Klaus Eidenschink
Neues gegen Altes? Muss das sein?
– Zum Paradox von Wandlung und Stabilität –
Menschen, Teams und Organisationen sind auf Verbesserung angelegt. Das hat einen recht einfachen Grund: Sie steuern sich selbst. Und was sich selbst steuert, braucht eine Richtung, an der sich die Selbststeuerung orientieren kann. Diese Richtung muss attraktiv sein, damit sie motiviert. Was könnte besser motivieren als Verbesserung? Daher stehen Veränderungsvorhaben oft in latenter oder offener Konkurrenz zu dem Bestehenden. Dabei kann sich weder alles ändern noch alles gleichbleiben. Wenn aber Selbststeuerung Verbesserung benutzt, um eine Orientierung zu haben, nutzt sie in gleichem Ausmaß aber auch das Bestehende. Wie muss man das Ineinander der beiden Aspekte denken?
Auf drei besonders wichtige Faktoren will ich in diesem kleinen Artikel hinweisen.
I. Asymmetrie
Verbesserung schafft eine Asymmetrie zwischen dem Ist- und dem Soll-Zustand. Warum ist diese vermeintliche Trivialität hier hervorzuheben? Das wird vielleicht klarer, wenn man das gleiche Phänomen mit einem anderen Begriff bezeichnet: Verbesserung schafft Ungleichheit. Ein vermeintlich bei sich selbst angekommener Mensch, ein harmonisches und sich im Gleichgewicht befindliches Team oder eine Organisation, in der alle das können, was sie sollen, hätten keine Selbststeuerungsgrundlage. Sie können den Genuss des Status quo für eine gewisse Zeit als Orientierung für die täglichen Aktivitäten setzen. Mit etwas Lebenserfahrung weiß man, dass sich alsbald seelische Unzufriedenheit breit macht, einzelne Teammitglieder Ideen einbringen, was man ausprobieren könnte oder anders machen sollte, und Organisationen nach besseren Zahlen, besseren Produkten oder mehr Kunden schielen. Gleichgewicht schafft immer Ungleichgewichtschancen, Gleichheit ermöglicht Ungleichheitsprofiteuren Optionen, Sattheit geht in neuen Hunger über. Das Leben lebt von Asymmetrie und aus dem brennenden Phönix wird Asche, die neue Pracht entfaltet. Soweit so gut.
Das aber heißt, dass Ruhe und Eingeschwungenheit punktuelle Phasen sind und sein müssen, sollen die jeweiligen Systeme nicht orientierungslos im Kreis laufen. Die Asymmetrien, die Menschen wie soziale Systeme brauchen, vertragen sich also auf Dauer nicht mit dem Selbstgenuss des Status quo. Alte humanistische Ideen einer Homöostase, eines auf Gleichgewicht ausgerichteten Lebens müssen deshalb auf den Prüfstand. Die Natur wie die Gesellschaft braucht Gleich- und Ungleichgewicht für Selbsterhalt und Selbststeuerung. Die Spaltung, die entsteht, wenn sich Reformer und Bewahrer wechselseitig abwerten, dient meist mehr den (konkurrierenden) Systemen im Umfeld dieser ungünstigen Streitkultur. Wenn das Changeprojekt scheitert, freut sich der Wettbewerber. Damit sind wir beim zweiten Punkt.
II. Konkurrenz
Wenn Systeme sich verbessern müssen, um sich steuern zu können, wird es immer in irgendeiner Form Konkurrenz geben. Denn es ist extrem unwahrscheinlich, dass die unterschiedlichen Menschen, Teams und Organisationen nicht um die gleichen Räume, Ressourcen, Zeitfenster, Kommunikationschancen, Aufmerksamkeitsbühnen und dergleichen mehr ringen. Noch unwahrscheinlicher ist es, dass sie sich auf die gleiche, synchronisierte Weise – quasi im Gleichschritt – verändern. Verbesserung heißt auch, dass es Unterschiede in der Geschwindigkeit und in der Art des Lernens und des Aufbaus von Fähigkeiten gibt. Wer also für Verbesserungsideen ist, kann nicht gleichzeitig für allumfassende Kooperation sein. Kooperation aller eröffnet nämlich zwangsläufig für irgendjemand oder – etwas grundsätzlich Chancen zur Verbesserung der eigenen Lage – eben durch den Verzicht auf Kooperation! Dies lässt sich möglicherweise zwar verbieten, aber nicht verhindern. Die Geschichte von kommunistischen oder kommunitaristischen Gemeinschaften ist voller Beispiele davon, dass auf der Oberfläche der praktizierten Gleichheit manche dann eben doch gleicher werden als andere. Doping im Sport wäre ein anderes Beispiel in dem durch Verzicht auf Gleichheitsforderungen – jeder ist so gut, wie er trainiert-, Einzelne Vorteile für sich suchen.
