Klaus Eidenschink
Verzichten muss man lernen
Energie sparen, Konsum mindern, Mobilität einschränken, Kalorien reduzieren – Verzichten wird demnächst groß geschrieben. Warum ist Verzicht nötig? Die Gründe liegen auf der Hand. Wieso fällt es vielen so schwer, Freuden im Heute zugunsten einer guten Zukunft zu reduzieren? Ganz einfach: Man muss Verzicht lernen. Wie eine Sprache oder Bodenturnen. Niemand kann das von allein.
Es gibt ein altes Wort für diese Kompetenz: Askese. Die Definition bei Thomas von Aquin, dem katholischen Scholastiker der Mittelalters, war: Askese ist die Übung im freiwilligen Verzicht auf Güter, die an sich erreichbar wären. Diese Kompetenz war über Jahrhunderte hinweg kaum nötig und war das Bildungsschema einer kleinen Elite der Mönche: Man erlernte Keuschheit, Gehorsam und Armut zum Wohlgefallen Gottes und um den normalen Menschen zu zeigen: Man kann mit wenig gut auskommen. Denn die Masse musste sowieso zumindest mit Armut und Untertanensein klar kommen. Heute ist das anders. Unser Problem (insbesondere im Wohlstandseuropa) ist nicht die Armut, sondern der mögliche oder vorhandene Reichtum und die Fülle der Möglichkeiten an Mitsprache, Partizipation, Lebensentwürfen und Lebensstilen! Das ist ein gewaltiger Unterschied, da es keine Sonderkompetenz von Wenigen, sondern eine Notwendigkeit für Viele sein wird. Daher müssen heute viele lernen, was damals nur wenige (überwiegend freiwillig) sich mühevoll erarbeitet haben.
Schau ich mir nun an, wie die Appelle an Vernunft und Gewissen gebaut sind, die in den Medien und in den Köpfen vieler herumgeistern, dann fällt auf, dass es weniger um Askese geht sondern um Selbstkasteiung und -beherrschung. Man verlangt sich etwas ab, macht Vorsätze, hält sie eine zeitlang vielleicht auch durch, sieht ihre Nutzlosigkeit für das große Ganze, wird nachlässiger, gibt es ganz auf. Alternativ wehrt man sich gegen Ansprüche anderer, Verzicht zu leisten. Nicht jeder möchte die starken Schultern haben, die mehr tragen sollen. Fast jeder findet gute Gründe dafür, dass man „es“ sich verdient hat, „es“ schon gut gehen wird, „es“ andere ja auch (nicht) machen und besonders beliebt: Dass die Appellierenden selbst nicht leben, was sie fordern. Dann muss man selbst auch nicht.
Das kann so nicht funktionieren. Unseren Reichtum, unseren Lebensstil loszulassen wird nicht leicht. Verzicht muss man wie schon gesagt lernen. In der Form von Selbstkasteiung und Vorsätzen hat es noch nie funktioniert. Das wird es auch diesmal nicht tun. Etwas, das man an sich oder anderen bekämpft, macht man stärker, nicht schwächer! Die kirchliche Tradition steckt selbst voller grausamer Beispiele, was geschieht, wenn man Verzicht über (Selbst-)Beherrschung anstrebt. Selbstbeherrschung setzt auf Willenskraft, Askese hingegen ist ein Seelenzustand.
Wer Erreichbares oder Vorhandenes loslassen will, braucht die Kunst der Askese. Diese hat nichts, aber auch gar nichts mit einer Züchtigung der Vorlieben oder gar einem Kampf gegen Bedürfnisse zu tun. Im Gegenteil. Askese achtet Bedürfnisse! Allerdings macht sie sich nicht abhängig von den Bedürfnissen, sondern macht sich frei vom Befriedigungszwang. Durch die Fähigkeit – wieder ein altes Wort – zu entsagen, muss man sich nicht mit Hilfe von äußerem Genüssen vom inneren Genuss ablenken. Bedürfnisse werden so Grundlage von echter innerer Freiheit, nicht Mittel der Ablenkung von inneren Spannungen. Dazu bei nächster Gelegenheit mehr.
Wir können in den kommenden Krisen aus Not und durch Zwang den Verzicht zu erfahren. Das ist das Wahrscheinliche und führt dann zu Verteilungskämpfen. Oder wir tun es freiwillig und lernen eine Ethik des Sich-Lösens von Möglichkeiten schon vorher. So wie Schönschreiben in der Schule. Wie das geht?
Der einfachste Anfang, den jeder selbst austesten kann, ist, eigene Ansprüche zu nutzen. Bei jedem Anspruch, den man an sich, an andere und an die Welt richtet, könnte man innezuhalten. Denn – Ansprüche sind gewissermaßen das Gegenteil von Askese und der Inbegriff von Unfreiheit. Ansprüche machen abhängig. Abhängig von Mobilität, abhängig von Gerechtigkeit, abhängig von Selbstbestimmung und Partizipation, abhängig von dem, was uns lieb und teuer ist. Bei jedem dieser Punkte weiß man dann schon mal: Hier ist man Gefangener seiner selbst und hat sich ins tiefste Verlies der eigenen Burg gesteckt. Da sind Ansprüche ein guter Startpunkt, um die Wonnen der Askese zu entdecken.
Wer will, kann damit fortfahren seine Aufmerksamkeit von Außenreizen auf Innenreize zu refokusieren. Der innere Reichtum kostet nichts und erneuert sich jeden Tag.
Schlussendlich lässt sich entdecken, wie außergewöhnlich Einfachheit ist. Viele große Künstler – Maler, Komponisten, Schauspieler – imponieren durch Vollendung in der Einfachheit. Es braucht wenig für Vollkommenheit.
Jede, jeder der möchte kann Askese üben. Verzichten macht dann frei, nicht arm. Niemand ist Asket. Es ist ein Weg des Übens. Die berühmten Geschichten über „Versuchungen“ von Heiligen und wie sie ihnen erliegen oder auch nicht, sind ein Teil des Menschheitswissen darüber, dass Vollkommenheit kein Merkmal von Askese ist. Wer aus Askese einen Anspruch macht, darf bei Schritt eins oben wieder anfangen!
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