Klaus Eidenschink
Dauerunglück in Beziehungen (Teil V):
„So fern, so nah! So nah, so fern!“
Was Paare ungünstig zusammenbringt und zusammenhält
(Hier die Links zum Teil 1, Teil 2, Teil 3 und Teil 4)
Im fünften Teil der Paar-Serie geht es um Beziehungen, die Bestand haben, wenn auf irgendeine Weise immer sichergestellt wird, dass man sich fern und nah zugleich ist. Das kann räumlich sein, indem man an unterschiedlichen Orten lebt. Das kann zeitlich sein, indem einer immer solange verliebt ist, wie der andere reserviert ist, und dann umgekehrt. Und das kann sozial sein, indem einer immer mindestens ein weiteres Eisen im Feuer hat. Woran liegt das? Welche Scheinlösungen für das Muster werden häufig gewählt? Wie findet man einen Ausstieg aus dem Schema?
(Und erneut der Hinweis: Ich schildere die Muster als Stereotypen. Das hilft, sich leichter darin wieder zu finden – wenn man das möchte. Und es hilft, es als zu pauschal abzutun – wenn man das möchte. So lässt sich als Leser leichter wählen, ob man sich vom Text ansprechen lässt oder eben nicht.)
Perspektive 1: Beziehung durch ferne Nähe und nahe Ferne
Das Kennenlernen ist oft schon Ausdruck des Beziehungsmusters. Er wirbt um sie, sie flirtet und lässt ihn werben, gibt sich aber erstmal unerreichbar. Sie lässt ihn schmoren, das macht sie für ihn attraktiv. Er ist ausdauernd, das macht ihn für sie attraktiv. Oft dauert es bis man zusammenkommt, bis man sich wiedersieht. Ist man dann zusammen, kehren sich die Rollen gern auch mal um. Er, der sie so wollte, verliert, nachdem er Erfolg in der Eroberung hatte, etwas von seinem Elan. Sie, die ihn anfangs nicht wollte und kaum Gefühle hatte, hat diese plötzlich. Nun ist sie enttäuscht, dass er ihre Leidenschaft nur mehr punktuell erwidert. Sie findet keine rechte Erklärung dafür und wundert sich, wie sein nachlassendes Engagement zu erklären ist. Es ist wie beim Fangen spielen: Einer läuft davon, der andere hinterher. Hat man ihn erwischt, wird es kurz intensiv und super, dann läuft man selbst davon und wird gejagt.
Das Davon- und Hinterherlaufen bildet ein stabiles Muster. Sie sind fest liiert, aber meist hat er ein wichtiges Projekt, und sie leidet unter dem Mangel an Beziehungszeit. Ist er verfügbar, hat sie das Wochenende mit den Freundinnen, das sich nicht verschieben lässt. Sie gewöhnen sich daran. Der Wechsel von Sehnsucht nach und Zuviel vom anderen gilt ihnen als normal. Beide haben Hobbies, Pflichten, soziale Bindungen, die jederzeit als Fluchtpunkt vor zu viel Nähe taugen. Zeitweise und wiederkehrende Fernbeziehungsphasen oder sichere Abwesenheiten in der Arbeitswoche helfen der Nähe zu entfliehen und die Sehnsucht zu reaktivieren. Beide machen ihr Ding und sind froh, in Beziehung zu sein. Man lässt sich Raum, wenn auch oft nicht zur gleichen Zeit. Meist leidet einer mehr als der andere.
Dieses Pendeln zwischen Nähe und Distanz geht bei beiden bisweilen mit Zweifeln einher, dass der andere / die andere richtig ist. Ist das wirklich die große Liebe? Dritte sind eine permanente Versuchung, der man auch immer wieder erliegt. Da ist sie wieder, die Leidenschaft. Allerdings mit jemandem, der selbst in Beziehung ist. Gott sei Dank, man will sich ja gar nicht trennen.
