Klaus Eidenschink
Dauerunglück in Beziehungen (Teil VI):
„Einsamkeit“ gepaart mit „Leere“
Was Paare ungünstig zusammenbringt und zusammenhält
(Hier die Links zum Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4 und Teil 5)
Im sechsten Teil der Paar-Serie geht es um „Beschämungsdramen“. So nenne ich das Phänomen, wenn ein Teil des Paares – meist die Frau – emotional sehr ausdrucksstark ist, und der andere Teil – meist der Mann – hochgradig emotional beherrscht ist. Sie sucht Intensität, er pflegt die „Vernunft“. Er jongliert – äußerlich gesehen unbeteiligt – ihre gefühlsseitigen Zustände, sie pendelt zwischen Zugewandtheit, Trauer, Verzweiflung, Ohnmacht, Angriff und Liebe. Er quält sie ohne es zu wollen und zu wissen. Hinter all dem stecken bei beiden sehr oft frühe Kränkungen und damit unbewusste Scham. Ich schildere im Folgenden, wie verhängnisvoll es ist, wenn schamvolle Urerfahrungen das Zusammenleben prägen und die Beziehung irgendwann meist zerstören. Ein besonders schlimmes – ggf. auch für die zugehörigen Kinder – fatales Drama.
(Und erneut der Hinweis: Ich schildere die Muster als Stereotypen. Das hilft, sich leichter darin wieder zu finden – wenn man das möchte. Und es hilft, es als zu pauschal abzutun – wenn man das möchte. So lässt sich als Leser leichter wählen, ob man sich vom Text ansprechen lässt oder eben nicht.)
Perspektive 1: Beziehung durch die Abwehr von Scham
Der Mann imponiert seiner Umwelt. Er ist beherrscht, kommt gut allein klar, sucht Macht, glänzt intellektuell. Die Frau ist aufgedreht, begeisterungsbereit, unternehmungslustig, hat ständig Menschen um sich, redet viel und klug. Sie haben sich verliebt, weil sie sich verstehen. Er mochte ihre Lebendigkeit – weil dies ihm fehlt. Sie mochte seine beherrschte und herrschende Art – weil sie ihr fehlt. So werden sie ein Paar, wo jeder viel Raum hat, seine Wege zu gehen. Sie animiert ihn zu Kontakten, er macht mit und pflegt im Kern Beruf und Hobbies. Dort ist er perfekt, macht keine Fehler, weiß, was zu tun ist. Er scheut alles, wo er inkompetent sein könnte, bzw. baut in allen Bereichen rasend schnell Kompetenz auf. Er kennt sich aus, egal was man ihn fragt. Am Anfang gefällt ihr das, aber es nutzt sich ab. Sie fühlt sich zunehmend klein und unfähig an seiner Seite. Sie lässt ihn machen und nimmt es ihm mehr und mehr übel. Sie fühlt sich nachrangig in seinem Leben, mehr und mehr allein. In den Konflikten – die häufiger werden – versucht er, sofort Lösungen zu finden und ihr anzubieten. Die Lösungen liegen auf der Verhaltensebene („Dann versuche es doch mal so!“), nicht in Einfühlung und Empathie. Das verstärkt ihre Einsamkeit. Sie wird wütend über seine glatte Oberfläche. Sie schreit, tobt und stampft. Er zieht sich zurück, schweigt, setzt genervte oder abfällige Mienen auf, verlässt das Haus oder geht zum Sport. Sie weint und ist verzweifelt. Die Kinder werden ihr emotionaler Trost. Sie verliert ihr Frausein und wird seelisch ganz Mutter. Er tröstet sich mit Außenbeziehungen, mit meist jüngeren, lebendigen, sexuell aktiven Frauen. Die Beziehung ähnelt der, wie die alte am Anfang war. Was ihn hält – wenn ihn etwas hält – sind die Kinder, da er auch als Vater perfekt sein möchte. Eine Trennung wäre auch nach außen eine Niederlage, die er gern meiden möchte. So pflegen die beiden ein Anklage- und Vergeblichkeitsmuster: Sie will ihn erreichen, er will sich schützen.
