Klaus Eidenschink
Wie kann man andere beruhigen? (Teil 4)
Günstiges und weniger Günstiges im Umgang mit Menschen in Angst
– Eine Minihandreichung in vier Teilen –
Zum Schluss der Reihe – hier Teil 1 , Teil 2 und Teil 3 – erkläre ich eine vierte von dsyfunktionalen Formen sich in chronisch in Ängste zu begeben. Es ist die umfassendste und die mit den schwerwiegendsten Nebenfolgen. Es geht um Zustände, in denen die Menschen meinen, sie hätten keine Ängste und die dabei auch vollkommen souverän und glaubwürdig wirken. Wie ist das möglich und wie kann man darauf eine gute Antwort finden?
Zunächst – wie nun schon gewohnt – starte ich mit einem Beispiel.
„Der Held, der in jeder Krise nur die Chancen sieht!“ – oder vom Schrecken der Zwangssouveränität
Kurz vor den Ausgangsbeschränkungen aber schon in Mitten der Coronakrise kommt ein Kollege in Supervision. Er ist vornehmlich im Trainingsgeschäft, wie auch als Speaker und Coach unterwegs. Sein Lieblingsspruch angesichts der Verhältnisse und dem sich abzeichnenden Auftragseinbruch ist: „Was mich nicht umbringt, macht mich nur stärker!“ Er strotzt vor Optimismus, Tatkraft und erzählt mir eine Flut von Ideen und Geschäftsmöglichkeiten, die er in den nächsten Wochen anpacken will. Die Videosoftware Zoom hat er schon vor allen anderen Kollegen sich angeeignet, Online-Seminare reizen ihn ungemein und alles sieht er als Schub für diejenigen, die nun nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern die Gelegenheit beim Schopf packen.
Meine innerliche Resonanz ist: Ich bin beeindruckt! Sollte ich den Stuhl mit ihm wechseln? Geht er nicht viel souveräner und besser mit der ungewissen Zukunft um als ich? Ich fühle mich ein wenig klein und kleinmütig. Ich teile ihm diese Resonanz mit und frage ihn, wie er auf meine Selbstmitteilung innerlich antwortet. „Darf ich ehrlich sein?“, sagt er, „Ich hätte das gerade von Dir am wenigsten erwartet! Da verliere ich schon ein wenig den Respekt und möchte Dir aber durchaus gern helfen.“ Darauf ich: „Jetzt mal angenommen, es gäbe auch in Dir einen ängstlichen Teil, der sich grad große Sorgen um seine drei Kinder macht und ob er die Hypothek weiter wird bezahlen können – wie wäre diesem Teil wohl zumute, wenn er Dich in Deiner Souveränität den ganzen Tag erleben würde?“ Schweigen, langes Schweigen. sehr langes Schweigen. Dann der Satz: „Aber ich kann doch nicht alles enttäuschen, was ich immer sein wollte“ Tränen, viele Tränen.
Das „Ich darf mich nicht spüren“ – Muster
Wie lässt sich ein solcher Zustand erklären? Es sind dies Menschen, die ihr Leben einem dysfunktionalem Ich-Ideal geweiht haben- Sie spüren und zeigen keine Angst. Sie sind zwanghaft souverän, optimistisch, tatkräftig, erfolgssuchend und proaktiv. Sie leben und verkörpern das, was sie immer sein sollten:
- Der Sonnenschein, der alle zum Lächeln bringt,
- der erfolgreiche Sohn, der das schafft, was den Eltern selbst verwehrt war,
- die Tochter, auf die die Eltern stolz sein können,
- das Kind, das nie Probleme macht,
- der Dauerglanz in den Augen der Anderen,
- die, die so begabt, so schön, so klug, so geliebt sein mussten, usw.
Man lebt nicht das eigene Leben, sondern spielt eine Rolle im Regiebuch des Erfolgs.
