Klaus Eidenschink
From Zero to Hero?
– Reflexionsangebote für Erfolgsorientierte –
Narzisstische Not kommt unverdächtig daher. Denn sie äußert sich schick und ist gesellschaftlich erwünscht. Die (narzisstischen) Regeln, die unsere Kultur stark prägen, sind schnell benannt: 1. Wer Erfolg hat, hat etwas richtig gemacht. 2. Deshalb gilt Erfolg als erstrebenswert und bürgt für sich selbst. 3. Erfolg ist kausal einem Urheber zuordenbar. 4. Erfolg macht glücklich. Ist das so? Wenn da Zweifel angebracht sein sollten, wo liegen die Fehler? Darum geht es nun.
Allerdings – dieser Text könnte unbequem für alle sein, für die Erfolg der Leitstern ihres Lebens ist. Daher Vorsicht beim Weiterlesen! Aber er könnte auch eine Tür öffnen, für die, die eine dunkle Ahnung haben, dass Erfolg der große Bruder einer Geschwisterriege sein könnte, als da wären: Innere Leere, Selbstzweifel oder Daueranstrengung. Seit 20 Jahren arbeite ich als Coach und Therapeut mit sehr erfolgreichen Menschen und beschäftige mich mit der psychischen Dynamik vom Zwang erfolgreich, gewinnend und perfekt zu sein. Coaching ist für viele eine Station auf dem Weg der Selbstoptimierung. Bisweilen auch die letzte Station vor dem Absturz. Manchmal auch die erste danach. Ich wünsche mir immer mal wieder, manche hätten früher den Weg gefunden. Aus diesem Motiv heraus schreibe ich diesen Artikel. Er könnte helfen, früher Weichen zu stellen, die nicht zum großen Ziel, aber sehr zu sich und zu einem erfüllten Leben führen.
Unterscheidung 1: Erfolg und Erfolgszwang
Niemand kann ernsthaft dagegen sein, das was er tut, zum Erfolg bringen zu wollen. Wenn etwas gelingt – das runde Klötzchen in das runde Loch … – dann freut das schon Kinder mit 18 Monaten. Gelingt es nicht, strengt man sich an oder verliert die Lust oder lässt sich helfen oder versucht es ein anderes Mal oder man erkennt, dass man an der Stelle nicht talentiert ist usw.! Also bleibt man (eigentlich), was immer man tut, ein freier Mensch mit Wahlmöglichkeiten. Genau hier beginnt jedoch für viele das Drama ihres Lebens, weil sie in eine Welt geraten sind, in der man erfolgreich sein MUSS! Unerlässliche und überlebenswichtige seelische Nahrung wie Nähe, Achtung, Aufmerksamkeit, Wohlwollen u.a. sind daran gekoppelt, dass man erfolgreich ist. Bei manchen beginnt diese Karriere schon auf der Wickelauflage („Schau, wie toll er schon sein Köpfchen hebt. Er ist früh dran!“), bei anderen erst beim Fahrradfahren lernen („Jetzt wollen wir(!) doch mal schauen, dass Du das schon kannst!“), bisweilen auch erst in der Schule („Du(!) willst doch aufs Gymnasium!“).
Besonders brutal wird es, wenn nicht nur die o.g. seelische Nahrung bei Misserfolg verweigert wird, sondern man statt dessen seelisches Gift verabreicht bekommt. Hier gibt es ebenfalls eine breite Auswahl an Substanzen: Beschämung („Stell Dich doch nicht so blöd an!“), Ängste („Wie soll denn jemals etwas aus Dir werden?“), Abwendung („Jetzt üb solang, bist Du es kannst, und dann kannst Du wieder kommen!“), Drohung („Wenn Du das nicht hinkriegst, dann…!“), Gewalt („Heute ohne Essen ins Bett!“), Enttäuschung („Ich hätte mehr von Dir erwartet!“), Vergleiche („Also ich/Dein Bruder konnte das in Deinem Alter schon längst!“).
Es gibt allerdings noch eine weitere Erfahrungswelt, die oft nicht gesehen wird. Die Psyche reagiert auf die Erfolglosigkeit ihrer Umgebung. Findig wie die Seele ist, sieht sie das Leid anderer und beschließt: „Das passiert mir auf gar keinen Fall!“ Erfolglosigkeit wird also mit Leiden gleichgesetzt und fortan entwickelt sich der Zwang zum Erfolg, um eben diese Gefahr abzuwehren. Die Kraft, die daraus erwächst, ist mächtig, die Unfreiheit ebenso. Wer verliert, landet in der Gosse, im Elend, in der Depression, im Selbstmitleid – so die verinnerlichte Regel, die man nicht in Frage stellt.
