Zur Destruktivität von Idealen! Sollen Organisationen Sinn stiften?
Man kommt den Hypes kaum mehr hinterher. Deshalb starte ich mit einer kleinen Serie über Beratermoden. Bevor ich beginne, sei es gestattet, einen kleinen „Disclaimer“ vorneweg zu stellen:
Interessanterweise ist es so, dass Beratermoden sich nicht groß rechtfertigen müssen, wenn sie das Bestehende kritisieren und Besserung versprechen. Klar – es gibt immer genügend Leiden an der aktuellen Realität, so dass auf der Grundlage dieses Erlebens neue Konzepte hoch attraktiv sind. Diese versprechen, das Leid zu mildern oder ihm ein Ende zu setzen. Egal ob es z.B. um #Agilität, um #Selbstorganisation, um #Holocracy, um #Betacodex, um #NewWork, um #Reinventing Organisations oder um #Purpose geht, das Neue ist schon deshalb attraktiv, weil es ein „schlechtes“ Altes mit Reformbedarf versieht. Die Kritik am Alten muss nun nicht falsch sein, aber es sagt nichts aus, ob das Neue wirklich neu oder besser ist. Wer dann aber das Neue kritisiert, der gerät all zu leicht in den Verdacht, das Alte für richtig und angemessen zu halten. Man gerät in die „konservierende oder konservative“ Ecke. Dieser Fehlschluss sei hier ausdrücklich als Fehlschluss markiert! Wenn ich im Folgenden aktuelle Beratermoden kritisch beleuchte, bedeutet das keineswegs, dass ich keinen Änderungsbedarf in der Art sehe, wie Organisationen sich organisieren oder wie sie beraten werden bzw. ob Beratungstheorie nicht dringend selbst sich verändern muss. Aber bisweilen scheint mir das Neue – würde es sich durchsetzen – nicht weniger problematisch als das schon Bestehende. Um diesen Aspekt soll es gehen.
Der Fokus für diesen Artikel beschäftigt sich mit dem Konzept, welches mit dem Begriff „Purpose“ oder „purpose driven organisation“, die Idee verfolgt, Organisationen sollten und könnten einen wertvollen Zweck ausmachen, der die Arbeit der Organisationsmitglieder mit Sinn ausstattet. Man verfolgt im Prinzip ein Ende von „entfremdeter Arbeit“, welche vom Mitarbeiter die Erfüllung einer vorgeschriebenen Aufgabe im Austausch gegen Entlohnung verlangt. Schaut man sich etwas das Thema des diesjährigen Berliner Change-Kongresses „Romantic Renaissance – Aufbruch zu werteorientierten Organisationen der Zukunft“ an, dann wird diese Idee auch historisch korrekt zugeordnet: Die Romantik war die geschichtliche Epoche, in der die Vorstellung einer Integration von Natur und Mensch (Schelling) und vom Schöpfertum des Menschen, dem sich alles unterordnet (Fichte) zur Blüte kam. Verknüpft man diese Idee mit der neuzeitlichen Vorstellung, dass Erfolg das Kriterium gelingenden Lebens ist, dann landet man bei einer „Wertorientierten Organisation“: Die Vereinigung von Sinn und Erfolg, von Individualität und zwangsfreier Gemeinschaft. Organisationen müssen in einer Gesellschaft der Singularitäten (so der Titel des sehr lesenswerten Buches von A. Reckwitz) so dem Einzelnen das Gefühl geben sein Tun wäre „in sich“ zu etwas nütze. So wird suggeriert, dass der Purpose (Sinn) für den Einzelnen sich harmonisch im Purpose (Erfolg) des Unternehmens einfügen lässt und umgekehrt: Das Unternehmen kann so richtig erfolgreich sein, ohne Mitarbeitern zu schaden oder sie auszubeuten (siehe etwa im Buch von F. Fink und M.Moeller, Purpose Driven Organisations, S.31ff). Der Zweck des Unternehmen kann dann zwangsläufig nicht mehr in seiner Refinanzierung liegen, sondern in einer (gemeinsam) zu definierenden Bestimmung. „Start with Why!“ (S.Sinek) wird so zum strategischen Nullpunkt. Unternehmen sollen in irgendeiner Form die Welt verbessern und dem Mitarbeiter das Gefühl geben, er ist Teil eines sinnvollen Projekts.
