These 1: Veränderung benötigt pathische Kompetenz
Ich möchte in loser Folge hier einige Thesen einer metatheoretischen Veränderungstheorie von Organisationen vorstellen. Die erste These dreht sich um den etwas ungewöhnlichen Begriff der pathischen Kompetenz – einer bislang wenig diskutierten Form von Resonanz auf Umweltereignisse.
Dass Veränderungen angestrebt, geplant, bewirkt und gemacht werden müssen, ist eine der großen Selbstverständlichkeiten von Organisationsberatern wie von Managern. Change wird in Projekten organisiert, die von A nach B kommen sollen und wollen – ohne dass so leicht die Idee aufkommt, dass in der vorschnellen und einseitigen Identifikation mit dem Zielzustand B, dem sich alles unterzuordnen hat, vielleicht ein größeres Problem liegen könnte.
Wenn man den Gedanken ins Feld führt, dass jede Organisation den eigenen Zustand selbst herstellt – woher sollte er sonst kommen? -, dann muss man genauer hinschauen. Wenn die weitere Einsicht hinzukommt, dass komplexe soziale Systeme wie Organisationen keinen Gesamtüberblick über sich selbst haben können, dann drängt sich die Vermutung auf, dass jede Organisation, die sich verändern möchte, einer Dynamik unterliegt, die sich so beschreiben lässt:
Es lassen sich Kräfte beobachten, welche den Status quo erzeugen und stabil halten, und es gibt welche, die mit dem Status quo unzufrieden sind. „Wir müssen uns verändern…!“ Ein organisationales Sub-System (Das „Wir“) will offensichtlich ein anderes Sub-System (Das „Uns“) verändern! Wann immer also ein Veränderungsimpuls entsteht, ist folglich von zweiBestrebungen auszugehen. Wenn der Status quo vollkommen dysfunktional wäre, gäbe es ihn nicht. Folglich ist damit zu rechnen, dass jede Veränderungsabsicht (eines Subsystems) Beibehaltungsaktivitäten (bei anderen Subsystemen) erzeugt. Das Problem im Hinblick auf die Veränderungsabsicht entsteht, wenn nun – wie häufig zu beobachten – die Veränderungsabsicht als gut, sinnvoll und überlebensnotwendig etikettiert und die anderen Kräfte als widerständlerisch, als uneinsichtig, als überholt oder aufklärungs- und schulungsbedürftig angesehen werden.
Das führt nämlich sehr schnell dazu, dass die beiden Sub-Systeme die Perspektiven und die Motive des jeweilig anderen nicht nachvollziehen können und ein Kampf um die „richtige“ Haltung entsteht.
Das veränderungswillige Sub-System der Organisation
- versteht nicht den Nutzen des Bestehenden,
- überzeichnet die Chancen und Effekte der avisierten Ziele und
- redet die Risiken des Neuen klein.
Das stabilitätsaffine Sub-System der Organisation
- versteht nicht den möglichen Nutzen des Neuen,
- bagatellisiert die Probleme des Bestehenden und
- sieht in den avisierten Veränderungen im Wesentlichen nur Gefahren.
Aus diesen Überlegungen – nimmt man sie ernst – ergeben sich umfassende Konsequenzen für die Form der Dynamik in Organisationen: Man ist dann mit der Frage konfrontiert, ob man mit den zwangsläufigen bestehenden Polaritäten anders umzugehen kann, als sie gegeneinander in Stellung zu bringen. Denn dann richtet sich die Aufmerksamkeit darauf, wie es einem sozialen Sub-Systemen gelingen kann mit etwas, was ihm widerstrebt, widersteht und widerspricht, in neugierige Resonanz gehen?
Die Resonanzfähigkeit in Form von „Neugier“ der Sub-Systeme einer Organisation wird so von überragender Bedeutung für die Möglichkeit gemeinsamen Wandels. Neugier entsteht aus dem Wissen um Viel- und Mehrdeutigkeiten und im Anerkennen dessen, dass die Welt stets Unerwartetes, Unbekanntes und Ungeliebtes bereit hält. Diese Art der Neugier gründet also nicht auf dem Aktiven, sondern auf dem, was man mit einem alten und unüblichen Wort, das „pathische“ Vermögen nennt. Es besteht in der Fähigkeit auf sich einwirken zu lassen. Oder – schärfer formuliert – sich mit dem möglichen Nutzen des Lästigen zu befassen.
Beide Sub-Systeme einer Organisation – die für und die gegen eine im Raum stehende Veränderung sind – dürfen zunächst nicht auf durchsetzungswilliges Handeln setzen, sondern auf Erforschen der „Gegen“-Seite, nicht auf eigenes Wollen, sondern auf Erkunden des anderen! Ohne diese Schritt wird keine Gemeinsamkeit möglich werden. Dies braucht einen Prozess, in dem – meist beide Seiten – etwas aufgegeben und losgelassen haben. Es braucht eine Kompetenz, die mit dem, was sich nicht dem eigenen Willen fügt, umgehen kann. Dazu braucht es auf Seiten der Mitglieder der Organisation eingeübte emotionale Fähigkeiten, die darin bestehen, wie man sich von Ideen, Idealen, Liebgewonnenem, Überzeugungen löst und wie man mit guten Gefühlen nachgibt, anderen Einfluss gewährt. Ein weiteres altes Wort für dieses Bündel an Kompetenzen wäre Demut.
Eine solche demütige pathische Kompetenz ist im Management (und bei Beratern) nicht weit verbreitet. Da wird eher instruiert und gemacht, man versucht zu überzeugen, stellt Belohnungen oder Bestrafungen in Aussicht. Kurzum es werden eher dysfunktionale Erscheinungsformen von Hierarchie gepflegt. Resonanzbereitschaft auf Fremdes weist er auf eine wichtige und bislang unterschätzte Dimension der Organisationstheorie hin, die mit weiteren Begriffen wie Loslassen, Aufgeben, Selbstzweifel und Verunsichern-lassen einhergeht. Wenn alle sich durchsetzen wollen, wo sind dann die zu finden, die klug nachgeben? Alle reden vom Andere-Überzeugen-wollen, aber wo lernt man das Sich-Überzeugen-lassen? Otto Scharmer hat mit seiner Theorie U dazu einige kluge Vorschläge gemacht und die zunehmende Verbreitung von vielen Dialog- und Großgruppenformaten spricht für sich. Das alles wird aber häufig leider neuerlich in die eine Richtung – Lernen ist gut! – gewertet und schon ist man wieder beim Kampf der Pole und beim Primat der Umsetzung neuer Zwecke und Ziele. Solange die Protagonisten des Neuen von den Protagonisten des Bestehenden nichts über die eigenen Schattenseiten erfahren wollen und umgekehrt, fehlt es an pathischer Kompetenz. Das führt zu nichts anderem als zum Kampf der von sich selbst überzeugten Sub-Systeme gegen die, die die jeweiligen gegensätzlichen Überzeugungen haben. Diese dysfunktionalen, stagnativen Konflikte lassen sich überall in Organisationen beobachten. Stillstand, Desorientierung oder Zerfall werden so wahrscheinlich.
In Organisationen braucht es immer beide Pole. Wie Ein- und Ausatmen. Und es braucht daher eine Organisationstheorie, die gegensätzliche Pole in sozialen Systemen als unabdingbar und unüberwindbar im Spiel halten kann und Konzepte anbieten kann, wie diese Kräfte zum Wohl des Ganzen genutzt und gestaltet werden können.
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