So geht das – oft ein Leben lang. Immer bleibt eine Reserve, immer ein Abstand, immer Alternativen, immer die Angst, man könnte etwas verpassen, immer die Hoffnung, es ginge noch besser. Jeder bleibt in der Tiefe allein und vorsichtig. Aber warum? (Auch hier gilt wieder: Bei diesem Muster sind die Zuordnungen zu Frau/Mann austauschbar)
Perspektive 2: Die Frau: „Welcher ist der Richtige?“
Für das beschriebene Muster braucht es eine Frau, für die es wichtig geworden ist, ihre Gefühle zu kontrollieren. Die führt natürlich zu einem gedämpftem Lebensgefühl, das man dann durch äußere Maßnahmen versucht aufzupeppen. Eines der wichtigsten Mittel dazu ist die Suche nach dem „richtigen“ Partner. Dieser soll ihr intensive Gefühle bescheren – aber nur dosiert. Etwa so wie bei Dornröschen, das aus dem emotionalen Koma im rankenumwobenen Schloss durch den Märchenprinzen ins Leben gerufen wird. Dieses Vorgehen – ich finde im Außen etwas, das mir intensive Gefühle beschert – wird meist nicht nur mit Männern gepflegt, sondern in vielen, oft allen wichtigen Lebensfeldern: Was ist der richtige Beruf, die beste Sportart, der passende Wohnort etc.? Überall ist es schwer ,sich zu entscheiden, da immer noch Besseres nachkommen könnte oder das Gegebene nicht gut genug erscheint. Wer sich aber an äußeren Gegebenheiten orientiert, kommt zwangsläufig in die Desorientierung. Überall liegen die Heuhaufen, zwischen denen man sich nicht entscheiden kann.
Das eigentliche Problem liegt daher nicht in der Frage, „Was ist für mich richtig?“, denn diese würde den fehlenden Bezug zu eigenen Bedürfnisse voraussetzen. „Was kann ich tun, um mich selbst mehr zu spüren?“ wäre die bessere Frage. Der Mangel an Selbstwahrnehmung (ausführlicher hier beschrieben) führt zwangsläufig zu einer dauernden Entscheidungsschwäche: Entweder gar nicht entscheiden, oder nicht nachhaltig oder mal so, mal so. Hinter einem solchen Selbstwahrnehmungsmangel steckt in aller Regel ein Mangel an erlebter klarer und verlässlicher Bindung. Es ist wahrscheinlich, dass die Frau als Säugling nicht die Regulation ihrer Gefühle und Impulse im Zusammensein mit einem kontaktvollen, feinfühligen und präsenten Gegenüber erlernen konnte. Depressive, verkopfte oder innerlich abwesende Mütter und Väter bleiben den Kinder von klein auf solche unabdingbaren Begegnungen schuldig. Fehlen solche ganz oder in Teilen, dann entwickelt sich im Kind das Gespür für sich selbst nicht ausreichend. Gleichzeitig sucht es unbewusst immer nach den guten Verhältnissen, die es so nie hatte. Daher soll es der Partner richten, und tragischerweise ist dies der Grund, dass jeder konkrete Partner immer (in Teilen) eine Enttäuschung ist. In Summe bleiben solche Frauen (und Männer) oft ein Leben lang ambivalent, pendeln zwischen zu viel und zu wenig, haben Affären, die sie nur halb wollen, geraten an „falsche“ Partner, werden ausgenutzt und nutzen aus. All das sind Symptome eines Mangels an innerer Bindung und Selbstwahrnehmung.
Perspektive 3: Der Mann: „Ich brauche meine Freiheit!“
Das Pendant dazu sind Männer (und Frauen), die eine unbewusste Not mit der Überzeugung bearbeiten: „Ich brauche meine Freiheit!“. Das Selbstbild ist dadurch bestimmt, dass man meint, auf – wiederum – äußere Freiheitsmöglichkeiten angewiesen zu sein. Alles, woran man sich bindet, wird als Fesselung erlebt. Alle Ansprüche von anderen schränken einen ein. Darum müssen sie dosiert und begrenzt werden. Dafür eignen sich ambivalente Partner besonders gut für das eigene Muster: Wenn die Frau nicht so genau weiß, was sie will, dann wird es leichter, sich frei zu fühlen. Männer mit diesem Selbstverständnis kennen von klein auf die Notwendigkeit, sich den Nähe-Wünschen anderer zu entziehen. Das liegt daran, dass Nähe und Vereinnahmungsängste miteinander verbunden sind. Nähe wird nicht (nur) als angenehm erlebt, sondern sie ist verbunden mit der Erwartung, Teil des anderen zu werden. Somit ist klar: Frauen die kühl, verhalten, vorsichtig, unnahbar und beherrscht wirken, sind hoch attraktiv. Sie geben implizit das Versprechen ab, wenig zu wollen. Das beruhigt die Angst, von ihr „verschlungen“ zu werden. Man kann ausdauernd, charmant und liebevoll um sie werben und ist nicht auf schnellen Erfolg angewiesen.