Auch hier liegt es also nahe, sich mit beiden Polen der Veränderung zu versöhnen: Kooperation als Notwendigkeit einer hinreichenden Stabilität und Konkurrenz als Folge eines notwendigen Verbesserungswunsches zum Status quo. Gesellschaftliche, organisationale wie psychische Rahmenbedingungen sollten beides sowohl begrenzen wie ermöglichen. Das ist schon deshalb wichtig, weil in unserer komplexen Welt kaum mehr jemand Verbesserungen erwirken kann, die nicht an anderen Stellen der Welt Verschlechterungen mit sich bringen. Verbesserung ist ein Perspektive, die immer an das handelnde System gebunden ist. Eine Verbesserung von allem und jedem ist aus systemtheoretischen Gründen ausgeschlossen.
III. Endlosigkeit
Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Selbststeuerung lässt sich nicht parken. Jedenfalls nicht ohne den Preis des Ablebens oder der Selbstauflösung. Das heißt, dass für jeden Menschen, für jedes Team, für jede Organisation die Aufgabe entsteht, sich mit der Unvollkommenheit anzufreunden und gleichzeitig(!) sich zu motivieren, an Verbesserungen zu arbeiten. Das geht nur, wenn die Verbesserungen auf der Ebene der Handlungen und Aktivitäten angesiedelt sind und nicht auf der Ebene der Identität. Also – ich versuche als Sportler meine Leistung zu verbessern, mache mich als Mensch aber davon nicht in meinem Selbstwert abhängig. Oder – als Team versuchen wir, die Zeit für unsere Produktentwicklung zu verkürzen, aber machen das Vertrauen untereinander nicht davon abhängig. Schließlich – als Organisation versuchen wir Marktanteile auszubauen, aber es wird nicht alles hektisch über den Haufen geworfen, wenn es nicht gelingt. Andersherum bedeutet eben Selbstzufriedenheit trotzdem, sich ambitionierten Ziele zu setzen, da sonst jedes System seine Fähigkeit zum Selbsterhalt untergräbt und im Wettbewerb mit anderen ins Hintertreffen zu kommen droht.
So erwächst auch hier eine paradoxe Aufgabe aus der Notwendigkeit von Selbststeuerung: Ich muss mich an einem noch nicht erreichten Ziel orientieren und gleichzeitig zufrieden mit dem Status quo sein, da ich sonst in eine ungünstige Abhängigkeit vom Ziel komme. Nie Ankommen und doch zufrieden sein. Die Gegensätze von „Akzeptanz der Gegenwart“ mit „Anstreben einer erwünschten Zukunft“ lassen sich in Menschen, Teams wie Organisationen nur vereinen, wenn man die Aspekte im jeweiligen System trennt. Es gibt dann Seelen-, Team- oder Organisations-„Teile“, die an der Veränderung für künftige Herausforderungen arbeiten (=Selbststeuerung), und andere, die an der Resonanz auf die gegenwärtige Lage orientiert sind (=Selbsterhalt). Dieser Gedanke hat weitreichende Folgen für das Verständnis der jeweiligen Systeme, da damit Stabilität immer nur dynamisch und als interner Aushandlungsprozess unterschiedlicher Funktionen gestaltet werden kann. Schlicht gesprochen: Man kann nicht „Eins werden mit sich selbst“, sondern man muss die Zerrissenheit gestalten.
Fazit
Wer an Verbesserung arbeitet, tut also gut daran, sich klar zu machen, dass sich nie alles auf Dauer der Veränderung oder dem Erhalt dessen, was ist, verschreiben darf. Konflikt ist daher notwendig, um Änderung zu begrenzen und Stabilität nicht zu Stillstand verkommen zu lassen. Beobachtet man Changeansätze wie Beratungskonzepte auf diesen Unterschied hin, dann wird man sehr oft feststellen, dass einseitig auf Veränderung und Verbesserung gesetzt wird. Damit wird der Konflikt zwischen gegenwärtiger und künftiger Passfähigkeit ungünstig aufgesetzt. Das schadet dann in der Regel beidem. Es führt zu Kampf und Krampf, aber nicht zu gelingender Wandlung.
Gelingt Wandlung hin zu besseren Antworten in künftigen Zeiten, entstehen zwangsläufig „Vorteile“ (im Wettbewerb gleich welcher Art), die andere Systeme unter Zugzwang bringen. Auch aus diesem Grund entsteht eine ständige Notwendigkeit zu weiterer Entfaltung von Kompetenzen. Daran kann man Freude entwickeln oder darunter leiden. Das jedoch ist eine Entscheidung, die man frei wählen kann.