Das gleiche Muster gibt es auch spiegelbildlich: Man rebelliert gegen negative Erwartungen, die von Außen kamen: Du bist zu klein, zu groß, zu dumm, zu langsam, zu schnell usw…! Letzteres trifft für obigen Klienten zu: Er bekam von klein auf das Gefühl vermittelt, dass er im Vergleich zum hochbegabten Bruder eine einzige Enttäuschung ist. Das wurde nie so gesprochen, aber er konnte es spüren. Seine ganze Kraft ging schon immer dahin, das Gegenteil zu beweisen. Vom Looser zum Winner. Er lebt den Kampf gegen die verinnerlichte Einstellung, die seine Eltern zu ihm hatten. Daher verliert er sofort den Respekt zu mir, wenn er mitbekommt, dass in mir Unsicherheit steckt.
Wenn Menschen, von klein auf allein waren, weil sie kein Echo auf sich, sondern auf das, was die Eltern in ihnen sehen wollten, bekommen haben, dann sind sie letztlich ständig in Angst. Beiden Mustern – der angepassten wie rebellischen Variante – ist gemeinsam, dass es an echter Resonanz gefehlt hat und ständig weiter fehlt. Da der Mensch aber am Du zum Ich wird (Martin Buber), ist es ein großes Problem, wenn man nie als Du gesehen wurde. „Du bist, was ich in Dir sehe!“ ist das (unbewusste und oft „liebevoll“ gelebte) Motto. So wird man das, was man sein soll und hört auf sich selbst zu spüren. Angst wird unbewusst und komplett verneint.
Der Körper und damit der Selbstausdruck werden zur Präsentationshülle.
Es ist nachgerade unausweichlich, dass Menschen mit einem solchen Muster, auch in Krisenzeiten das liefern, was vermeintlich oder wirklich gefragt ist. Das qualifiziert sie vordergründig besonders gut als Führungskraft, aber eben auch als Berater etc.! Alles wird zur Lernchance, alles wird zur Gelegenheit es allen zu zeigen, alles dient dem Beweis der eigenen Großartigkeit. Aber wo ist das Problem?
Ungünstige Folgen
Die Nachteile sind evident. Wer sich nicht spüren kann, verliert alles, egal wie berühmt oder erfolgreich jemand dabei wird. Da kann man nun sagen, wenn es jemand nicht spürt, ist es doch auch egal. Wer Menschen, in solchen Mustern auch nur einmal im Sterbeprozess begleitet hat, der ist von dieser Illusion fürs Leben geheilt. Spätestens dann bricht das Ich-Ideal zusammen und die Leere eines nicht gelebten Lebens wird spürbar. All der Schmerz des Allein-gewesen-seins, all die Überforderung, all der Wunsch, sich einmal nur nackt und bloß und ohne Leistung festhalten zu dürfen, brechen aus den Menschen heraus. Das passiert natürlich auch in psychotherapeutischen Sitzungen oder – zu allermeist – beim Scheitern an den selbst aufrecht erhaltenen Erwartungen.
Die Folgen im Außen sind nicht weniger gravierend. Wer einem inneren Muster verpflichtet ist, kann nicht mehr frei und angepasst auf die Situation reagieren. Man muss!
- Daher kämpft man auch dann noch, wenn man fliehen sollte,
- man strengt sich auch dann noch einsam an, wenn man Hilfe braucht,
- man imponiert anderen auch dann noch, wenn man gemeinsam Ängste teilen sollte.
Damit geht im sozialen Kontext die Situationsangepasstheit sehr leicht verloren. Zudem werden solche Menschen oft nicht in Frage gestellt und damit gehen Organisationen und Teams zu lange in die falsche Richtung. So teilen sie wie Moses zunächst scheinbar das Meer, aber die Flut bricht leider mitten im Grund des Ozeans über alle herein.
