These 8: Veränderung fügt sich keinem Plan – auch keinem Beraterplan
Das Standardmittel für Veränderungsvorhaben ist der Plan. Pläne sind tauglich im bekannten Gelände. Hat man jedoch ein Rhizom vor sich, sind Pläne nutzlos und dysfunktional.
Was ist ein Rhizom? Sie sind das Wurzelgeflecht, dass z.B. Pilze unterirdisch mit einander verbindet, auch Ingwer ist ein Rhizom. Überall kann es Weiterwachsen, man kann es trennen und es bilden sich neue Strukturen. Wie ist das möglich? Ein Rhizom hat kein Zentrum und keine Peripherie, keinen Anfang und Ende, es ist ein System, welches voller Umwege und Abkürzungen ist. Man weiß in einem solchen „Gelände“ weder, was einen erwartet, noch wem man begegnet, noch wie lange man zum voranschreiten braucht. Man kann den Kreisgang als Gerade empfinden wie der Wanderer in der Wüste. Die Rückkehr zum Ausgangspunkt verändert meist aber das Rhizom, so dass ein Drehen im Kreis dennoch Veränderung erzeugt. (Die beiden französischen Philosophen Gilles Deleuze und Félix Guattari haben diesen Begriff als Ausgangspunkt einer Kritik an der einseitig rational gedachten Welt gewählt).
Sind Organisationen von der Art eines Rhizoms? Viel spricht dafür! Auch sie kann man teilen und es wachsen zwei weitere Organisationen, sie sind nicht überblickbar, überschaubar, kalkulierbar, zeigen Reaktionen jenseits des Vorhersehbaren, sind vielschichtig, mehrdeutig und nicht zentral steuerbar und gesteuert. Gerade auch hierarchische Organisation werden nicht von der Spitze gelenkt, sondern von überall!
Statt Pläne und Karten bräuchte eine solche Theorie der Veränderung von Organisationen sehr viel mehr eine Lehre, wie man sich gut bewegen kann. Also weniger einen Handlungsplan als Resonanzkompetenz. Statt Überblicke im Handeln zu designen – Masterpläne mit vielen Symbolen für Gremien, Meetings etc. -, darf sie sich mit Wahrscheinlichkeiten oder Ausprobieren begnügen. Sie braucht ein Verständnis wie der Austausch über die Erlebnisse im Unbekannten von statten gehen kann, welche Weggabelungen relevant sind und Entscheidungen nötig machen. Sie muss Abwege, Seitenwege, Holzwege, Sackgassen, Kreisläufe, parallele Pfade normalisieren. In Summe muss Verirren und Verirrtsein einen Wert bekommen und nicht als falsch klassifiziert werden. Unsicherheitskompetenz wird zum Schlüssel von allem.
Viele der gegenwärtigen Neuerungen im Managen von Organisationen haben genau Aspekte davon: Selbstorganisationsideen, Effectuation, Achtsamkeit, Managing the Unexpected u.v.a.m. Das Problem aus meiner Sicht ist, dass das implizite Verständnis von Organisationen als kausale Systeme nicht angetastet wird. Letztlich ist doch meist die Hoffnung im Spiel, dass man mit den neuen Mittel besser, gerichteter, schneller an ein (vorab definiertes) Ziel kommt. Zielsetzungen verengen jedoch die Aufmerksamkeit auf die zum Ziel passenden Phänomene. Sie definieren, was als störend, lästig und falsch angesehen werden muss. Sie dominieren Deadlines, so dass alles, was in den Fristsetzungen des Plans nicht enthalten ist, verschwindet oder vernachlässigt wird.
Bleibt das Grundparadigma erhalten und werden nur die Mittel ausgetauscht, wird der neue Wein im alten Schlauch seinen Geschmack verlieren. Die Menschen spüren, dass Optimierungsideen, Kontrollbedarfe, Ergebnissicherheiten, Erfolgszuschreibungen, Heldengeschichten und Rechtfertigungslegenden im Spiel sind. Dann werden die Narrative vom gemeinsamen Suchen, von Fehlerfreundlichkeit, von Kreativitäts- und Innovationsfreude zum Prospekt ohne Substanz.
Um mit dem Verlust von Kontrolle in rhizomatischen Kontexten als Mensch in der Organisation zurecht zu kommen, braucht es eine Kompetenz, die weder leicht, noch schnell, noch kognitiv zu haben ist. Es ist leicht gesagt, dass man Kontrollverlust lieben lernen soll. Nur dafür braucht es meist eine langjährige emotionale Ausbildung. Es ist nicht das Tun, sondern das Sein, welches entscheidet.
Auf der organisationalen Ebene braucht es andere Entscheidungsprämissen und Kommunikationsmuster. Diese zu etablieren – Culture Change! – setzt aber die Kultur voraus, die es zu schaffen gilt. Damit sind wir dort gelandet, wo es oben begann: Bei der Rückbezüglichkeit. Wie könnte es gehen, mit Mitteln, die dem Zweck zuwiderlaufen, den Zweck zu verfolgen, der die benutzten Mittel über Bord wirft? Wie können alte Muster zu neuen Mustern führen. Genau dieses (scheinbare) Dilemma kommt viel zu wenig in den Fokus. Sogenannte Ordnung-Ordnungs-Übergänge oder Prozessmusterwechsel (P. Kruse) brauchen ein Denken und Kommunizieren jenseits von Ursache-Wirkungs-Kausalitäten. Es braucht die Bereitschaft anzuerkennen, dass es anders sein könnte, als man denkt. Es braucht eine Änderung des Wahrnehmungsfokus. Anders – man muss sich überraschen lassen können. Das ist alles andere als trivial, weil sowohl das psychische System die Wahrnehmungserwartungen, die es hat, bevorzugt bestätigt, als auch das soziale System die Kommunikationsmuster, die es nutzt, stabilisieren will. Störungen sind hier wie dort unerwünscht bzw. unwahrscheinlich.
Das ernst zu nehmen, ist ein erster Schritt hin zu der Bewegungslehre, wie man mit rhizomatischen Bedingungen gut zurecht kommen könnte: Hinter jeder Ecke könnte es anders weitergehen, als gedacht.
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