Das mag als unvollständige Übersicht hier genügen. Wichtig ist eigentlich nur: Wenn man nicht auch Scheitern kann, darf und gelegentlich möchte, dann kultiviert man mit seiner Erfolgsorientierung eine permanente seelische Selbstschädigung. Der Zwang zum Erfolg ist, was er ist: Zwang und damit ein autoaggressiver Akt.
Daher hier die beiden ersten „Gretchenfragen“:
Müssen oder dürfen Sie erfolgreich oder der Beste sein? Können Sie mit guten Gefühlen auf Erfolg verzichten oder verlieren?
Unterscheidung 2: Erfolg und Gelingen
Es gibt Menschen, die spielen um zu spielen, und es gibt Menschen, die spielen um zu gewinnen. Ich habe sehr viele Menschen kennen gelernt, die viel Erfolg hatten, aber der Weg dorthin war steinig, hart, verkrampft, freudlos oder einsam. Der am Ende stehende Erfolg stand auf den Schultern einer ausgezehrten und ausgemergelten Seele. Ich habe aber auch viele Menschen kennengelernt, die ihre Aufmerksamkeit weniger auf das am Ende stehende Ziel, sondern auf die Aktivitäten auf dem Weg zum Ziel gerichtet haben. Dann spürt man wie einzelne Schritte auf diesem Weg gelingen und erfreut sich daran. Die Freude am Tun und an gelingenden Momenten verschaffen Erfüllung, das Ergebnis am Ende ist nachrangig. Wer darauf achtet, dass er den Prozess genießt, der wird unabhängiger vom avisierten Ergebnis. Dann war das Üben auch schön, wenn man sich „verspielt“ hat.
Selbstverständlich darf das Ergebnis wichtig bleiben, aber das innere Erleben auf dem Weg dorthin ist ein vollkommen anderes. Wenn jemand also erfolgreich ist, sagt das leider nichts darüber aus, ob er ein gutes (Er-)Leben hat. Gar nichts. Wer sich am Ende überschwänglich freut, hat dabei möglicherweise eine schale Entschädigung für unnötiges Funktionieren und Sich-Quälen. Sind dann die Ziele erreicht, alle Erfolge erzielt – was dann? Ich habe viel Leid und Elend bei Menschen gesehen, die alles erreicht hatten, und dann anschließend in der Sinnlosigkeit ihr karges Lager aufschlagen mussten.
Die Fragen zur Selbstreflexion lauten hier:
Ziehe ich meine Motivation aus dem Erleben dessen, was ich tue, oder aus dem Ergebnis dessen, was ich tue? Zählt das postive Erleben auch dann noch, wenn das Ergebnis nicht meinen Vorstellungen oder denen anderer entspricht? Kann ich auch zweckfreies Tun genießen oder muss alles immer einen Sinn und Bedeutung haben?
Unterscheidung 3: Erfolg und Urheberschaft
Erfolg beruht auf einer Zuschreibung von Kausalität. Diese Kausalität ist immer eine Konstruktion. Beispiel: Auch wenn es bisweilen ein hohles Ritual ist: Bei Preisverleihungen, in Widmungen von Büchern, bei Olympiasiegen kann man oft hören, auf wie vielen Schultern Erfolg ruht. Die Menschen im Hintergrund, Partner, Eltern, aber auch günstige Bedingungen, unverdientes Talent, genetische Gaben, Zufälle und Fügungen – all das wird in solchen Kontexten immer wieder genannt und gewürdigt. Das ist psychologisch ebenso weise wie es menschlich sympathisch macht. Niemand erzielt Wirkungen und Ergebnisse ganz aus sich heraus. Die narzisstische Note unserer Zeit besteht darin, dass die Frage „Wer hat es erfunden?“ so oft dominiert. Doch wer sich Erfolg ausschließlich selbst zuschreibt, der fügt seiner Seele Schaden zu bzw. kultiviert den seelischen Schaden, der schon vorliegt. Warum?
Wer sich mit seinen Erfolgen identifiziert, der sagt zu „seinem“ Erfolg „Ich“. Also: Ich=Erfolg. Doch was, wenn der nächste Erfolg ausbleibt? Dann verschwindet mit dem Erfolg auch das „Ich“. Ich habe Klienten beraten, die im Scheinwerferlicht waren, und irgendwann zu faltig, zu schwach, zu gekündigt, zu altmodisch waren. Sie wussten die Leere, die die ausbleibende Bewunderung der eigenen Leistung hervorrief, nicht mehr mit Gutem zu füllen. So füllten sie diese Leere mit Alkohol, teuren Vergnügungen, gekauften Beziehungen, unnützem Besitz. Doch alles blieb innerlich leer. Umstellt von äußerer Fülle.
