These 3: Veränderungen geschehen jenseits von richtig und falsch
Solange es Organisationstheorien gibt, gibt es Vorschläge zu Verbesserung von Organisationen. Die „Search for Excellence“ ist überall zu beobachten und Berater präsentieren ihre Rezepte. Diese werden als „Best Practice“ zur allgemeinen Anwendung empfohlen. Diese Idee, dass etwas für die eine Organisation gut sei, weil es sich in einer anderen bewährt hat, ist ein kaum in Frage gestelltes Prinzip. Letztlich beruht es auf einem maschinellen, trivialen und technizistischen Verständnis von Organisationen: Wenn es für den einen gesund ist, muss es für den anderen auch gesund sein. Das stimmt in der Medizin genauso wenig wie in der Beratung.
Unsere Empfehlung ist deshalb sich von „Richtigkeit“ radikal zu verabschieden und statt dessen auf „Entscheidung“ zwischen gleichwertigen Möglichkeiten umzustellen. Denn: Wer allgemein sagen will, ob Konsens aller Beteiligten oder hierarchische Anweisung richtig sind, wird in jedem Fall falsch liegen. Wer grundsätzlich klären will, ob Kunden- oder Produktorientierung Erfolg bringen, wird statistisch in der Hälfte der Fälle falsch liegen. Wer Vertrauen immer der Kontrolle vorzieht, fällt genauso auf die Nase wie der der perfektes Controlling heilig spricht. Die Beispiele ließen sich mehren. Wenn man zwischen gleichwertigen, aber einander ausschließenden Polen wählen muss, gibt es nichts in sich Richtiges mehr, sondern nur punktuelle, spezifische Entscheidungen, die Vor- und Nachteile haben. Der Nutzen der Vorteile und die Tragweite der Nachteile erweist sich in der Zukunft. Und diese kann bekanntlich in der Gegenwart niemand erblicken. Entscheiden ist der Abschied von Rechnen, von Malen nach Zahlen, vom Import angeblich richtiger Vorgehensweisen.
Denn niemand kann – hier greifen wir Überlegungen von N. Luhmann auf – wissen, was man entscheidet: Man weiß nicht, was vor, nach und gleichzeitig entschieden wird. Man weiß nicht, wie seine Entscheidungen von anderen gesehen und verarbeitet werden und welche Entscheidungen man durch sein Entscheiden bewirkt. Also ist wichtig zu konstatieren: Organisationen sind komplex und Komplexitätsbewältigung bewährt sich immer nur im Nachhinein. Und darüber entscheidet nicht der Entscheider. Zudem beeinflusst jede in der Gegenwart getroffene Wahl beeinflusst die Zukunft, da bestimmte künftige Möglichkeiten „beerdigt“ werden und andere wahrscheinlicher werden. Entscheidungen haben einen rückbezüglichen Aspekt, der die Unwägbarkeit dessen, was passiert noch weiter erhöht.
Jede Entscheidung, die getroffen wird, hat in Organisationen intern systemtheoretisch drei wichtige Merkmale (und es sind Merkmale der Entscheidung, nicht der Entscheider!):
- Jede Entscheidung schafft (sachliche) Voraussetzungen für andere Entscheidungen. Sie wird also zum Element der weiteren (Selbst-)Organisation. Wird etwas entschieden, lassen sich Anschlussentscheidungen treffen. Nicht zuletzt deshalb, ist das Warten auf oder das Verzögern von Entscheidungen ein Phänomen über das in Organisationen ständig gesprochen wird.
- Jede Entscheidung stellt aber auch (soziale) Bezüge her zu anderen Entscheidungen oder unterbindet derartige Bezugnahmen. Wer bei Entscheidungen ausgeschlossen wird bzw. mitreden darf, wer sich anschließend darum kümmern oder sich damit abfinden muss, wer in seinen eigenen Entscheidungen dadurch limitiert oder mit Möglichkeiten versorgt wird – all das wird mitentschieden und wird dadurch zum Prozess des Organisierens.
- Jede Entscheidung bindet Zeit. Damit ist gemeint, dass durch Entscheidungen bestimmte Alternativen, welche die Zukunft bereitgehalten hat, ausgeschlossen werden und die Organisation für eine bestimmte Zeit auf die gewählte Alternative gebunden wird. Die Gegenwart bekommt eine Richtung. Diese Richtung übernimmt die Funktion, die in anderen Theoriekonzepten „das Richtige“ hatte.
Luhmann formuliert es so „Entscheidungen beziehen sich auf Entscheidungen. Sie schränken sich wechselseitig ein, bereiten sich vor, schließen sich aus, setzen einander unter Druck, entlasten einander, stellen Mittel bereit und definieren Zwecke für andere Entscheidungen“. Sie führen ein Eigenleben jenseits von durchkalkulierten Effekten der jeweiligen Entscheider. Daher muss jedes Entscheiden damit zurecht kommen, dass jede Begründung nur verschleiert, dass es eigentlich keinen verobjektivierbaren Grund gibt, ob nun A oder B gewählt werden. Und genau deshalb bestehen Organisationen aus der Kommunikation über und von Entscheidungen und nicht aus Menschen!
Veränderungen von Organisation brauchen daher Entscheidungen, welche die Muster des bisherigen Entscheidens verändern. Das wird in jeder Organisation zwangsläufig mit Skepsis, Gegenargumenten, Ängsten und Gegenwehr beantwortet. Das ist nicht schlecht, sondern einfach ein Organisationsprinzip, dass es immer mehr und die besseren Gründe gibt, nein als ja zu sagen. Nicht weil Mitarbeiter veränderungsavers wären, sondern weil keine Veränderung begründet werden kann, ohne dass mit jedem der verwendeten Argumente die Zahl der Gegenargumente steigt. Darum brauchen Organisationen Entscheidungsprozesse, die auf Wahrnehmungen und weniger auf rationalen Argumenten basieren. Dazu in der These 4 bald Genaueres.
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