Klaus Eidenschink
Dauerunglück in Beziehungen (Teil IV):
„Ideal“ gepaart mit „Ideal“
Was Paare ungünstig zusammenbringt und zusammenhält
(Hier die Links zum Teil 1, Teil 2 und Teil 3)
Im vierten Teil der Paar-Serie geht es um Beziehungen, in denen alles wie im Hochglanzprospekt läuft und kein (bewusstes) Unglück herrscht. Unsinn? Leider nein, da das Fehlen von gespürtem Leid eben genau nicht heißt, dass die Betroffenen deshalb gut dran sind oder gar glücklich. Daher ist eine besonders heimtückische Form seelischer Not, wenn sich zwei Menschen in einer Beziehung zusammenfinden, die sich wechselseitig vor der (zugeschriebenen) Großartigkeit des anderen verneigen. Was kennzeichnet dieses Beziehungsmuster und was sind die inneren Motive, so leben zu wollen?
(Hinweis: Ich schildere das Muster als Stereotyp. Das hilft sich leichter darin wieder zu finden – wenn man das möchte. Und es hilft, es als zu pauschal abzutun – wenn man das möchte. So lässt sich leichter als Leser wählen, ob man sich ansprechen lässt oder eben nicht. Man kann jederzeit die Rollen von Mann und Frau auch umgedreht lesen und beobachten!)
Perspektive 1: Beziehung als Erweiterung einer idealen Vorstellung von sich selbst
Das Paar beeindruckt andere. Der Blick von außen: Beide schön, beide erfolgreich, die Kinder artig und wohlerzogen, erlesener Geschmack, kultivierte Hobbies, gewandte Kommunikatoren, stilvolle Hobbies, gepflegte Einladungen, versierter Weinkeller und manufaktur-bestückte Küche – und alles auf subtile Weise seelenlos. Man spürt, das Leben ist ein Projekt, eine Art Ausstellung, ein Arrangement, das sich jederzeit für das Fotografiert-Werden eignet. Alles ist am richtigen Platz, alles passt, nichts schmutzt. Im Miteinander geben sich der Mann und die Frau das, was sie brauchen. Man bestätigt sich, schmückt sich mit dem anderen und ist froh über all die Features, die es erlauben, sich und vor allem anderen zu sagen, wie toll die Partnerschaft und der Partner/die Partnerin ist. Klar – man sieht sich manchmal wenig, da ja jeder mit so Wichtigem beschäftigt ist. Man tut sich leicht, miteinander Pläne und Vorhaben zu entwickeln, weil beiden wichtig ist, dass das Leben auf der sonnigen Seite gestaltet werden soll.
Der Blick ins Innen schaut anders aus. Hier begegnen sich zwei Menschen, die von klein auf eine Rolle spielen (mussten). Wer das werden muss, was die Eltern haben, sehen und bewundern wollten, der entwickelt alles, nur kein Gefühl für sich selbst. Eigenes ist nicht gefragt, sondern das Gewünschte soll geliefert werden. Man lebt nach einem (attraktiven) Bild. Man orientiert sich an dem, wie man als Person (nicht im Verhalten) sein soll, denn dafür gibt es Anerkennung. Daher wird man gut darin im sich ausstaffieren. Zu dieser Staffage gehört eben dann auch ein(e) attraktive(r) Partner*in. Wer immer Eindruck machen muss, wird zum Lieferanten von Erfolg, und bleibt unsäglich allein. Auch in der Beziehung ist man dann zu zweit allein. Denn der Partner soll ja etwas geboten bekommen: Er spielt den Mann, den Liebhaber, den Vater, den Berufstätigen, der er glaubt, sein zu müssen. Sie spielt die Frau, die Mutter, die Liebhaberin, die sie ihrerseits glaubt sein zu müssen. Es begegnen sich zwei Attrappen, die sprechen und handeln können, aber sich selbst nicht wirklich spüren und wahrnehmen. Wenn es Konflikte gibt, dann sollen sie nicht nach außen dringen.
