Klaus Eidenschink
Selbstregulation in Konflikten
Habe ich einen Konflikt oder hat der Konflikt mich?
Weit verbreitet wird Konflikt als etwas gesehen, was Menschen gestalten. Das stimmt zur Hälfte. Die andere Hälfte der Wahrheit ist, dass Konflikte die Menschen gestalten. Das kann etwas verwundern, vielleicht auch kränken. Dass der Mensch nicht Herr im eigenen Haus ist, weil viel unbewusste Impulse uns beeinflussen, kann man seid Freud schon wissen. Aber auch in sozialen Kontexten entwickeln sich Muster, die wie Magnete wirken. Sie legen sich Menschen so zurecht, wie es nötig ist, dass sich Formen des Miteinanders stabilisieren und entfalten. Das gilt insbesondere für Konflikte.
Jeder kennt es, dass er sich in Konflikten selbst und andere kaum wiedererkennt. Eben noch ruhig, jetzt erzürnt und ungehalten, eben noch laut und selbstbewusst, jetzt leise und schüchtern. Jeder Mensch hat so etwas wie eine Konfliktpersönlichkeit, die in Konflikten in verschiedensten Spielarten und Facetten aufgerufen wird. Das sollte man wissen, wenn man Interesse hat, nicht schlicht ausführendes Organ einer Konfliktdynamik zu werden, sondern in der Lage bleiben will, eigene gestaltende Impulse bewusst in die Kommunikation einzubringen. Das ist umso wichtiger, je weiter ein Konflikt sich entwickelt hat. Denn je intensiver sich ein Konflikt etabliert hat, desto knapper wird die gefühlte Zeit: Man muss schnell reagieren, man kann das nicht auf sich beruhen lassen, man muss den anderen unterbrechen, um selbst gleich das Wort zu haben.
An den vielen „müssen“ in diesem Satz kann man erkennen, wie unfrei man in Konflikten zu werden droht. Man hat keinen Konflikt, sondern der Konflikt hat mich!
Muss ich aggressiv sein?
Auf der aggressiven Seite der Möglichkeiten ist dieser Vorgang in der Sience-Fiktion-Figur „HULK“ dargestellt, der im Fall des Sich-Ärgerns zu einem großen, grünen, ungesteuerten und undosierten Monsters wird.
Daher – es gibt nichts Wichtigeres, als dass man die Form dieser „Konfliktperson“ in sich kennt. Nur so behält man seine Selbststeuerungsfähigkeit gegenüber dem Konflikt. Nur so kann man selbst (und nicht die soziale Dynamik) entscheiden, ob man den Konflikt stärkt oder schwächt, anheizt oder abkühlt, ausweitet oder eingrenzt.
Hier nun einige Fragen, wie man erkennen kann, ob man den HULK in sich steuern kann.
- Habe ich die Freiheit, zu warten, ob ich reagiere, oder muss ich gleich handeln?
- Habe ich die Freiheit, dem anderen gezielt und spezifisch zu widersprechen oder muss ich generell alles in Frage stellen, was dieser sagt?
- Habe ich die Freiheit, vielfältige Ansichten zum Thema hilfreich zu finden, oder gibt es für mich die eine Wahrheit, die ich hier durchsetzen muss.
- Habe ich die Freiheit, offen zu halten, wie die unterschiedlichen Standpunkte zu bewerten sind, oder muss ich mein Urteil klar und eindeutig zu meinen Gunsten fällen?
- Habe ich die Freiheit, beim anderen zu erforschen, ob er auch meine Wünsche im Blick hat, oder habe ich die Erwartung, dass vom anderen etwas „Gutes“ kommen könnte, aufgegeben?
- Habe ich die Freiheit, mal bestätigend und mal ablehnend auf den anderen zu reagieren, oder steht mein Nein zu ihm, schon fest, bevor er gesprochen hat?
- Habe ich die Freiheit, zu erkunden, um was es dem anderen geht, oder muss ich nur noch darauf aus sein, die eigenen Mitteilungen an den anderen hin zu sprechen?
- Habe ich die Freiheit, die Gründe für den Konflikt auf allen Seiten zu suchen, oder kommt es mir ausschließlich darauf an, den anderen seiner Schuld zu überführen?
- Habe ich die Freiheit, als nicht entschieden anzusehen, wie es am Ende ausgeht, oder setze ich alles daran als Sieger vom Platz zu gehen?
- Habe ich die Freiheit, selbst einige meiner Ziele, Werte etc. in diesem Konflikt aufzugeben, oder muss ich alles drauf setzen, dass der andere aufgibt, wenn ich nur genügend drohe?
Muss ich nett sein?
Nun ist ungünstige, weil fixierte Aggression nur die eine Seite, auf der man vom Pferd fallen kann. Die anderes Seite ist fixierte Nettigkeit. Wer nicht die Wahl hat zur eindeutigen, klaren und konsequenten Aggression, kann Konflikte demnach ebenfalls nicht regulieren. Die diesbezüglichen Fragen könnten wie folgt lauten:
- Habe ich die Freiheit, klar und grundsätzlich zu widersprechen oder muss ich den Konflikt sofort klein reden?
- Habe ich die Freiheit, eine einzige Lösung und keine andere zu propagieren, oder muss ich auch das Körnchen Wahrheit beim anderen sehen?
- Habe ich die Freiheit, meine Wahrheit mit klarem Anspruch zu vertreten, oder muss ich meine Standpunkte relativieren?
- Habe ich die Freiheit, den anderen als eindeutig feindselig zu betrachten, oder muss ich ihn als imgrunde wohlwollend ansehen?
- Habe ich die Freiheit, konsequent zu allem nein zu sagen, oder muss ich immer auch Konstruktives beim anderen sehen können, zu dem ich ja sagen könnte?
- Habe ich die Freiheit, das Rederecht zu behaupten und zu verteidigen, oder muss ich strikt darauf achten, dass auch der andere zu Wort kommt?
- Habe ich die Freiheit, den anderen zu beschuldigen, oder muss ich mich sofort auch mit meinen eigenen Anteilen befassen?
- Habe ich die Freiheit, mich durchzusetzen, oder muss ich auch die Interessen des anderen als für mich wichtig ansehen?
- Habe ich die Freiheit, auch Drohungen für meine Zielsetzungen zu nutzen, oder muss ich aus Angst lieber aufgeben?
- Habe ich die Freiheit, schnell zu reagieren, oder muss ich erstmal mich zurückziehen?
Wenn der Konflikt nicht enden soll,
- durch Abbruch oder Vernichtung einer Seite (als Argument, als Freund oder als Mensch) oder
- durch vorschnelle und ungünstige Befriedung einer unhaltbaren Situation,
dann braucht der Konflikt Menschen, die beides können: Eskalieren und deeskalieren! Diese Kunst will erlernt sein. Kunst ist hier ernstgemeint, denn Kunst basiert auf Weisheit, nicht nur auf Wissen. Jeder kann selbst für sich klären, wie weit er oder sie auf diesem Weisheitsweg gekommen ist.
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