Klaus Eidenschink
Dauerunglück in Beziehungen (Teil VII):
„An-Sager“ gepaart mit „Ja-Sager“
Was Paare ungünstig zusammenbringt und zusammenhält
(Hier die Links zum Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4 , Teil 5 und Teil 6)
Im siebten Teil schildere ich die moderne Form des alten patriarchalischen Musters, das sich für die (ungünstige) Stabilisierung von Beziehungen schon lange „bewährt“ hat. Jede Beziehung muss mit der Polarität von Dominanz und Unterwerfung – charmanter formuliert mit der Gegensatz von Einfluss nehmen und gewähren – umgehen. Das viel beschworene Ideal von Augenhöhe, Gleichheit und Gleichberechtigung dient aus meiner Sicht eher dazu, entstehende Einseitigkeiten in der Regulation von Macht zu überprüfen und zu korrigieren. Hier soll es nun aber darum gehen, wie es erklärbar ist, dass es nach wie vor Beziehungen gibt, in denen die Männer dazu neigen sich wenig in Frage zu stellen, und die Frauen dazu neigen sich aufzugeben. Im selben Atemzug muss man allerdings sagen, dass ich zunehmend Paare sehe, bei denen es genau andersherum fixiert ist.
(Und erneut der Hinweis: Ich schildere die Muster als Stereotypen. Das hilft, sich leichter darin wieder zu finden – wenn man das möchte. Und es hilft, es als zu pauschal abzutun – wenn man das möchte. So lässt sich als Leser leichter wählen, ob man sich vom Text ansprechen lässt oder eben nicht.)
Perspektive 1: Beziehung durch fixierte Dominanz
Jede Beherrschungsbeziehung lebt davon, dass einer – in unserem Beispiel der Mann – die Wahrheit bestimmt. Er sagt, wo es lang geht, er kennt sich aus, er wertet alles ab, was seinen Wahrheiten widerspricht, er kontrolliert alles, was ihm wichtig ist und straft alle ab, die widersprechen oder sich gar widersetzen. Sie sagt ja dazu. Das ist eine wichtige Funktion, sonst kommt die Beziehung nicht zustande. An-Sager brauchen Ja-Sager. Besser noch ist, wenn sie die Ansage von vornherein einfordern. „Wie geht das, Schatz?“. Dann sind Tür und Tor offen für Belehrungen, Anweisungen und Ratschläge. Am Anfang ist dieses Muster eher von Kümmern und Versorgt-werden geprägt, in der Mitte von Ratschlägen und Anpassung, am Ende von Ansagen und Unterwerfung.
Meist ist der Mann dieses Verhalten auch im Beruf gewohnt. Auch dort lässt er alle nach seiner Pfeife tanzen. Manche Männer (oder Frauen) dominieren rabiat, andere konziliant und vordergründig charmant und höflich. Der eiserne Biss wird dann erst im Konfliktfall sichtbar. Man kennt dann kein Erbarmen: Abwertungen, Herabwürdigungen und offene Bedrohungen sind übliche Stilmittel. „Bitte – Du kannst ja mit den Kindern ausziehen. Tu Dir keinen Zwang an!“. Die Frau (oder der Mann) fügt sich. So wird es einfach. So herrscht Frieden. So weiß man, wo es lang geht. Man sieht – ein solches Muster stiftet hohen Nutzen für Partnerinnen, die sich vor Konflikten fürchten, die nicht sichtbar werden wollen, die keine Verantwortung für Fehler bekommen wollen und die sich für ihre Impulse und Wünsche schämen. So passen sie sich an.
Ist der Mann erfolgreich, wird die Beschämung, die in der Anpassung liegt, durch die Teilhabe an Karriere, am äußeren Reichtum und am sozialen Ansehen abgemildert. Sucht man dafür ein Klischee, denke man an diverse „Fussballerfrauen“ oder Melania Trump. Wird das Beziehungsmuster in Frage gestellt, wird in der Regel beschwichtigt. „Alles nicht so schlimm. Und wenn es um XY geht, dann hat sie das Sagen!“ Stellen sich Positionen und Ansagen als falsch heraus, werden sie uminterpretiert und geleugnet. „So habe ich das weder gemeint noch gesagt!“ Alles wird dem Erhalt der eignen Dominanz untergeordnet.
Durchgängig besteht in solchen Beziehungen wenig Nähe. Beide sind einsam und stabilisieren sich über den anderen. Früher ging das ein Leben lang. Heutzutage steigen die sich am Anfang unterwerfenden Partnerinnen meist irgendwann aus, nachdem sie sich in Dauerkonflikten lange verstrickt haben. Oder ihm wird es irgendwann zu „anstrengend“ und es wird für ihn Zeit „die Pferde zu wechseln“, wie es ein Klient mal formulierte. Die Formulierung – er meinte seine Frau und seine Geliebte – spricht für sich.
Perspektive 2: Der Mann: „Wo ich bin, da ist vorn!“
Was muss man erlebt haben, um so blind für die eigene Einsamkeit zu werden? Es gibt zwei sehr unterschiedliche Wege dorthin.
Der eine ist der traditionelle: Man wird als Kind von einem übermächtigen Vater so lange gestraft und dressiert, bis man selbst in dessen Rolle schlüpfen kann. Psychologisch nennt man das Identifikation mit dem Aggressor. Aus dem Opfer wird der Täter. Aus dem Geschlagenen der Schläger. Aus dem Belehrten der Belehrer. Aus dem Untertan der Obertan. Dieses Muster ist – jedenfalls im westeuropäischen Kulturkreis – stark am Abnehmen. Dazu fehlen im sozialen System zunehmend die Rollen (Patriarch, Clanchef, Familienoberhaupt, Meister, Hofbesitzer, Schulvorsteher, etc.). Die Emanzipationsbewegung hat hier viel erreicht und verunmöglicht. Einsame Herrscherrollen, die der inneren Einsamkeit einen wärmenden Mantel geben, sind selten geworden.
