Klaus Eidenschink
Dauerunglück in Beziehungen (Teil I):
„Ich will Deine Nähe“ gepaart mit „Was willst Du bloß von mir?“
Was Paare ungünstig zusammenbringt und zusammenhält
In dieser Serie möchte ich häufig zu beobachtende und Leid bringende Muster in Paarbeziehungen beschreiben, ihnen psychologisch auf den Grund gehen und einige Hinweise geben, wie man den Ausstieg aus solchen Mustern schafft. Es geht um Beziehungsmuster, die oft die Beteiligten selbst verwundern, die staunen lassen, was Menschen ertragen, die oft als unausweichlich angesehen werden und mit denen sich Partner über lange Zeit abfinden.
Großes Glück und großes Leid liegen in Liebesbeziehungen oft nah beieinander. Aber das eigentlich Herausfordernde ist, dass es in schlechten Zeiten unerlässlich sein kann, zueinander zu halten. Aber es kann eben auch sein, dass man ohne Absicht diese schlechten Zeiten dauerhaft hervorbringt. Dann ist mehr als tragisch, wenn man zusammenbleibt bzw. auf diese Weise zusammenbleibt.
Um Letzteres soll es in diesem und in den nächsten Wochen folgenden kleinen Artikeln gehen: Was motiviert Menschen dauerhaft miteinander Unglück zu kultivieren? Was hindert sie sich Hilfe zu holen? Ich werde dabei immer drei Perspektiven einnehmen: Diejenigen von Frau und Mann. Vorab schildere ich jedoch zunächst immer das Beziehungsmuster, dem sich die beiden andienen. Dabei ordne ich das Muster den jeweiligen Geschlechtern so zu, wie ich es häufiger im Alltag beobachte. Aber – es ist durchaus immer auch spiegelbildlich zu finden. Gleichgeschlechtliche Paare können ggf. frei wählen, wer welches Muster lebt und in die Partnerschaft einbringt.
(Ich schildere das Muster als Stereotyp. Das hilft sich leichter drin wieder zu finden – wenn man das möchte. Und es hilft es als zu pauschal abzutun – wenn man das möchte. So lässt sich leichter als Leser wählen, ob man sich ansprechen lässt oder eben nicht.)
Perspektive 1 – Das Beziehungsmuster: Beziehungen ohne echte Nähe
Die emotional zugängliche und Nähe suchende Frau lebt mit einem nüchternen, rationalen, netten Mann zusammen. Die Beziehung lebt von gemeinsamen Aktivitäten und Interessen. Die Männer sind oft beruflich erfolgreich, initiieren und organisieren die Freizeitaktivitäten und pflegen Hobbies. Die Frauen machen sich für die sozialen Kontakte (= Einladungen) zuständig, pflegen Freundschaften, sind im Leben, nicht nur im Beruf, engagiert. Am Anfang der Beziehung dominiert die Freude an den Gemeinsamkeiten, dann das gemeinsame Engagement für die Kinder. Die sexuelle Leidenschaft lässt nach, das Interesse des Vaters gilt den Aktivitäten mit den Kindern, das Interesse der Frau gilt dem Erleben der Kinder. Nähe und Verbundenheit findet die Frau mit den Kindern, dem Mann fehlt sie scheinbar nicht. Er kümmert sich um viel, löst Probleme, schafft Sicherheit. Was fehlt, ist emotionale Intimität. Die Frau wird unzufrieden, der Mann versteht nicht warum. Er tut doch alles. Sie beginnt zu nörgeln und findet sich dann wieder still ab. Sie versucht immer wieder, sein Herz zu erreichen. Er spürt ihre Unzufriedenheit und bemüht sich mehr. Er macht Geschenke und merkt, wie vergeblich das ist. Sie glaubt fest daran, dass er sich irgendwann erweichen lässt und seine Liebe (wieder) zeigt. Dann wenn mal weniger Stress und mehr Zeit füreinander ist. Er baut erst unmerklich, dann deutlich die Nischen des Alleinseins aus. Dafür nutzt er den Sport, den Beruf, seine Hobbies, andere Verpflichtungen, aber auch die Flucht ins depressive Rumhängen, in Alkohol, in Dauerberieselung sind nützlich. Sie denkt an Trennung, bleibt aber – oft der Kinder wegen. Er bleibt, ohne Begegnung zu wollen und ohne wirklich mit ihrem Gehen zu rechnen. So schreitet das Leben voran und das Lebendige in der Beziehung stirbt.
