Klaus Eidenschink
Vertrauen oder Hoffnung?
Gedanken zu einem bedeutsamen Unterschied!
Viele hoffen auf bessere Zeiten, wenn die Krise denn vorbei ist oder auf eine grundlegende Änderung des „Systems“. Ein Text von Matthias Horx, dem Zukunftsforscher, macht gerade die Runde und wird vielfach geteilt. Man macht sich wechselseitig Mut, in dem man hofft, dass es gut ausgeht. Ist das gut? Vielleicht! Ist das nur gut? Eher nicht! Zeit für eine Klärung.
Wenn Begriffe wie ‚Hoffnung‘ häufig benutzt werden, tut man gut daran, sich zu vergewissern, was damit gemeint ist. Was bedeutet Hoffen und wie unterscheidet sich der Begriff von anderen, die scheinbar ähnlich sind? Meine Überlegungen fokussieren hier auf den Unterschied zwischen Hoffen und Vertrauen und unter welchen Bedingungen Hoffen wie Vertrauen hilfreich oder schädlich sind.
Was bedeutet Hoffnung?
Wer hofft, setzt darauf, dass eine erwünschte Zukunft eintritt. Das etablierteste Ritual sind seit Jahrtausenden Gebete. „Lieber Gott mach, dass …!“ Auch wenn für viele der Adressat für die Erfüllung der Hoffnung aus der Mode gekommen ist, das Prinzip bleibt auch wenn die Empfänger anders benannt werden. Dann soll es eben der Lauf der Welt, das Schicksal oder die Politik oder der Staat oder wer auch immer richten.
Was sind die Nachteile von Hoffnung?
Hoffen setzt auf äußere Verhältnisse. Es soll sich im Außen die Situation so verändern, dass man sich wieder wohl oder wohler fühlen kann. Das hat zum einen den Nachteil, dass man sich abhängig macht vom Eintreten des erwünschten Szenarios. Gleichzeitig fixiert man seine Aufmerksamkeit darauf und prüft ständig, ob es schon Anzeichen gibt, dass der erhoffte Zustand einzutreten beginnt. Es entwickelt sich eine Art „Hoffnungsradar“, der Energien bindet, den Blick verengt und die Offenheit für andere gute Entwicklungen meist zu reduzieren droht. Schlussendlich ist Hoffnung die kleine Schwester des Klagens. Wenn das, was ich mir erhoffe, nicht eintritt, bleibt nur ohnmächtiges Klagen. Meist ist der seelischer Zustand damit schlechter, als er gewesenen wäre, wenn ich erst gar keine Hoffnung in eine bestimmte Richtung investiert hätte.
Und welche Vorteile sind mit Hoffnung verknüpft?
Die Vorteile der Hoffnung liegen daher eher in der jeweiligen Gegenwart. Wer hofft, erlebt oft den Effekt, dass er sich stabilisiert und motiviert ist, etwas zu tun. Hoffnung ist damit eine Art Gegengift gegen Ohnmacht und Resignation, aber auch gegen Überforderungsgefühle und Überlastung. „Morgen wird es besser…!“ hilft den Schmerz im Heute leichter zu ertragen. Sofern einem bewusst bleibt, dass die erhoffte Zukunft nicht wahrscheinlicher wird, dadurch dass man sie erhofft, ist also gegen Hoffnung nichts zu sagen. Denn Selbststabilisierung und Leidtoleranz haben natürlich auch den Effekt, dass man dann tatsächlich etwas wahrscheinlicher dazu beiträgt, dass die Lage sich bessert.
Was ist Vertrauen?
Wer vertraut setzt darauf, dass er mit dem, was kommt, gut zurecht kommt. Man legt sich also nicht auf eine erwünschte äußere Zukunft fest wie bei der Hoffnung. Die fehlende Sicherheit in Bezug auf die äußere Zukunft wird durch eine innere Sicherheit ersetzt. Innere Sicherheit ist gleichbedeutend mit Selbst-Vertrauen, dass man mit der unbekannten Zukunft zurecht kommen wird. Wer ein solches Selbstvertrauen erworben hat, der muss nicht wissen, wie die Zukunft wird, sondern er findet in jedem Moment eine Antwort auf die Erfordernisse. Ein Schifahrer mit Selbstvertrauen hofft nicht, dass er den steilen Hang gut hinunter kommt, er plant oben auch nicht jeden einzelnen Schwung, sondern er verlässt sich darauf, dass er von Buckel zu Buckel eine Antwort findet auf die Geländeformation.
An diesem Bild lässt sich auch zeigen, dass diese Art von Vertrauen auf Vertrautem basiert. Ich bin vertraut damit, dass ich Schifahren kann. Mein (Selbst-)Vertrauen würde sofort weg sein, würde man mich auf ein Wellenreiterbrett stellen. Das ist wichtig, weil damit verständlich wird, warum bei Krisen, die die vertraute Welt verändern, das Vertrauen schwindet. Solche Krisen nennt man im Moment Corona, vor ein paar Wochen noch Digitalisierung, disruptiver Wandel, etc. Dazu gleich mehr, zunächst zu Vor- und Nachteilen.
