Klaus Eidenschink
Dauerunglück in Beziehungen (Teil II):
„Er kann nicht ohne mich!“ gepaart mit „Ich liebe das Versorgt-werden!“
Was Paare ungünstig zusammenbringt und zusammenhält
(Hier der Link zum Teil 1)
Im zweiten Teil der Serie geht es um Beziehungen, die in denen (vordergründig) einer gibt und der andere nimmt. Wer diesen Satz liest, denkt vermutlich erstmal an die früher klassischen „Mann-geht-arbeiten-und-Frau-gibt-das-Geld-aus-Ehen“. Aber das ist hier nicht gemeint. Statt dessen geht es um die seelische, nicht ökonomische Ebene (auch wenn sich das decken kann). Ich möchte die Aufmerksamkeit auf Beziehungen legen, in denen (meist) die Frau die emotional Stabile und Gebende und der Mann der emotional Labile und Nehmende ist.
(Ich schildere das Muster auch diesmal als Stereotyp. Das hilft sich leichter drin wieder zu finden – wenn man das möchte. Und es hilft es als zu pauschal abzutun – wenn man das möchte. So lässt sich als Leser leichter wählen, ob man sich ansprechen lässt oder eben nicht.)
Perspektive 1: Beziehungen mit Versorgungsauftrag
Die kompetente und vitale Frau steht im Leben und ist in Beruf und Familie erfolgreich. Sie meistert die Krisen, schmeißt den Laden, hält durch, wenn es hart und anstrengend wird, ist für alle da, auch sozial engagiert, zieht viele Sympathien auf sich. Der Mann promoviert im 22. Semester oder hat einen befristeten Job, der ihn unterfordert, oder ist Hausmann, was ihn überfordert. Er ist durchaus ein guter Liebhaber und weiß, was der Frau gefällt. Finanziell hängt er meist am Tropf der Frau. Er hat keine großen Ansprüche, fühlt sich allerdings auch für nichts wirklich zuständig und hofft (schon immer) auf bessere Zeiten in seinem Leben. Er fühlt sich eher verkannt und in seinen Talenten von allen nicht so richtig gesehen. Wenn man ihn nur ließe, dann würde er schon zeigen, was in ihm steckt. Daher fühlt er sich auch im Recht, wenn er sich versorgen lässt. Er sieht die Frau als eine Art Mäzen. Dass für ihn gesorgt wird, ist für ihn lebenslang schon selbstverständlich. Mit der Zeit werden seine depressiven Episoden stärker und länger. Die Frau gleicht das mit mehr Engagement aus und hat lange Verständnis dafür, dass er es doch wirklich schwer hat. Das Liebesleben liegt brach. Irgendwann versteht sie nicht mehr, dass er nicht in die Pötte kommt. Sie fängt an, ihn als „Lahmarsch“ und „Versager“ abzuwerten. Innerlich hat sie aber Mitleid mit ihm. Mit anderen Frauen flirtet er durchaus, was sie allerdings nicht wirklich aufbringt, da sie weiß, dass er ihr bleiben wird. Er weiß instinktiv, dass sie nicht gehen wird, solange er sie braucht. Bisweilen kommt dann Alkohol ins Spiel. So schreitet das Leben auch hier voran, bis die Frau irgendwann einfach nicht mehr kann oder sich (eher zufällig) verliebt und oft mit schweren Schuldgefühlen belastet in die neue Beziehung geht.
Was passiert mit ihm? Der depressive, subtil-charismatische Mann findet dann in der Regel schnell eine neue Partnerin, die ihn retten will. Die mit Schuldgefühlen behaftete Frau belastet dies zusätzlich – sie „hängt“ ja nach wie vor an ihm.
Doch was motiviert beide zum einseitigen Geben und zum ewigen Nehmen?