Doch woher kommen der Eifer und die Energie auf beiden Seiten, alles zu tun, nur sich nicht mit den eigenen Motiven hinter all dem zu beschäftigen? Das liegt an der tiefen, aber recht unterschiedlichen Scham, die beide prägt.
Perspektive 2: Die Frau: „Warum bin ich so allein?“
Wer immer sich in der Tiefe allein fühlt, kann davon ausgehen, dass er mit einem frühen Beziehungstrauma belastet wurde. Emotionale Vernachlässigung in den ersten Lebensmonaten ist leider ein relativ häufiges Phänomen. Das Erste was Kinder nach der Geburt brauchen, sind Schutz, Wärme und Nahrung. Das bekommen die meisten. Das Zweite ist aber ein Echo auf die Art und Weise, wie man als Kind lebendig ist. Die emotionale Resonanz, die Feinfühligkeit, mit der sie ausgedrückt wird, die Verlässlichkeit, mit der sie erfolgt, und die Freude an der besonderen Art des Babys, sich auszudrücken, sind entscheidend. Entscheidend wofür? Sie sind nötig, damit ein Kind die sichere Erwartung ausbildet, dass es in der Welt willkommen ist und lebendig sein darf. Es gibt nun zwei Hauptformen auf Seiten der Eltern, wie sie diese Resonanz schuldig bleiben: entweder durch eine depressive Art, dem Kind zu begegnen – also Aufgabe der eigenen Lebendigkeit -, oder durch einen emotionalen Missbrauch. Dieser besteht darin, dass das Baby von Anfang an benutzt wird, um das Wohlbefinden der Mutter/des Vaters zu stärken. „So wie ich bin, so will mich keiner haben!“ ist die Leitüberzeugung, die sich im Kind bildet: „Ich muss leiser, lauter, ruhiger, aufgeweckter, langsamer, schneller, zufriedener, forscher, aktiver, geduldiger etc. sein!“ Das ist zutiefst beschämend. Scham für das eigene So-Sein wird so zum grundlegenden Lebensgefühl.
Ein Verhalten wie das der oben geschilderten Frau, zeugt häufig vom untauglichen Versuch, einen solchen frühen emotionalen Missbrauch zu bewältigen. Sie sucht sich verhängnisvollerweise – weil sie nichts anderes kennt – einen emotional resonanzlosen Mann und versucht, diesen seelisch zu erreichen. So wiederholt sich das Drama, welches schon in der Wiege stattfand. Sie versucht alles an Emotionen, um ein passendes Echo zu bekommen. Das ganze Programm wird aufgefahren, in der Tiefe fühlt man sich allein. Es geht also nicht um fehlende Liebe und Nähe, sondern um ein fehlendes Gegenüber! Weil sie dies gewohnt ist, ist sie gut darin, es zu ertragen, und denkt, dass es normal ist, wenn Männer nichts spüren. So wird die eigene Lebendigkeit neuerlich beschämt und benutzt. Das Gefühl, zu kurz zu kommen, macht sich durch diese Selbstverständlichkeit erst über Jahre so breit, dass die Verzweiflung in der Beziehung die Überhand gewinnt. Da die Frau es aber auch nicht gelernt hat, mit anderen Menschen zu „schwingen“ und ihr Leid zu spüren und zu offenbaren, tut sie ihrerseits viel dazu, dass die Beziehung leer bleibt.