So bleibt die gemeinsame Orientierung an Äußerlichkeiten und man berauscht sich am grandiosen Lebensstil, am äußerlich Schönen und Beneidenswerten. Im Hintergrund lauern Ängste vor Enttarnung und vor Unglücksfällen, die sich nicht beherrschen lassen. Aus diesem Grund neigt das Paar dazu, ein Musterexemplar von perfekten Eltern zu werden, die alles unter einen Hut bekommen. Karriere, Kinder, Beziehung. Man ist pädagogisch up to date und ist voller verinnerlichter Konzepte über gute Elternschaft. Dahinter lauert die uneingestandene Unsicherheit. Im zugespitzten Fall führt dies zu einer Spielart von den sogenannten „Helikoptereltern“: Die eigenen Kinder müssen vor allem Unheil bewahrt werden, und genau dadurch bringt man tragischerweise ein besonders großes Unheil in ihr Leben.
Perspektive 2: Die Frau, die sich mit ihrem Bild verwechselt
Schaut man sich nun an, mit welchen idealen – oft sehr unbewussten – Erwartungen und Hoffnungen, mehrheitlich Frauen in solchen Beziehungen, als sie Töchter waren, infiltriert werden, so ist dies oft subtil, unbewusst und indirekt vermittelte Auftrag, ein „erfolgreiches“ Leben – ohne Abhängigkeit von einem Mann – zu leben. So entsteht in der Frau die grandiose Vorstellung, dass man in allen Rollen gleich gut – erfolgreich – sein kann: Als Frau, als Geliebte, als Mutter, im Beruf und in gesellschaftlichen Kontexten. Wenn eine Frau den mangelnden Selbstwert oder den Sinnverlust der Eltern mit einem fantastischen Lebensentwurf ausgleichen muss, dann muss sie nicht nur hohe Leistung liefern, sondern sie muss auch zu Ansehen gelangen.
Das ist ein wichtiger Unterschied. Wer keine Leistung bringt, fühlt sich (nur) schuldig und fehlerhaft. Wenn sie aber dabei nicht auch Renommee gewinnt, ist das Grund, sich zu schämen und dieses Versagen zu tarnen. Daher ist die Vermeidung von Scham eines der Kernmotive im oben erläutertem Beziehungsmuster. Es gilt für solche Frauen, das perfekte Bild nach außen zu erhalten und sich gegenüber anderen abzuheben. Das gelingt oft nur durch enorme Härte gegen sich selbst und rigorosem Vermeiden von Schwächen nach Außen. Dabei greift sie u.a. zum Mittel der Abwertung anderen Frauen gegenüber („Ach, damit hast Du Probleme?“) oder zu belesenen Ratschlägen („Das muss man so machen, sagt die XY. Kennst Du sie denn nicht? Die angesagte Autorin zu dem Thema in Amerika!“). Irgendwann kann aus Abwertung auch Verachtung werden. Das ist ein ausgesprochen wirksames Mittel, um der eigenen Scham zu entkommen, da oft sichtbar zu werden droht, dass man am geschilderten grandiosen Lebensideal zu scheitern droht. Der bittere, harte Zug, der sich dann im Gesicht eingräbt, ist meist nicht zu übersehen.
Das Älterwerden reduziert (in ihren Augen) die Chancen in der erotischen Konkurrenz. Dies ist ein ständiger Stachel im Fleisch des idealen Ichs, das die innere Messlatte bildet. Die Angst, irgendwann vom Mann, der sich eine Jüngere suchen könnte, ausgemustert zu werden, nimmt zu. Diese Angst ist sehr oft berechtigt, weil die Frau irgendwie spürt, dass der Mann noch nie an dem interessiert war, was sie ist, sondern nur an dem, was sie ihm bieten konnte. Dass sie selbst es nicht anders lebt, entgeht leider meist der Selbstreflexion.