Perspektive 2 – Die Frau: „Ich suche vergeblich nach Nähe“
Wie kommt es nun, dass Frauen sich so häufig Männer suchen, die sich (mit der Zeit) als „emotionale Vergeblichkeitsfront“ erweisen? Nun, das liegt meist daran, dass sie das von klein auf kennen. Sie lieben einen Papa, von dem sie möglicherweise spüren, dass er sie liebt, aber der das nicht zeigt. Die schlimmere Variante ist, dass der Vater es zeigt, dass sie quasi die Prinzessin des Vaters sind, und sie gleichzeitig (!) beobachten, dass er das mit seiner Frau nicht tut. Sie verinnerlichen somit entweder das Muster „Liebende Männer zeigen ihre Gefühle nicht!“ oder in der zweiten Variante „Liebende Männer stehen eher auf Mädchen als auf Frauen!“
Im ersteren Fall lernt man zu hoffen, dass sich das ändert, wenn man sich nur ausreichend bemüht und man lernt genügsam zu werden. Dann muss es eben reichen, wenn man zusammen etwas „macht“ oder zusammen an etwas Spaß hat. Aber man schaut sich dabei nicht intensiv in die Augen, man versinkt nicht im Spüren des anderen, man findet nicht in einen seelischen Tanz miteinander. Wer das als Mädchen von klein auf kennt, lernt mit seelischer Schmalkost zurecht zu kommen. Man lernt insbesondere aber seine Enttäuschung eher indirekt zu äußern. Es wird nicht aktiv die Enttäuschung über das Ins-Leere-Laufen gezeigt, sondern es wird umgemünzt in passive Aggression als Schmollen und stillen Rückzug. Nicht der Wunsch nach Nähe wird geäußert, sondern das bange Hoffen, dass die leisen Signale des Flirtens erkannt werden, dominiert das Verhalten. „Nur nicht aufdringlich werden! Irgendwann hat er schon Zeit für mich. Und dann kann ich ihm zeigen, wie schön es mit mir ist.“ Die Tochter möchte den Ring um das Herz des Papas sprengen. Das wird zur (unbewussten) Aufgabe und so zum Schicksal in unerfüllten Beziehungen. Man sucht sich Männer, die unerreichbar sind und nett, um zu erkennen, dass sie nett sind, aber eben unerreichbar.
Im zweiten Fall – wenn die Beziehung des Vaters zum Töchterchen intensiver ist als die zur Mutter – bildet sich der unbewusste Auftrag, immer klein, anschmiegsam, niedlich, freundlich und zugewandt zu bleiben. Papas Liebling eben. Dieses Konzept geht allerdings meist nur so lange gut, bis man selbst Mutter wird. Dann erlischt das Interesse des Mannes, den man sich mit dieser Strategie gewählt hat, in vielen Fällen von jetzt auf gleich. Man kommt nicht mehr wirklich ins unschuldig-verführerische Tochter-Sein zurück und blickt mit Entsetzen auf die jüngere, kinderlose Konkurrenz. Die Frauen spüren, dass der Mann nun das Interesse verloren hat und sie nicht mehr als Geliebte (= Frau), sondern als Mutter erlebt. Alle Versuche, körperlich attraktiv zu bleiben, verpuffen. Die Kinder sind immer im Spiel und erinnern beide daran, dass die Zeit vorbei ist, wo man das alte Konzept leben konnte.
Beide Varianten eint, dass die Frau depressiv wird, sich chancenlos fühlt und dennoch in der Beziehung bleibt. Erst wenn die Kinder aus dem Haus sind, finden manche den Weg aus der Tragödie.
Perspektive 3 – Der Mann: „Ich tarne meine Ängste“
Der Mann hat früh als Sohn gelernt, wie sehr er dazu dient, die emotionale Lücke, die der (ebenfalls emotional abwesende) Vater bei der Mutter hinterlässt, zu füllen. Was die Mutter mit dem Mann als Frau vermisst, sucht sie sich als Mutter mit dem Sohn. Das Kuscheln, die Wärme, die Hingabe – all das bekommt der Sohn, aber nicht der Mann. Dadurch wird die Nähe zur Mutter zu viel, zu invasiv, zu wichtig, zu ekelerregend – und damit zu überfordernd. Der Sohn muss Wege finden, sich innerlich abzuschotten und äußerlich gute Miene zum Spiel zu machen. Er lernt Frauen zu bedienen und verliert dabei selbst den Genuss an Nähe. Nähe wird als eigenes Anliegen getilgt und zur Aufgabe, mit der „Mann“ zurecht kommen muss.