Der andere ist der „moderne“: Man wird als Kind so lange als Person ignoriert und mit keiner passenden Resonanz auf sich selbst versorgt, bis man sich selbst mit „Wirksamkeit“ verwechselt. Wer von klein auf lernt, dass menschliches Leben darin besteht, allein zu sein und in dieser Einsamkeit etwas zu erreichen und jemand zu „werden“, der übt sehr früh, den Fokus nur bei sich zu halten. Andere sind Mittel zum Zweck. Wer einmal gesehen hat, wie schon Kindergartenkinder mit leerem Blick, abschätzig und herablassend auf andere Kinder und auf Erwachsene reagieren und nur eigene Interessen sehen, der kann sich ein Bild machen. Es sind Kinder, die sich nichts mehr sagen lassen, weil sie keine Verbindung zu anderen Menschen erfahren haben. Kinder, die sich als Mittelpunkt der Welt fühlen und doch letztlich nur verloren versuchen, in der Welt draußen die Bedeutung zu finden, die sie sich innerlich nicht geben können. Mit einer Seele im Koma muss man zum „Bestimmer“ seiner Umwelt werden, will man einigermaßen zurecht kommen. Solche Männer (und Frauen) leben ein Schicksal, wo sie meinen, dass immer da vorn ist, wo sie jeweils stehen. Um in dieser Verblendung nicht zu sehr verunsichert zu werden, müssen (!) sie sich Beziehungen und Berufe suchen, wo sie dominieren können. Wer anschafft, weiß, dass es ihn gibt. Man sieht – die Not hinter solchen Verhaltensweisen ist durchaus existentiell.
Perspektive 3: Die Frau: „Er hat doch einfach recht!“
Wer ordnet sich so einem Muster unter? Auch hier muss man große Not vermuten, die durch das Zusammensein mit einem „An-Sager“ gelindert wird. Ich bin immer wieder überrascht, wie viele Menschen mir begegnen, die eine traumatische Geschichte mit seelischer Kastration hinter sich haben. Der emotionale Missbrauch, den Frauen insbesondere von ihren Müttern mit narzisstischen Zügen erlebt haben, ist manchmal eindrucksvoll. Solche Mütter sind wie Marionettenspielerinnen, die ihre Töchter als erweiterten Raum der eigenen Seele ansehen. Sie sind abwechselnd invasiv-eindringlich und dann wieder bedürftig und enttäuscht, dass die Tochter nicht immer schon ahnt, was sie braucht. Die doppelte Botschaft lautet: „Lebe so, wie ich es für richtig halte!“ versus „Du wirst im Leben nichts zustande bringen!“ Das bereitet auf das Zusammenleben mit oben geschilderten Männern perfekt vor. Die Frau traut sich selbst nichts zu und hat früh geübt, sich an der nahestehendsten Person zu orientieren. Sich selbst zu vertreten gleicht einem Verrat am anderen. „Wenn ich mich durchsetze, dann hält der andere es nicht aus. Zudem kommt sowieso nichts Gutes dabei raus.“ Diese Überzeugung ist nicht primär eine gedankliche, sondern eine emotionale. Allein für sich, weiß die Frau, was sie drauf hat und könnte. Sie durchschaut auch die manipulative Mutter und ihren herrschenden Mann. Kaum ist sie in Interaktion mit diesen, fällt sie in sich zusammen, fühlt sich leer und findet keine Antwort auf ein noch so sinnloses Argument der Gegenseite. Sie ist dann wie ausgeknipst und fühlt sich nur noch verantwortlich dafür, dass es dem Gegenüber gut geht.
So lebt sie als (hübsche) Marionette und Schmuckstück ihres Mannes, nachdem sie vorher als Schneewittchen von der eifersüchtigen Mutter ins seelische Koma versetzt wurde. Im gläsernen Sarg lebt sie eine Nicht-Beziehung und findet Trost mit den Kindern, an denen sie ihr eigenes Schicksal wiederholt.
Was tun?
Wenn zwei Menschen zusammenfinden, die beide kein inneres Recht zu leben spüren, dient die Beziehung in ganz besonderem Maße dazu, das Meer an innerer Verzweiflung zuzudecken. Ich kenne kaum Fälle, in denen die Partner zusammen aus diesem Meer ans rettende Ufer ihrer Daseinsberechtigung gekommen wären. Meist sind es die Frauen, die irgendwann fliehen. Ob sie sich durch die Flucht auch innerlich trennen, ist dabei ungewiss. Oft landen sie in Verbitterung und einsamen Lebensentwürfen, bisweilen abgemildert durch Freundschaften mit Schicksalsgenossinnen. Was zu tun wäre, ist der innere Bruch mit der allgegenwärtigen inneren Selbstkritik. Dieser gelingt meist dann, wenn sie sich das Ausmaß des emotionalen Mißbrauchs eingesteht und einen Zugang zur eigenen Wut gegen die seelische Fesselung findet.
Für den Mann in diesem Muster geht der Weg zu sich selbst meist über äußeres Scheitern und Zusammenbruch. Aber auch dann braucht es die Fügung, dass er den Weg findet zu Menschen, die sich seiner annehmen. Es ist für eine noch nie geliebte Seele nicht einfach, sich lieben zu lassen. Die Angst beherrscht oder beschämt oder benutzt zu werden, ist immens. Und wenn man sich lieben lässt, kommt meist die Angst, dass der/die andere geht, so richtig in Fahrt. Wer das nicht scheut, hat Chancen. Gute sogar.
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