Zum Sinn und Unsinn von Managementmoden
Moden sind die Verbindlichkeit des Vorübergehenden. Dies ist die Definition der Soziologin Elena Esposito, die ich hier zum Ausgangspunkt meiner knappen Überlegungen zum Phänomen Managementmoden nehme.
Das Verblüffende an Moden ist ja, dass viele sich an deren Vorgaben halten, wissend (!) dass verlässlich in Bälde eine andere Vorgabe kommt. Über Kleidungs- oder Einrichtungsmoden verabschiedet sich die Gesellschaft auf diese Weise von einer allgemeinen, zeitüberdauernden Festlegung auf Schönheit. Schön ist immer die aktuelle Mode und jeder interpretiert sie gleich individuell auf seine Weise.
Die Funktion von Mode ist also die Vergänglichkeit von Schönheit zu regulieren. Es gibt viele Weisen Schönheit zu entdecken und zu beschreiben. Moden fokussieren. Sie verhindern Chaos, indem sie aus der Fülle der Möglichkeiten etwas auswählen. Eine Selektion wird für einen gewissen Zeitraum verbindlich. Jeder kann das an sich selbst studieren, wenn man alte Fotos aus der Schulzeit ansieht und sich wundert, mit welchen Klamotten und Frisuren man sich in der Öffentlichkeit gezeigt hat.
Was geschieht, wenn nicht nur Outfits, Lifestyle-Attribute, technische Gadgets, Reiseziele, Berufe etc. von Moden „verwaltet“ werden, sondern auch Theorie und Praxis von Organisation, Management und deren Beratung? Zunächst einmal geschieht genau das Gleiche: Themen (und nicht Leute) sind in neuem Gewande zu besichtigen, Problemstellungen (und nicht Leute) werden neu geschminkt, Zielsetzungen (und nicht Leute) werden toupiert. Der Nutzen davon ist, dass man das Gleiche anders betrachtet bzw. andere, bislang nicht als hipp angesehene Varianten in Betracht zieht. Ausgeschlossene, verworfene, übersehene, vernachlässigte oder abgewertete Alternativen kommen plötzlich ins Spiel und bestehenden Konzepte in eine Krise.
Da Organisationen darauf angewiesen sind, aus dem passenden Alternativenraum ihre Entscheidungen zu treffen, ist das Einbringen neuer Alternativen – „Es könnte auch anders sein!“ – eine wichtige Funktion von Management- und Beratermoden. Es lädt das Neue, das Andere mit Bedeutung auf. Urplötzlich wollen alle agil sein, sich selbst organisieren, ihren Purpose suchen und die Leidenschaft in der Arbeit leben, sich am Kunden orientieren – alle wissend, dass man die Verhältnisse früher teils gut, teils schlecht fand und auch das Neue nun nicht nur in jeder Hinsicht schick sein wird.
Für Organisationen sind solche Moden jedoch deshalb so hilfreich, weil sie Aufmerksamkeit, Kommunikation und Handlungen koordinieren. War vorher kollegialer Austausch ein Hobby Einzelner, bekommt über die Mode „Working out loud“ ein solches Format plötzlich Zulauf. So kommen soziale Formen zustande, die ohne Moden keine zeitgleiche Energiezufuhr erhalten hätten. Moden erfüllen so eine wichtige Funktion, weil Menschen, Teams und Organisationen etwas ausprobieren und über die Effekte kommunizieren. So kann Bestehendes leichter aufgegeben werden – wie die aus der Mode gekommene Hose, die – auch wenn sie noch „gut“ ist – mit gutem Gefühl im Schrank bleibt, weil sie plötzlich nicht mehr „schön“ ist.
So stimulieren Moden Innovation bzw. die Rückkehr des schon mal Verworfenen oder in der Vergangenheit Ausgemusterten. Sie haben deswegen eine durchaus vergleichbare Funktion wie Beratung, welche ja auch dem Klienten Möglichkeiten anbietet, die er bislang nicht kannte oder in Erwägung gezogen hat. So liegt es nahe, dass Mode und Berater sich zusammentun und daraus Beratungsmoden entstehen.
Dagegen wäre nun gar nichts zu sagen, käme nicht von Seiten der Berater relativ häufig eine Verschiebung des Bezugspunktes ins Spiel, der enorme – und aus meiner Sicht – schädliche Nebenfolgen mit sich bringt. Der Bezugspunkt für Moden ist – wie oben kurz erwähnt – Schönheit. Das Konzept „Schönheit“ hatte sich spätestens Mitte des 19. Jahrhunderts in der Philosophie wie in der Gesellschaft im Schema objektiv/subjektiv auf die Seite der Subjektivität verschoben. Kants Kritik der Urteilskraft (1790) verortete Geschmacksurteile außerhalb der Logik und damit verallgemeinerbarer Erkenntnis. Niemand vertritt seitdem mehr ernsthaft die These, dass das, was als schön angesehen wird, für alle gleich ist oder gar gleich zu sein hat. Schönheit gilt seit 200 Jahren als eine Frage des Geschmacks, wird also als eine Leistung des Beobachters angesehen.