Die Vorteile von Vertrauen
Die Vorteile von Vertrauen sind erheblich. Man ist unabhängig vom Außen, weil Vertrauen (anders als Hoffnung) ja nicht darauf setzt, dass es gut ausgeht, sondern dass man mit beiden Varianten des Ausgangs zurecht kommt. Wer etwa dem Geschäftspartner vertraut, dass dieser redlich ist und nicht andere übers Ohr hat, der braucht dieses Vertrauen ja deshalb, weil man weiß, dass es grundsätzlich anders möglich wäre. Vertrauen heißt nicht, dass ich das nicht für möglich halte, sondern dass ich so tue, als ob es diese Möglichkeit nicht gibt. Damit muss ich keine Kontrolle ausüben, ich erspare mir die Komplexität einer Überwachung und ermögliche mir ein entspanntes Leben. Vertrauen heißt damit immer, auch dann zu vertrauen, wenn Anlass zu Misstrauen wäre. Andernfalls bräuchte ich überhaupt kein Vertrauen! Wenn der Partner mich nicht betrügen könnte(!), müsste ich auch nicht vertrauen. Vertrauen hat also den Vorteil, dass es mit vielen künftigen Entwicklungen zurecht kommt.
Welche Nachteile bringt Vertrauen mit sich?
Wenn ich in mich selbst vertraue und es geht dann schief, dann ist das bedeutend schwerer zu handhaben, als wenn ich gehofft habe, dass es gut wird. Es findet dadurch ein Wechsel im Adressieren der Schuldfrage statt. Wenn ich hoffe, bin ich enttäuscht vom lieben Gott oder dem Schicksal, den Umständen, der Politik etc.. Wenn ich jedoch vertraut habe, bin ich enttäuscht von mir. Ist man von sich selbst enttäuscht, braucht man daher zwangsläufig Enttäuschungskompetenz. Diese zeigt sich immer darin, dass man auf Selbstvorwürfe und Anschuldigungen („Wie doof war das denn!“) verzichten kann. Man braucht keinen Schuldigen, auch nicht sich selbst. Stattdessen braucht man die Fähigkeit zu trauern und zu bedauern. Da diese Kompetenz nicht wirklich weit verbreitet ist, ist Selbstvertrauen – das wirklich diesen Namen verdient und nicht nur Selbstverliebtheit ist – rar gesät. Früher nannte man diese Fähigkeit Demut, heute hat sich das Wort „Selbstmitgefühl“ durchgesetzt.
Ein weiterer Nachteil von Vertrauen ist, dass man sich überschätzen kann. Selbstvertrauen kann einen in überfordernde Situationen bringen, man kennt das von Kindern: „Mami, ich kann das alleine!“. Daher braucht man einen Plan B, wenn man sich überschätzt hat. In aller Regel besteht dieser Plan B im Wechsel von Selbst-Vertrauen zu Vertrauen in eine soziale Gemeinschaft, egal ob Partner, Familie, Freunde, Gemeinde, Netzwerke, Versicherungen, Solidargemeinschaften usw.! Diese Art von Vertrauen war ja jahrhundertelang die erprobte Form, wenn Selbstvertrauen als Strategie im Alter keine sinnvolle Idee mehr ist. Die Begrenzung dessen einzuschätzen, was man alleine hinbekommt, ist eine wesentliche Kompetenzfacette von Vertrauen. Gleiches gilt dafür, dass man rechtzeitig auch Schwäche zeigen und sich Hilfe holen kann. Alles nicht selbstverständlich.
Corona – Vertrauen oder Hoffnung?
Es gibt nun viele Botschaften, Leitartikel oder Postings, die vermitteln wollen, dass nach Corona alles besser werden könnte (= Hoffnungstrategie) oder dass die Krise dazu da ist, dass wir alle lernen und besser werden (=Vertrauenstrategie).
Wenn man obige Ausführungen anwendet, dann lässt sich unschwer erkennen, dass beides sinnvoll und problematisch zugleich ist. In Krisen und disruptiven Zeiten geht den Menschen die Vertrautheit verloren. Man kennt die Welt nicht mehr, in der man sich bewähren muss. Plötzlich sind da Sorgen und Umstände, die man noch nie so kannte. Daher weiß man auch nicht so genau, ob man in der Zukunft das können wird, was verlangt ist. Die Welt nach Corona: Braucht es in ihr noch das, was ich weiß, dass ich kann, und kann ich darauf vertrauen, das zu lernen, was nötig ist? Wer weiß das in diesen Tagen noch ganz sicher von sich?
Unter solchen Bedingungen auf Hoffnung zu setzen, stabilisiert für den Moment. Das ist gut und wichtig. Aber zu glauben, dass es tatsächlich einfach schon wieder werden wird, erscheint mir allerdings mehr als fahrlässig. Die Strategie ‚Hoffen“ ist also in jedem Fall unzureichend.
Auf Selbstvertrauen zu setzen, ist dagegen eher unabdingbar. Alle die vor der Krise in ihre eigene Persönlichkeitsentwicklung investiert haben, ernten jetzt die Früchte. Denn in Krisenzeiten kann nur der Vertrauen in sich aufrechterhalten, der nicht von Ängsten dominiert wird und trotzdem Ängste zulassen kann (siehe meinen Artikel dazu HIER). Andernfalls wird Vertrauen blind und naiv. Es schlägt in solchen Zeiten die Stunde der Findigen, der Antwortreichen, der Flexiblen, der Zuversichtlichen, der Kontaktfähigen, der innerlich Reichen und derer, die sich auch tagelang mit Atmen und Meditieren beschäftigen können. Dennoch gilt es auch hier im Blick zu behalten, wann und wo man nur gemeinsam das Vertrauen generieren kann, welches zur Bewältigung der Aufgaben nötig ist.
Schlussendlich gilt es aber sich klar zu machen: Eine solche Krise kann und wird nicht ohne Entscheidungen zu bewältigen sein, die Opfer kosten. Und zwar Opfer, die sich nicht schön reden lassen, die keine „Lernchancen“ sind, die einfach nur weh tun und Anlass für Schmerz und Trauer sind und sein werden. Auch hier braucht es Vertrauen, wenn man damit gut zurecht kommen möchte. Vertrauen darin, dass man auch im Leid, das Leben mag und lebenswert findet.
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