Ungünstige Antworten
Die größte und am meisten zu beobachtende ungünstige Antwort ist: Man ist beeindruckt und hält das Ich-Ideal für bare Münze. Man liefert die Bewunderung, die stimuliert wird und die Menschen in solchen Nöten stabilisiert. Meist gibt es auch Gründe gibt, etwas gut zu finden, fällt es oft nicht so auf. Nur – für Menschen, die Bewunderung brauchen, ist es Gift Bewunderung zu bekommen! Bewunderung ist der Ersatz für die Liebe, die nie dem eigentlichen „Ich“ gegolten hat. Ganz generell sollte man skeptisch werden, wenn ganze Personen und nicht deren Leistungen bewundert. Fähigkeiten, Talente und Erfolge anderer kann, darf und sollte man bewundern, die Menschen selbst sollte man – wenn man möchte – besser lieben!
Auch Gefolg- oder Anhängerschaft ist eine naheliegende Versuchung. Vermutet man doch in solchen Bühnenleistungen eine Sicherheit, die einem selbst hilft, mit Ängsten klar zu kommen. Man glaubt den Ratschlägen, den Strategien, den Pläne solcher Menschen nur allzugern. In Zeiten der Not, der Verunsicherung nimmt man das umso lieber. Der Held, die Heldin, der starke Mann, die starke Frau, der „Leader“, der der Größe verspricht – für sie sind leider gerade die unsicheren Zeiten die, in denen sie am meisten Zuspruch erfahren. Dann schlägt ihre Stunde und die Kritik an ihnen verstummt.
Das Gegenteil – man versucht am Lack zu kratzen – ist ebenfalls selten hilfreich. Die Empfindlichkeit gegen Kritik ist bei solchen Angst-vor-innerer-Leere-Muster besonders groß. Hinter dem Macker lauert ein mickriges Gefühl von Nicht-wissen-wer-bin-ich“. Daher hilft Kritik nicht, sondern führt zum Streit, zur Distanzierung oder zum Beziehungsabbruch.
Was hilft Betroffenen wirklich?
Die Überschrift zur Gesamtreihe „Wie kann ich andere beruhigen?“ passt zu diesem Angstzustand im Grunde nicht. Denn – es ist ja schon deutlich geworden – das Problem besteht in der fehlenden Angst! Daher braucht es hier keine Beruhigung, sondern Kontakt. Kontakt entsteht zwischen Menschen, wenn sie einander mitkriegen lassen, was sie während des Zusammenseins erleben. Im Beispiel oben also meine Versuchung, mich klein zu machen und dass mir das unangenehm ist. Wenn unter Alltagsbedingungen etwas hilft, dann ist es oft die eigene Verletzlichkeit ins Spiel zu bringen. Man muss dann nur gut darin sein, es wegzustecken, wenn es ausgenutzt oder abgewertet wird.
Wer einen Weg erspüren kann, wie die abgründige Einsamkeit in Menschen mit einem solchen Muster angesprochen werden kann, der sollte ihn versuchen. Bisweilen ist das leichter als man meint, manchmal aber auch unmöglich. Gerade, wenn jemand in öffentlichen Rollen oder auf Bühnen sich hervortut, ist die Chance dem immer schon nicht-erhörten Teil der Seele etwas zuzurufen, was dieser aufnehmen kann, nicht so allzu hoch.
Damit bin ich am Ende dieser kleine Serie zum Umgang mit sehr unterschiedlichen Angstmustern. Sie haben eines gemeinsam: Ängste machen allein und sind Folgen von Alleingelassen worden sein. Daher verändern sich Ängste selten durch Nachdenken und Reden über die Angst. Denken allein verändert nicht das Fühlen. Fühlen im Kontakt verändert das Fühlen.
Wer erlernen möchte, wie man mit einem solchen Verständnis differenziert und klientengerecht als Coach arbeiten kann, der findet bei Hephaistos, Coaching-Zentrum München, was er sucht.
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