Das frühe Erlernen dessen, was Frauen glücklich macht, hilft bei der „Eroberung“ einer Partnerin. Man weiß, wie man das anstellen muss, kennt das schüchtern-lässige Lächeln, das verzaubert, weiß um die Regeln, wie man sich uninteressiert gibt, um Interesse zu wecken. Man hat Übung darin, die Burg zu sein, die erobert werden will und die mit inneren Schätzen, denen Glück verspricht, die die Gräben und Mauern überwunden haben. Der rechte Zeitpunkt ist vertraut, um punktuell zu geben, was gewünscht ist. Aber – im Innersten hat man Angst nicht zu genügen und nicht genügend zu haben, um den Hunger der Frau zu stillen. So wird man zum Künstler im Ablenken, Verschieben, Vertrösten und Verlagern. Nie konnte man lernen, einen eigenen Rhythmus im Annähern zu finden, eine eigene Intensität im Miteinander zu gestalten, das Spiel von Nähe und Rückzug, von Erobern und Erobert werden zu verdichten und sich am Verschmelzen zu freuen. Es galt immer schon die Scham vor dem Ungenügen zu ummanteln und so zu tun, als sei man cool.
So ist man als Mann ein Künstler darin, für Frauen eine Versprechung zu sein, die nie eingelöst wird, weil sie mit der Angst vor Selbstauflösung einhergeht. Der (ehemalige) Sohn, der damals die Stelle des Vaters als emotionales Gegenüber einnehmen musste, wird zum Mann, der in der Tiefe die Frauen allein lässt, um endlich ungestört und sicher für sich sein zu können. Die Nähe-Wünsche der Frau sind somit keine Verheißung, sondern ein Rätsel: „Was will sie nur von mir?“ wird so zur verzweifelten Frage eines schon immer Überforderten, der hofft, in der selbstgewählten Abschottung dann sein (eigenes) Leben unangestrengt führen zu können. Leider führt dies – weil kontaktlos – in eine Depression, die so lange es geht mit Aktivitäten übertüncht wird.
Was tun?
Es gibt keine einfache Lösung. Die Muster sitzen bei beiden tief. Die Vorstellung davon, dass es anders sein könnte, ist meist schwach oder sie fehlt ganz.
Der Glaube daran, sich ändern zu können ist beim Mann meist gering und so gut wie immer unglaublich angstbesetzt. Es droht die Enttarnung der Unfähigkeit zu tiefem Kontakt, die Erfahrung von Ekel und Scham, die Angst vor Gefühlen, die sich nicht kontrollieren lassen. Männer trennen sich daher eher und sehen darin die Lösung. Wenn, dann sind es meist die Frauen, die die Männer zur Paartherapie schleppen. Dort sitzen sie, rechtfertigen sich oder machen gute Miene zu einem Spiel, das ihnen zur Gänze suspekt ist.
Die Frauen wiederum hoffen irgendeinen Weg in die Burg zu finden und bleiben so im Muster. Sie bleiben an den „Papa“ gebunden, von dem sie sich nie gelöst haben. Aus diesem Grund erscheint Trennung als Verrat, als Scheitern, als Zerstörung des Geliebten, als Weg in die eigene Bedeutungslosigkeit des „Nie wieder finde ich jemand! Jetzt bin ich zu alt!“ So bleibt das Kümmern um die Kinder bis diese aus dem Haus sind und die Leere droht.
So ist tragischerweise dem Mann der Weg in die Beziehung und der Frau der Weg aus der Beziehung innerlich versperrt. Wer daran etwa ändern will, muss sich immer mit sehr grundlegenden Formen von Verzweiflung und Ohnmacht befassen. Dieser Weg braucht Begleitung jenseits vom Einüben besserer Kommunikation oder besserer Verhaltensweisen. Er braucht emotionale Arbeit, um die Liebe von Ekel und Überforderung zu befreien, die sie wie Parasiten befallen haben.
Der wichtigste Schritt für die Frau ist, sich einzugestehen, dass kein Bemühen einer Frau (sondern leider nur das von „Töchtern“) das Herz von Männern, die nie Mann wurden, befreien kann. Das ist bitter.
Der wichtigste Schritt für den Mann ist, sich einzugestehen, dass kein Weg an der Ur-Erfahrung, nicht zu genügen, vorbeiführt. So eine Erfahrung erscheint kaum erträglich. Das ist bitter.
Wenn beide ahnen, dass man den Reichtum der Beziehung nur entdecken kann, wenn jeder sich selbst eingesteht, dass man seelisch nicht erwachsen ist, dann gibt es Hoffnung. Dann darf die Frau erfahren, dass Liebe und kraftvolles Dasein sich nicht widersprechen, und der Mann darf erfahren, dass er sich in Nähe nicht auffressen lassen muss.
Also was tun? Gar nichts. Tun hilft nicht. Spüren und Fühlen helfen. Nicht das, was sich gut anfühlt, sondern das, was noch nie gespürt werden durfte. Dazu muss man sich auf Unangenehmes einlassen. Das geht meist nicht allein, da es jemand braucht, der einem hilft, zu spüren, was man noch nie gespürt hat.
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