Klaus Eidenschink
Konflikte und ihre Dynamik (Teil 11/12)
Teil 1 – Teil 2 – Teil 3– Teil 4 – Teil 5 – Teil 6 – Teil 7 – Teil 8 – Teil 9 – Teil 10 – Teil 12
Der Machtmodus
Wird verhandelt oder gedroht?
Die neunte Leitunterscheidung der Konfliktdynamik
Jeder Konflikt kann versuchen über die Zukunft die Gegenwart zu beeinflussen. Die Leituntscheidung, die sich mit diesem Vorgang beschäftigt, nenne ich „Machtmodus“. Wer dem anderen günstige oder ungünstige Geschehnisse (oder deren Unterlassung) in der Zukunft versprechen kann, versucht ihn zum Verlieren zu bewegen. Anders als im „Erklärungsmodus“ gibt man den anderen nicht die Schuld (Vergangenheit), damit sie nachgeben, und anders als im „Zielmodus“ versucht man sich nicht (in der Gegenwart) durchzusetzen. Statt dessen droht man mit unangenehmer Zukunft (Hausarrest) oder dem Wegfall erwünschter Zukünfte (Kein Taschengeld). Der andere Pol dieses Prozesses ist, wenn die Zukunft ausgehandelt wird: Wirst Du mir geben, so werde ich Dir geben!
Mit diesen beiden Polen im Machtmodus werde ich mich gleich genauer beschäftigen. Zunächst braucht es allerdings eine kurze Erläuterung, was Macht ist. Denn ohne ein genaues Verständnis von Macht, kann man Konflikte kaum begreifen.
Macht wird verliehen
Wenn jemand versucht, Macht über mich zu bekommen, indem er mich mit dem Tode bedroht, wie kommt die Macht zustande? Macht entsteht nur, wenn ich dieser Drohung Bedeutung gebe! Sie wird dem Bedroher von mir verliehen, er hat sie nicht. Denn angenommen ich bin mit dem Sterben einverstanden? Dann zerfällt seine Macht zu Staub. Angenommen ich halte es für ausgeschlossen, dass er seine Drohung wahr macht? Dann zerfällt die Macht zu Staub. Ich bin es, der der Drohung Macht gibt, in dem ich mich davon abhängig mache, dass der andere seine Drohung nicht wahrmacht. In weniger drastischen Fällen – Drohung mit Kündigung, Trennung, Ausschluss aus dem sozialen Feld, Verrat von Geheimnissen, Rechtsstreit, Entzug von Ressourcen, Folter oder körperlichen Schmerzen, Verweigerung von Hilfe etc. – liegt es auf der Hand, dass Macht nur wirksam ist, wenn der Bedrohte entscheidet diese Drohungen für bedrohlich zu halten. Macht hat man nicht, sie wird einem gegeben. Das im Blick zu haben, ist entscheidend für ein Verständnis von Konfliktdynamiken.
Der Pol „Drohend“
Zur Erinnerung: Konflikte enden, wenn jemand den Verlierer macht! Solange das nicht geschieht, ruhen oder schwelen sie. Der Konflikt wartet auf den Racheschlag und Vergeltung. Drohungen versuchen den anderen zum Aufgeben, zum Verlieren zu motivieren, weil ihm sonst Schlimmeres droht. Die Drohung muss also in den Augen des Bedrohten (!) krasser sein als das Verlieren im laufenden Konflikt. Das kann der Drohende nicht wissen. Das ist das erste Risiko des Drohens. Die Drohung muss man auch wahrmachen können und wollen. Sonst schwächt man sich. Das ist das zweite Risiko des Drohens. Die Drohung verursacht meist eigene Nachteile und Kosten. Das ist das dritte Risiko des Drohens. Wer droht, droht nicht Einverständnis mit dem Verlieren zu ernten, sondern blosse Anpassung. Damit wäre keine neue (stabile) Ordnung erreicht, sondern nur aufwändig zu erhaltende Labilität – man muss z.B. das besetzte Land unter Kontrolle halten. Das ist das vierte Risiko des Drohens.
Trotz dieser Risiken – die alle ein Hinweis für dysfunktionale Aspekte des Drohens sind – wird in sozialen Konflikten sehr oft, ausgiebig und mit Eifer gedroht. Warum? Das hat einerseits Gründe, die in der Psychodynamik von uns Menschen liegen. Drohungen sind eines der wenigen Mittel Ohnmachtsgefühlen zu entkommen. Ohnmacht – ohne Macht – ist ein sehr unangenehmes Gefühl. Will man ihm schnell wegbekommen, bleibt nur die Flucht in die Drohung (oder gleich ins Drauflosschlagen). Damit lassen sich auch die vielen unsinnigen („Ich sprech nie wieder mit Dir, mein Sohn!“), widersinnigen („Wenn du gehst, bring ich mich um!“), selbstschädlichen („Wenn Sie den Termin nicht halten, dann muss ich das meinem Chef melden!“), aufwändigen („Wir sehen uns bei Gericht wieder!“), lächerlichen („Dann werde ich Dir immer das Essen versalzen!“) oder nutzlosen („Wenn Du nicht aufräumst, dann will ich Dich nie wieder sehen!“) Drohungen erklären. Die Drohungen sind nicht überlegt und auf das Gegenüber abgestimmt, sondern dienen innerpsychischen Zwecken.
Andererseits sind Drohungen so beliebt, weil der Konflikt auf diese Weise so leicht am Laufen zu halten ist. Sind erstmal Drohungen im Raum, dann weiß man, mit dem anderen ist nicht mehr zu reden. Dann kann man getrost mit Gegendrohungen reagieren. Das Konfliktgeschehen wird so übersichtlich. Der andere ist Feind (siehe Leitprozess Kontaktmodus), es ist nichts Konstruktives von ihm zu erwarten (Leitprozess Reaktionsmodus) und so kann man Drohungen senden (Leitprozess Aktionsmodus). Inhaltliches Argumentieren kann so unterbleiben. Das vereinfacht die Sache – zunächst.
Funktional sind solche Drohungen in zweierlei Hinsichten.
Zum Ersten: Der Konflikt braucht sie, um nicht zur falschen Zeit in Verhandlungen einzusteigen bzw. um aus nutzlosen Verhandlungen auszusteigen. Dann sind die Aufschaukelungen zu denen dann Drohung und Gegendrohung führen, eine notwendige Zwischenphase, bis beide Seiten dann erkennen, dass sie um Verhandlungen nicht drum herumkommen. Jeder hofft, seine Position durch Drohungen oder deren Umsetzung (Leitprozess Zielmodus) seine Position fürs Verhandeln zu verbessern.
Zum Zweiten: Bei etablierten, konfliktären Ungleichgewichten braucht es für die Unterworfenen oft Drohmöglichkeiten (z.B. Streiks in allen Varianten inkl. Hungerstreiks). Nur so kann – meist mitbedingt durch die darauf folgende Solidarisierung der Umwelt – in solchen Konstellationen bei den „Mächtigen“ die Bereitschaft erzielt werden, auf den Pol „verhandelnd“ zu wechseln.
Der Pol „Verhandelnd“
In den allermeisten Konfliktdynamiken kommt es irgendwann doch zu diesem Pol. Man verhandelt. Das dient der Klärung, wer in welcher Hinsicht und wann sich mit Verlust und Verlieren abzufinden hat. Diese Art der Aussöhnung ist selten nur mit guten Gefühlen verbunden. Auch hier braucht der Konflikt zum Herstellen neuer Stabilität die Verliererkompetenz der Menschen und Gruppen, derer er sich bedient hat.
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