Perspektive 3: Der Mann, der sich mit seinem Bild verwechselt
Jungs, die den (narzisstischen) Hoffnungen der Eltern ausgesetzt waren, entwickeln besonders gern einen Lebensweg, auf dem Archetypus des „Helden“ zum Drehbuch ihres Lebens wird. Sie werden gut im „Posen“, im lässigen „work hard, play hard“. Triathlon verbunden mit Karriere ist nicht zu viel verlangt. Das verlangt wiederum nach Entschädigung durch die perfekte Frau, perfekte Kinder und perfekte Bezahlung. Beides – Frau, Kinder und Geld – stehen somit in einer Reihe. Alle sind Schmuckstücke auf der Bühne des Lebens. Wenn die Seele nicht mit im Spiel ist – und sie war seit der Geburt nicht im Spiel -, ist die andere blendende Kulisse das, was zählt. Daher wird nichts – auch nicht die Partnerschaft – je wirklich wichtig. Es zählt der Schein. Alles dient der Funktion, die innere Leere zu füllen. Das „Füllmaterial“ ist austauschbar, sofern es nur diesem Zweck angemessen dient. Auch Kinder dienen diesem Zweck, so dass man mit jeder neuen Frau oft auch neue Kinder zeugt. Es gibt da prominente Beispiele.
Männer, die in solchen inneren Welten leben, suchen besonders häufig Frauen, die ihnen gleichen oder emotionale Fähigkeiten haben, die ihnen selbst fehlen. So wird die Beziehung perfekt. Die Bewunderung, die er von der Frau bekommt, zahlt er mit Bewunderung – nicht mit Liebe (!) – zurück. Sein Herz ist ihm unzugänglich, da er darauf kein Echo bekommen hat. Denn auch er wurde schon als Kind bewundert – „Was für ein hübscher Junge!“ – und nicht von Herzen geliebt. Dieser Unterschied zwischen Bewunderung (manchmal bis hin zur Verehrung) und Liebe ist für das Verständnis der Not solcher Männer (und Frauen) entscheidend. Sie suchen Rampenlicht, Macht, Einfluss, Größe, Bedeutung, Reichtum. Sie wissen aber nicht, was sie selbst ohne all das Beiwerk liebenswert machen könnte – sie schämen sich ihrer selbst. So sind sie in der perfekten Beziehung mit der perfekten Frau und den perfekten Kindern – und sie sind allein und haben sich selbst verloren.
Was tun?
Frauen wie Männer, die von klein auf der Sinn und das Glück ihrer Eltern sein mussten, lernen in der Regel kaum, sich hinzugeben. Hingabe bedeutet nämlich, nicht darauf zu achten, wie man ist, wenn man sich dem anderen zeigt. Der andere darf alles sehen, hören und spüren, weil man sich in guten Händen weiß. Wer jedoch von der Wickelauflage an gelernt hat, das Schmuckstück sein zu sollen, das die Eltern glücklich und stolz macht, der wird seine Schattenseiten und Unzulänglichkeiten immer und immer versuchen zu verbergen. Auch und gerade vor dem Partner / der Partnerin und den Kindern. Damit ist auch der erste Schritt einer möglichen Veränderung vorgezeichnet. Für beide in einer solchen Paardynamik gilt es, aufzuhören ein Bild von sich aufrechtzuerhalten. Stattdessen braucht es ein Interesse an der Selbstwahrnehmung der eigenen Unvollkommenheit. Oder noch deutlicher: Es geht darum, sich dem anderen auf eine Weise zu zeigen, dass man sich währenddessen dabei schämt. Existenzscham ist ein passendes Wort für einen solchen Zustand.
Daran wird deutlich, wie hoch in aller Regel der Druck ist, im alten Muster zu bleiben. Selbst der Beziehungsabbruch von Kindern oder alten Freunden wird oft in Kauf genommen, nur um nicht in Selbstscham zu kommen. Daher trennen sich solche Paare meist auch, wenn die gemeinsame Bühnenshow nicht mehr funktioniert. Auch wenn nur eine(r) von beiden das Thema angeht und statt einem idealen sein echtes Selbst zu leben beginnt, ist es alles andere als sicher, dass man/frau sein Pendant emotional erreicht.
Was hilft, um aus einer solchen inneren Welt auszusteigen, ist die Sehnsucht nach tiefer Verbundenheit mit anderen Menschen, die nicht auf Vorleistungen und Beeindrucken besteht.
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