Hat der Mann allerdings nun Erfolg gehabt, greift er wieder zum bewährten Muster zurück: Er definiert sich als „freiheitsliebend“ und eben nicht „vereinnahmungsängstlich“! Das kommt besser und ist selbstwertverträglich. Hobbies (allein oder mit anderen Männern) und Berufe (mit Reisepflichten), die es erlauben, der Beziehung zu entfliehen, sind hoch attraktiv. Die eingeforderte und so hoch gehaltene Freiheit, immer tun zu dürfen, was man will, wird zur tragischen Falle. Denn man ist natürlich nicht frei. Weder ist man frei, sich ganz zu binden und ganz und gar Nähe zu genießen, noch ist man frei, die Tätigkeiten einzuschränken, in denen man sich frei fühlt. Man ist zur äußeren Freiheit verdammt, weil man innere Freiheit und Unabhängigkeit nicht kennt.
Was tun?
Dieses Muster lässt sich – wenn man denn will – relativ „leicht“, leider aber nur gemeinsam durchbrechen. Der „Trick“ besteht darin, die Oszillation zwischen Nähe und Distanz zugunsten der Nähe und die Oszillation zwischen Zweifeln und Lieben jeweils zugunsten von Letzterem zu beenden. Das Experiment lautet also: “ Was passiert bei mir und bei der Partnerin / dem Partner, wenn wir uns auf Nähe einlassen und uns als füreinander bestimmt definieren?“ Wenn man die Ambivalenz willentlich für eine bestimmte Zeit auflöst, kann man im Anschluss dann erforschen, welche Gefühle und Gedanken aufkommen. Wenn man die Lage nicht mehr im Außen verändern kann, lernt man in der Regel den inneren Zustand kennen, mit dem man schon immer allein war. Diese Empfindungen zu erforschen, statt ihnen aus dem Weg zu gehen, ist die „Aufgabe“. Das ist dann Selbsterfahrung pur und führt Schritt für Schritt ins Spüren von dem, was die Psychologie „Bindungstrauma“ nennt. Was immer innerlich bei der Frau und dem Mann passiert, muss deshalb dann ausgesprochen und miteinander geteilt werden. Es gilt, sich in Scham, Zweifel und Ängsten zu begegnen.
Dass dabei innere Spannungen entstehen, Unwillen gegen diese Übung, Aggression auf sich und den anderen, Versuche, sich mit Alkohol oder anderen Substanzen zu dämpfen – all das ist zu erwarten und ein Zeichen, dass das Experiment funktioniert. Erst wenn diese Gefühlsschicht durchlitten ist, werden sich die eigentlichen, dahinter liegenden Empfindungen zeigen. Auch die werden nicht schön sein. Aber sie sind die ursprünglichen, eigenen Gefühle, die sich früh im Leben in nahen Beziehungen gebildet haben.
Wozu das dient? Ganz einfach – wer sich seinen Ängsten nicht stellt, wird von ihnen gesteuert. Um solche Ängste selbst zu steuern, müssen sie erst bewusst, gespürt und ausgedrückt werden. Dabei darf man nicht allein sein, sondern braucht ein Gegenüber, das daran Anteil nimmt. Wenn man als Paar damit überfordert ist, ist es sinnvoll eine gute Paarberatung in Anspruch zu nehmen, die den Rahmen für eine solche Zwiesprache schafft. Bindungstraumata haben es in sich. Sie lassen sich heilen.
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