sack des schon vorgefertigten Lösungsvorschlags der beiden Kollegen wieder öffnen, weil man die gleiche Lage eben anders sieht und beschreibt. Lieber keine Entscheidung am Ende als eine schlechte, ist die Devise. Weil man sich inhaltlich dem Vorschlag der anderen verweigert, kommt es zu einem Kompromiss am Ende des Meetings, der alles andere als günstig ist, aber immerhin besser, als wenn sich das Ursprüngliche durchgesetzt hätte.
So wird auf beiden Seiten die Wahrscheinlichkeit hoch sein, dass der Konflikt weitere Modi heranzieht, um sich zu entfalten. Man wird beobachten können, das man einander blöd findet, die Kompetenz abspricht, nicht mehr zuhört, nur noch redet, feindlich wird, droht, beschuldigt und sich durchsetzen will (Ich komme zu allen diesen Möglichkeiten in den weiteren Folgen dieser Serie noch ausführlich zu sprechen). Im Effekt nimmt das Konfliktsystem so Fahrt auf. Hat Kommunikation sich für die Einfalt entschieden, dann schwindet bei allen beteiligten Personen die Einsicht, dass die Wahrheit immer vielfältige Gesichter hat. Alle werden einfältiger und versuchen die jeweilige Sicht des anderen aus dem Feld zu drängen. Diese Asymmetrie ist Konflikten (in allen Leitunterscheidungen) eigen. Die Einfalt nährt sich selbst, indem sie Einfalt erzeugt,
Das soziale System im Konflikt reduziert also Komplexität, indem es Vielfalt versucht in Einfalt zu verwandeln. So stiftet der Konflikt neue Ordnung.
Es gibt nun leider nur einen Weg, wie sich Einfalt durchsetzen kann. Es muss Verlierer geben. Diesen Satz werde ich hier im Laufe der kommenden Episoden noch öfters aufschreiben. Bei der Leitunterscheidung „Beschreibungsmodus“ heißt verlieren, dass Meinungen über den Streitpunkt aufgegeben werden oder zumindest nicht mehr als relevant gelten. Das bedeutet für die am Konflikt beteiligten Personen, dass sie sich von ihrer – die Vielfalt repräsentierenden – Meinung verabschieden müssen. Das kann zu Gänze geschehen, dann nennt man es Zustimmung. Es kann in Teilen geschehen, dann nennt man es Kompromissbildung. Bei Letzterem verliert also jeder in Teilen. Oft wird das anderes herum formuliert: Alle gewinnen etwas. Das halte ich für eher ungünstig. Denn: Die Kernkompetenz in Konflikten ist es – sollen sie nicht zum Dauerkampf oder Krieg führen – sich NICHT mit seiner Meinung zu identifizieren. Wessen inneres Empfinden von dem Satz geprägt ist: „Meine Meinung bin ich!“, der ist für Konflikte ein gefundenes Fressen. Aber dazu in einer der kommenden Folgen mehr.
Hier ist abschließend wichtig, dass man versteht, dass Ordnung, Strukturen, Regeln, Verfahrensweisen etc. immer viele Möglichkeiten ausschließen. Damit stellen sie Handlungsfähigkeit durch Vereinfachung her und sind gleichzeitig auch immer kritisier- und angreifbar. Will man etablierte Lösungen verändern, kommt es fast zwangsläufig zum Konflikt. Denn das Neue ist nicht zwangsläufig nur besser oder vernünftiger, auch wenn das meist so vertreten wird. Und schon hat man den Konflikt.
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