Perspektive 2: Der Mann, der nicht weiß, wer er ist
Männer (oder vergleichbare Frauen) mit den eben geschilderten Verhaltensweisen, haben meist keine Antwort auf die Frage, was sie ausmacht und wer sie sind. Stattdessen suchen sie sich Konzepte oder Lebensentwürfe, die für etwas Attraktives stehen. Dafür eigenen sich wissenschaftliche, soziale, ökologische, religiöse oder künstlerische Zielsetzungen besonders gut, da diese lange Vorlaufszeit brauchen, für Genialität stehen und sich aufgrund ihrer Unerreichbarkeit in ihrem Endpunkt immer wieder verschieben lassen. Sie bilden eine Ersatzidentität. Wo ist die „eigentliche“ Identität abgeblieben? Sie ist quasi nie entstanden. Das passiert im Wesentlichen aus zwei gegensätzlichen Gründen:
- Wenn man von klein auf das „Projekt“ seiner Eltern war, lernt man das zu sein, was diese in einem sehen wollten: Ein begabtes Kind, das alle Förderung braucht, die die Eltern aufbringen können. Man lernt, von anderen zu nehmen, sich versorgen zu lassen – Stichwort „Helikopter-Eltern“ -, ohne Gegenleistung. Nur fürs Kindsein, das das Glück der Eltern verspricht, erwirbt man das Recht auf alle Ressourcen. Die (vermeintliche) Begabung wird von den Eltern gefördert, nicht vom Kind selbst entdeckt und genährt. Nicht das Kind wird gefördert, sondern das vermeintliche Können, die „Gabe“, mit der die Eltern sich schmücken können. Daher hofft man auf den Nobelpreis für die unvollendete Magisterarbeit auch dann noch, wenn man beim Taxifahren angekommen ist.
- Oder aber man war nie jemand, in dem man etwas gesehen hat, das wertvoll für andere hätte sein können. So kann sich auch kein Glaube an Wichtigkeit eigener Anstrengung, an Resonanz eigenen Tuns entwickeln. Ohne Echo verkümmert die Stimme. Wozu reden, wenn keiner hört? Was bleibt ist, dass man nimmt, was man kriegen kann. Wenn dann jemand kommt, der schon dann etwas gibt, wenn man den Mund aufmacht, wird man als erwachsener Mann seelisch das „Baby“ für eine Frau, die nichts anderes kennt als „Mutter“ zu sein.
Perspektive 3: Die Frau, die nie Kind sein konnte
Wie wird man eine Frau (oder ein Mann), die immer „Mutter“ ist, egal was und wie sie lebt? Auch diese Karriere beginnt früh. Nämlich dann, wenn die Mutter, die man hatte, diese Rolle nicht eingenommen hat. War die Mutter (chronisch) krank, depressiv, insbesondere aber süchtig oder durch den Krieg traumatisiert, dann gab es keinen sicheren Ort für das Kind, selbst Kind zu sein. Es war im engen Sinn des Wortes mutterseelenallein. Da für junge Säugetiere nichts wichtiger ist, als funktionsfähige Erwachsene zu haben, fangen sie an, sich um die Großen zu kümmern. Die Rollen kehren sich um! Die Karriere der Überforderung, die man annimmt und an die man sich gewöhnt, hat begonnen. Ab dem Zeitpunkt weiß man, dass man die Schwachen dieser Welt schützen und stützen kann und muss. Die Lücke in der Lebensfähigkeit anderer lernt man, durch eigene Anstrengung zu schließen. Die eigene Bedürftigkeit wird nicht wahrgenommen.
Wen wundert’s, wenn sich solche Töchter als Erwachsene Männer suchen, die nicht erwachsen sind? Sie fallen zu 100 Prozent in das unbewusste Beuteschema. Das Zusammensein mit ihnen ist vertraut, man kennt diese Welt, man erwartet nichts anderes. Die innere Bindung an die Not und Labilität anderer ist fast magnetisch. So wird auch dann noch Geduld geübt und Versorgung gewährt, wenn der eigene Akku schon lange leer ist. Die Fähigkeit für eigene Bedürfnisse einzutreten oder sie auch nur als wichtig zu spüren, ist meist kaum vorhanden. Frauen mit diesem Muster fühlen meist gar keine Berechtigung, selbst etwas zu wollen und vor allem: anderen etwas zu verweigern. So bleiben sie in der Geber-Rolle gebunden, die zwar den Selbstwert und Identität stiftet, aber die eigene Seele verhungern lässt. Man ist für andere da. Punkt.