Perspektive 3: Der Mann: „Wer bin ich eigentlich?“
Emotionaler Missbrauch spielt auch beim Mann eine entscheidende Rolle. Seine Tragik trägt andere Züge. Er bekommt Resonanz und Echo. Viel, ausgeprägt, verlässlich – leider nur nicht darauf, dass es ihn gibt, sondern dafür, dass er „liefert“. Diese Lieferung kann in seiner Begabung, in seiner Schönheit, in seiner Intelligenz, seiner Einfühlsamkeit, seiner Anschmiegsamkeit, seiner Liebenswürdigkeit usw. bestehen. Klar ist, er muss liefern, damit die Eltern sich freuen und zufrieden sind. Auch dies verursacht eine tiefe Existenzscham. Sie geht mit der Überzeugung einher: „Wenn ich einfach nur da bin, bin ich nicht genug! Meine Wünsche zählen nicht!“ Auf diese Weise bilden sich Sekundäridentitäten. Der Stolz auf sich selbst besteht dann darin, dass man das, was erwünscht ist, besonders gut liefert und sich damit identifiziert. „Ich bin meine Leistung, meine Intelligenz, meine Karriere, mein Besitz, meine Schönheit!“ Genau das tun solche Männer, sie müssen sich nicht anstrengen, sie sind die Anstrengung und kennen nichts anderes.
Ein solcher Mann versteht die Unzufriedenheit seiner Frau nicht, weil er selbst nicht spürt, was sonst im Leben möglich wäre. Er leidet auch selbst in gewisser Weise nicht. Er meint, ihr alles zu geben, weil er seine Seele, die er ihr vorenthält, selbst nie zu spüren gelernt hat. So bezieht er die Unzufriedenheit seiner Partnerin nicht auf die Leerestelle, die er seelisch hinterlässt, sondern auf die vermeintlich fehlende Passung oder den Verlust der Liebe. Diese Deutung der Situation ist für ihn Gift. Es beschämt ihn nämlich, dass er trotz der Anstrengung in Ohnmachtsgefühlen landet und sich so nur als „nicht-liebenswert“ erleben kann. Äußerlich gerät er in eine ausweglose Lage bringt: Er kann sie weiter ertragen und aushalten – ohne dass dies zu etwas nützlich wird -, oder er kann sich gekränkt zurückziehen – und verstärkt dadurch den Teufelskreis in der Beziehung. So ist der Wechsel zu einer neuen Partnerin, die „unverbraucht“ im Hinblick auf seine Unerreichbarkeit ist und die sich mit der generösen Fassade eines „Sugardaddylovers“ zufrieden gibt, ein oft gewählter, ungünstiger Ausweg.
Was tun?
Scham ist heikel. Nur wenige Menschen haben das Gespür, dass der Weg zu einem glücklichen Leben und einer ebensolchen Beziehung nur über dieses so unangenehme Gefühl geht. Alle anderen vermeiden ein Leben lang sich mit Schamgefühlen und damit ihren existentiellen inneren dysfunktionalen Mustern zu beschäftigen. Wer aus einem Beziehungsmuster wie dem hier vorgestellten herauskommen möchte, kommt um Psychotherapie nicht herum. Mit Bordmitteln und besseren Vorsätzen ist hier nichts zu holen. Aber auch beim Psychotherapeuten sind Schamgefühle etwas, an das man sich langsam und oft langwierig heranarbeiten muss. Dazu braucht es Ausdauer und Zuversicht. Letztere ist aus meiner Sicht begründet. Wer sich auf alte, tief im Körper abgespeicherte Schamgefühle einlassen kann, wird entdecken, wie wunderbar einfach das Leben sein kann. Man spürt eine Gelassenheit und ein inneres Getragen-Sein, das es einem ermöglicht, die Wünsche anderer Menschen anzuerkennen, ohne sie befriedigen zu müssen(!) und ohne sich davor zu schützen. Die eigene Bedürftigkeit verliert ebenso ihre Bedrohlichkeit und wird zu einem Quell bereichernder Kontakte mit anderen Menschen. Sogar mit dem eigenen Partner oder Partnerin.
Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.