These 2: Organisationen sind nie human, sondern immer organisational!
Theoretische Konzepte, die leicht von vielen Zustimmung erfahren und im wahren Leben aber sehr selten zu besichtigen sind, sollte man mit Vorsicht genießen, da sie oft weniger Theorie als versteckte Normen sind. Die Idee, dass Organisationen human sein sollen ist so eine. Sie sollen demnach für den Menschen da sein und das Glück oder zumindest die Zufriedenheit der Mitarbeiter steigern. Doch ist das theoretisch wie praktisch haltbar oder auch nur erstrebenswert? Wir meinen hier: Nein! Im Gegenteil – es schadet den Menschen wie den Organisationen. Was passiert, wenn man sie nicht als menschengemacht, aus Menschen bestehend, an Menschen orientiert oder zum Wohle der Menschen da seiend begreift? Was passiert, wenn man Organisation hingegen als eigenständige und sich selbsterhaltende soziale Gebilde ansieht, die nach eigenen Gesetzen, Regeln und Zwecken funktionieren? Dann wären Organisationen Prozesse, die mit psychischen Prozessen und Gruppenprozessen in Resonanz gehen und ein komplexes, im Prinzip aber beschreibbares Muster von Metadynamiken bilden. Wenn Menschen wie Teams wie Organisation seperate Eigendynamiken haben, sind weder Menschen für Organisationen und Teams noch Organisationen für Menschen und Teams noch Teams für Menschen und Organisationen da. Alle brauchen einander und reagieren aufeinander, aber sie lassen sich nicht über eine(!) Zielsetzung (etwas Humanität, Gemeinwohl, Gewinn, Zugehörigkeit oder Leistungsoptimierung u.v.a.m.) aufeinander abbilden.
Statt nun Organisation für Menschen oder Menschen für Organisationen einzuspannen, kann man das Konzept der Koppelung nutzen. Was ist damit genau gemeint? Am besten nutzt man den Vergleich von Körper und Bewusstsein: Im menschlichen Bewusstsein findet keine Zellteilung statt und diese kann dort(!) auch nicht verändert werden. Stoffwechsel und psychische Prozesse gehorchen vollkommen unterschiedlichen Regeln. Dennoch gehören Körper und Bewusstsein untrennbar zusammen. Sie sind – um den Begriff nun zu verwenden – gekoppelt, in diesem Fall sehr fest. Sie müssen wechselseitig in Resonanz gehen! Kein Bewusstsein kann seinem Körper kündigen und sich einen neuen suchen. (Auch wenn das manche vielleicht wollten! Vielleicht würde sich mancher Körper angesichts dessen, für welche psychischen Ziele er eingesetzt wird, auch gern eine andere Seele suchen).
Bei der Kopplung von Organisationen und Menschen ist jedoch ein Austausch (Kündigung, Einstellung) möglich, weil beide Systeme nicht ganz so fest gekoppelt sind. Dennoch geht es auch hier nicht ohne einander. Organisationen können ohne Menschen nicht kommunizieren, Menschen können ohne Organisationen bestimmte Ziele und Zwecke nicht erreichen. Aber beide agieren unabhängig voneinander. Der Gedanke, dass Organisationen ein „Eigenleben“ führen, das von Menschen nicht direkt gesteuert und beeinflusst werden kann, ist unvertraut und erzeugt leicht Widerspruch. Gleichzeitig spiegelt er die verbreitete Erfahrung mit Organisationen wieder, dass gute Absichten von Menschen nicht automatisch zu guten organisatorischen Verhältnissen führen. Auch die verbreiteten Klagen über den praktizierten Unsinn oder die für die Mitarbeiter schlimmen Verhältnisse in Organisationen etc. sind nur zu verstehen, wenn hinter solchen Vorwürfen die Annahme steht, dass eben die Menschen (aus denen die Organisation vermeintlich besteht) und nicht die Kommunikation die Organisation „steuern“.
Operiert man mit einem solchen Konzept der humanen Organisation, bleibt man entweder am Dauerappell hängen, dass Organisationen sich zu „bessern“ haben. Damit ist dann meist das Management, die Führung, die Hierarchie gemeint. Die handelnden Personen sollen vernünftiger, ethischer, aufgeklärter, kommunikativer, weniger machtorientiert etc. werden – dann würde es schon besser laufen. Nur – wie will man dann erklären, warum die „Hierarchie“ so häufig inhumane Entscheidungen trifft und die Wirtschaft so ausbeuterisch ist? Man muss dann mit fragwürdigen Unterstellungen (Manager mit Raffgier und Rücksichtslosigkeit) oder problematischen Großkonzepten (Kapitalistische Strukturen der Finanzwirtschaft) arbeiten, deren Abschaffung aber neuerlich außerhalb der Handlungsmöglichkeiten liegt. So bleibt dann nur noch moralische Anklage. Oder aber man kommt mit vermeintlich besseren Konzepten von Organisationen und versucht diese dann zu reformieren oder neu zu erfinden. Die Konzepte und Berater, die hierfür Vorschläge machen, sind unzählbar. Gemeinsam ist die Vorstellung eines Zielzustandes, der keine oder weniger Nachteile für die Mitglieder der Organisation hat und der gleichzeitig (!) auch die Organisation erfolgreicher macht. Versprechungen, dass allen wohl und niemand wehe gemacht wird, sind leicht zu verkaufen. Schaut man sich genauer die angeführten Beispiele an, kommen immer schnell mindestens Zweifel.
Gibt es Alternativen zur (unmenschlichen) Idee der Vermenschlichung von Organisationen?
Wenn man mit Luhmann davon ausgeht, dass Kommunikationen ein (beschreibbares) Eigenleben führen, welches zu einer sozialen Form führt, die man dann Organisationen nennt, dann müsste man vielmehr die Muster dieser sozialen Form verstehen. Wie lässt sich Organisationsdynamik so beschreiben, dass man die existierenden Verhältnisse nicht beklagen, sondern beschreiben und erklären kann? Dann braucht es – ähnlich wie in der Psychologie – ein Verständnis der Muster, die sich bilden, wenn Organisationen Entscheidungen über die Problemstellungen treffen, die sie als Organisationen (!) zu treffen haben. So wie jeder Mensch entscheiden muss, wie er mit Bedürfnissen und Ängsten umgeht, muss eine Organisation entscheiden, wie sie die vielfältigen und einander widersprechenden Zwecke verfolgt, die ihr Überleben sichern. Organisationen müssen zu sehr vielen unterschiedlichen, widersprüchlichen, gleichzeitigen und auf vielen Interessenlagen beruhenden Problemen Entscheidungen treffen. Man kann wissen, dass das nie glatt aufgehen kann.
Organisationstheorie muss eine Theorie von Licht und Schatten, von Nutzen und Schaden, von Gut und Böse sein. Sie muss nachzeichnen, dass man einem organisationalen Ziel nur dienen kann, indem man ein anderes wichtiges Ziel (vorübergehend) vernachlässigt.
Organisationstheorie muss insbesondere die Wahrscheinlichkeit von „schlechten“ Verhältnisse erklären können – statt sie zu beklagen oder verbessern zu wollen.
Organisationstheorie muss die Organisation als Organisation verstehen. Sonst kann sie auch die Rolle des Menschen in Organisation weder verstehen, noch den Menschen helfen günstige, zufrieden machende und angemessene Erwartungen und Verhaltensweisen auszubilden oder sich mit ungünstigen Erwartungen der Organisationen klug und effektiv auseinanderzusetzen.