Was tun?
Der ungünstige Beziehungsklebstoff ist offensichtlich. Für beide Seiten ist die eingenommene Rolle in der Beziehung Identitätsersatz. Sie braucht seine Not und erlernte Unfähigkeit, um zu wissen, wer sie ist; er braucht ihre Stärke und idealisierte Zuschreibung, um sich vormachen zu können, dass aus ihm etwas werden wird. Beide hoffen bewusst, dass er sich ändert. Unbewusst sorgen beide dafür, dass sich weder sie noch er noch die Beziehung ändern wird.
Bei diesem Beziehungsmuster imponiert allerdings – ebenso wie im Teil 1 dieser Serie -, dass der Leidensdruck ungleich verteilt ist.
Der beschriebene Mann hat in der Regel wenig Interesse, an den Verhältnissen etwas zu ändern. Sein Interesse ist es, dass die Frau nicht zu unglücklich wird oder – für ihn schlimmer – zusammenbricht. Daher mobilisiert er etwas, wenn er sich davon erhofft, dass die Frau in der für ihn günstigen Rolle wieder besser funktioniert. Er selbst empfindet meist wenig Änderungsmotivation, da er wenig von sich spürt und wahrnimmt. So hat er kaum Zugang zu echten Bedürfnissen. Genau das ist daher der Zugang für eine Veränderung. Es geht darum, sich einzugestehen, wie umfassend die innere Leere und die Resonanzarmut sind, die sich hinter der Egozentrik verbergen. Man muss wahrnehmen, dass man sich nicht spürt. Fängt man damit an, bekommt man in der Regel eine Ahnung wie es ist, wenn spontan und von Innen Regungen wahrnehmbar werden. Diese verdichten sich dann zu eigenen Wünschen. Das Glück, das Menschen durchströmt, wenn sie sich zum ersten Mal sich nicht an (idealen) Zielen, sondern an eigenen Impulsen orientieren können, ist für mich immer wieder besonders eindrücklich mitzuerleben.
Die oben geschilderte innere Welt der Frau hingegen, ist schon immer von Ambivalenz und vom Leiden an der unmöglichen Aufgabe geprägt. Das Problem ist häufig, dass die enormen Schuldgefühle, die aufkommen, wenn man den „Job“, für andere da zu sein, kündigt, gewaltig sind. Sie werden oft als schlimmer empfunden als die Überforderung des Gebens selbst. Verantwortlich dafür ist das innere Muster, das heißt: „Es darf mir nur gut gehen, wenn es den nahen Bezugspersonen gut geht!“. Sich daraus zu lösen, braucht demnach dreierlei:
- Erstens die Toleranz Schuldgefühle zu ertragen,
- zweitens muss man die Angst zulassen, dass der andere zusammenbricht oder sich gar umbringt, wenn man nicht mehr (so) für ihn da ist.
- Drittens brauchte es den Mut, seine Rache – genährt vom Zorn des gekränkten „Prinzen“ – zu ertragen bzw. damit zurecht zu kommen. Denn der Verlust der Versorgerin weckt in den Männern oft (Vitalitäts- und Überlebens-)Kräfte, die sie in der Beziehung vorher nie mobilisierten. Auch das muss man ggf. verkraften.
Alle drei Schritte sind eine Aufgabe, die es in sich hat.
Mann und Frau brauchen hierbei in aller Regel Unterstützung, weil es gilt, eigene, angstvolle Teile ins Leben zu bringen. Der Gewinn ist, dass man sich selber ein Stück weit befreit. Und dass dadurch überhaupt erst möglich wird, eine nährende Beziehung zu führen. Ob mit dem bestehenden Partner oder mit einem neuen kann erst nach der eigenen Selbstentwicklung gut entschieden werden.
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