Vergleichbares gilt im Prinzip für den Wahrheitsbegriff, auch wenn diese Entwicklung vornehmlich auf die Geisteswissenschaften und die Rechtswissenschaften beschränkt blieb. Die Naturwissenschaften und damit auch weite Bereiche der gesellschaftlichen Funktionssysteme hielten und halten an der Idee einer gültigen Wahrheit fest. Aber auch Beratungstheorien sind mit diesem Denken infiziert, meist eher implizit. An einer feststehenden Wahrheit (etwa Humanität) gilt es sich auszurichten und die Entwicklung von Mensch, Team, Organisation so voranzutreiben, dass sie zunehmend „perfekter“, „besser“, „humaner“ etc. werden.
Wenn Berater nun Moden aufgreifen oder sie präsentieren, dann meist nicht in der Haltung „So könnte es sein!“ sondern in der Attitüde „So sollte es sein!“. So wird das Neue nicht zum Versuch, sondern zur Norm, zur Richtigkeit, zum Erfolgsgaranten. Oft wird dies gekoppelt an Entwicklungstheorien, die ihr eigenes Schema von nieder- und höherentwickelten Bewusstseinstufen, sozialen Interaktionsformen oder organisationalen Strukturen präsentieren. Das Beratungsangebot lautet also nicht mehr: „Willst Du, Kunde, Dich mit dem beschäftigen, was ich wichtig finde (aber Du bislang nicht), damit Du schauen kannst, ob es Dir nützt?“. Statt dessen lautet das Versprechen: „Mach Du, Kunde, das, was heutzutage State of the Art ist, und ich führe Dich ins gelobte Land (etwa von New Work)!“ Das lässt sich u.a. daran erkennen, dass ethisch aufgeladene, an Zielpunkten wie Humanität, Sinn oder Autonomie sich haltende Konzepte vorgestellt werden. Beratungsbücher, die zu Bibeln werden, um die sich wiederum Anhänger scharen, Buzzwords, die Identität geben und die am Markt der Berater für Erkennbarkeit sorgen.
Wenn aber beraterseitig die eigene Identität an ein modisch, also vorübergehendes, Produkt geheftet wird, kann man an der Ablösung der Mode durch eine andere Mode kein Interesse mehr haben. Ist erstmal Wahrheit statt Schönheit im Spiel muss diese auf Dauer gestellt werden. Um das Ganze dann erfolgreich zu verkaufen, bringt man das dritte Geschwisterchen der alten aristotelischen Philosophie ins Spiel: Das Gute! Das Neue wird ethisch – wie oben schon angedeutet – bewertet und damit nicht nur wahr sondern auch gut. „Gute“ Ziele haben den Vorteil, dass sie suggerieren, dass man die Welt verbessern könne, ohne irgendwo für irgendwen irgendwann Nachteile zu generieren. Und wer könnte schon dagegen sein – moralischer Grundschulabschluss mal vorausgesetzt – die Verhältnisse im Hinblick auf Humanität oder mehr Erfolg oder noch besser beides zu verbessern. Man zeichnet das Bild einer perfekten Organisation, liefert das Zielbild für ein glückliches Leben oder beschreibt die Merkmale eines high-performanten Teams. So entsteht ein Delta zwischen dem unzulänglichen gegenwärtigen Ist-Zustand und dem anzustrebenden Endzustand. Beraterseitig ist damit auch ein immerwährender Reformbedarf – und damit Beratungsbedarf – definiert, da die reale Organisation immer vom Ideal abweicht.
So werden aus funktionalen Moden dysfunktionale – weil überzeitliche und moralisch einwandfreie Zielzustände gemacht. Damit wird ihre Funktion, dass sie vorübergehend (!) Bestehendes anfragen, um Einseitigkeiten zu korrigieren oder Antworten auf veränderte Umweltverhältnisse zu entwickeln, untergraben. Zudem diskreditieren solche Konzepte sich selbst, da das Neue, nie so gut und wahr ist, wie versprochen wurde.
Beratung verträgt sich aus meiner Sicht nicht mit Entwicklungsmodellen, wie sie etwa von Wilber oder Laloux vorgelegt wurden, da Entwicklungsmodelle eben immer mit Zielpunkten operieren. Für Beratungstheorie halte ich deskriptive und evoluionäre Denkformen für wesentlich Leistungsfähiger. Dazu im nächsten Teil dieser Serie – wenn es um Agilität geht – mehr.
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