Das ist wichtig zu verstehen: Sucht man einen Weg sich wirklich selbst zu schaden, dann muss man sich mit seinem Tun identifizieren. Dann kann man sicher sein, dass nichts bleibt, wenn das Tun wegbricht. Anders: Wer hingegen stolz auf das ist, was er erlebt und erleben kann, der darf auch seinen Erfolg verlieren, ja er kann sogar alles verlieren, ohne innerlich schaden zu nehmen. Denn das, was wichtig ist, bleibt. Es kann einem nicht genommen werden.
Wer sich reflektieren will, kann sich fragen:
Worauf richtet sich mein Stolz? Auf Handeln? Auf Erleben? Auf beides? Brauche ich Erfolg, um auf mich stolz zu sein? Kann ich auch stolzer Verlierer sein? Kann ich danken, für all das, was nicht auf meinem Mist gewachsen ist?
Unterscheidung 4: Erfolg und Glück
Die meisten wollen in ihrem Leben glücklich sein. Wenn man das möchte, dann sollte man sich besser nicht irren, was wirklich glücklich macht und woran man ungünstiges Glück erkennen kann. Ein Irrtum, den unsere westliche Kultur in vielen Bereichen anliefert, ist, dass der Erfolg es sei, der Glück verspricht. Es sind schon fast Binsenweisheiten,
- dass Erfolg auch eine Last oder zumindest eine Verantwortung sein kann und oft ist,
- dass Erfolg einsam macht,
- dass Erfolg Neid, Missgunst und Eifersucht hervorruft,
- dass Erfolg „Nachschusspflichten“ mit sich bringt („Wann kommt der nächste Bestseller?“),
- dass Erfolg einen Tunnelblick erzeugt und alles auf sich konzentriert und
- dass Erfolg faul, fett und träge werden lassen kann, zumindest aber selbstgefällig und unempathisch für die Nöte anderer.
Für diese Kollateralschäden von Erfolg sind erfolgsfixierte Menschen oft unempfindlich oder nehmen sie einfach hin. Das „verdiente“ Glück („Ich habe mir alles selbst erarbeitet“) berechtigt zu Besonderem und Besonderheiten. Wer hart arbeitet, darf Privilegien genießen. Wie schal es aber wird, wenn aus Glück Privilegien werden, merken viele nicht. Wer Erfolg und Glück gleichsetzt, der ist einem schleichenden, subtilen Abstumpfungsprozess ausgesetzt, der – wird er nicht klug und weise gemanagt – in den Verdruss dessen führt, der „es geschafft hat!“. Man hat die Welt gewonnen. Und sich verloren.
Daher kann man sich fragen:
Was berührt mich in der Tiefe meiner Seele? Welche Momente am Tag lassen mich leicht und beschwingt werden? Wo klebe ich an Äußerlichkeiten (Status etc.)? Kann ich Genuss und Glück von einander unterscheiden? Bin ich zum Glücklich-Sein auf bestimmte Umstände angewiesen oder trage ich mein Glück in mir?
Resümee
Erfolg ist das, was folgt. Er folgt dann, wenn man dem frönt, was man auch genießen kann, wenn man dabei keinen Erfolg haben würde. Es ist nie zu spät eine narzisstische Fixierung auf äußere Ziele und äußere Ergebnisse aufzugeben. Das ist nie leicht, da es so gut wie immer auf den Quellcode der eigenen seelischen Programmierung führt. Wer sich dort ändern will, der kommt um tiefe Schrecken, leidvolle Schmerzen, alte Not und uralte Wut meist nicht herum. Das kann man wollen. In jedem Fall muss man es bewusst entscheiden.
Wer als Berater oder Coach seine Aufgabe darin sieht, anderen Menschen zum Erfolg zu verhelfen, könnte sich die Frage stellen, welche Funktion Erfolg für den Klienten hat und ob man wirklich gut daran tut, hierbei mitzuhelfen. Die vornehmere Aufgabe ist meines Erachtens, zu untersuchen, wie der Weg ausschauen könnte, wenn die Klienten ein Leben leben, in dem Erfolg eine sehr schöne Nebenfolge ist.
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