Nicht von ungefähr finden sich daher in diesen Kontexten die gleichen Argumentationsketten, die Kirchenhistorikern aus urchristlichen Gemeinden, religiösen Erweckungsgemeinschaften und missionarischen Erneuerungsbewegungen vertraut sind:
- Es geht um Identifikation mit einer (nur) guten Sache,
- um die Idee, dass wirklich alle Beteiligten etwas zum Ganzen beitragen können,
- um die Vorstellung, dass Konflikte sich bei genügend Einsatz immer in Konsens überführen lassen,
- um den Glauben, dass alle an das Gleiche glauben würden,
- um die Zuversicht, dass all das sich zeitstabil aufrechterhalten lassen könnte,
- um die Annahme, dass man Ziele verfolgen könne, ohne jemanden zu benachteiligen, Schaden anzurichten, also ohne etwas bereuen zu müssen,
- die Aussicht, dass die persönliche Freiheit und die Sicherheit des gemeinsamen Ganzen sich spannungsfrei gestalten lassen,
- um die Hoffnung, dass jede einzelne Seele im großen Ganzen einen guten Platz finden kann und
- um das elementare Konzept, dass es eine(!) Wahrheit gibt, und es daher möglich ist, diese eine Wahrheit (Ziel, Zweck, Vision etc.) so auszugestalten, dass die Mannigfaltigkeiten der Individuen, der Teams, der Kunden, der Produktanforderungen, der Stake- und Shareholderinteressen unter dem einen Hut dieser Wahrheit zu bringen sind.
Das ist nur ein Teil der Implikate, welche Bewegungen seit Jahrhunderten kennzeichnen, die Großinstitutionen reformieren wollen. Ich hoffe, es ist offensichtlich, welche Problemlagen sich hinter den einzelnen Punkten verbergen. Daher will ich mich hier nur mit den Folgen in Summe beschäftigen, die es hat, wenn man Organisationen mit „Sinn-Idealen“ aufzulädt.
- Wenn soziale Systeme versuchen, sich über einen Purpose zu integrieren, müssen alleMitarbeiter mit diesem einen Mittel inkludiert werden. Es bildet sich – um im obigen Vergleich zu bleiben – also ein „Taufzwang“ aus. Es reicht dann nicht mehr einfach seine Arbeit abzuliefern, man muss (!) Begeisterung zeigen. Das ist schon aus psychologischer Sicht ein klassischer „Sei spontan!“- Doublebind. Die Gemeinschaft der Gläubigen bildet dann auch meist entsprechende Rituale, Erkennungsmerkmale und Begriffe aus. Wie bei jedem sich auf diese Art bildendem sozialen System, werden Abspaltungen, Feindbilder, Größenvorstellungen, Heimlichkeiten und Missionszwang prägende Merkmale.
- Die Überidentifikation mit dem Purpose führt zu einem Verlust von Alternativen in der Organisation. Da die Andersgläubigen das Unternehmen verlassen oder under cover als Häretiker versuchen zu überleben, sinkt die Kritik am Neuen. Wer gegen den Purpose ist, wird schnell sozialen Druck erfahren oder erwarten. Da geht die Anpassung dann ganz ohne Hierarchie, was die Führungskräfte entlastet. Nicht zuletzt deshalb sind „inspired teams“ bei Chefs so beliebt, tut doch der heilige Geist die Arbeit, die man sonst selbst tun müsste. Ein alle dominierender Purpose lässt Organisationen darüberhinaus zu unflexibel werden und reduziert ihre Fähigkeit viele, verschiedene und disparate Zwecke zu tolerieren.
- Ideale wecken Erwartungen. Wenn man nun wissen kann, dass der Honeymoon auch bei Purpose Driven Organisations (und allen anderen Moden) ein Ende haben wird, dann ist die Frage zu beantworten „Was passiert danach?“. Jeder kennt die Menge an Sarkasmus und Resignation, die nach dem Verfall der revolutionären Bewegung einsetzt und in vielen Organisationen zu beobachten ist.
- Ideale sind wirkungsvolle Beratungsprodukte. Wer verspricht, dass sich etwas bessert, hat als Berater gute Karten. Wer sagen würde, dass sich vielleicht manches bessert, anderes schwieriger wird und nichts davon auf Dauer sein wird und darf, hat Wettbewerbsnachteile. Darum sind Moden bei Beratern beliebt. Neue Evangelien, die noch keiner erprobt hat und die einige Wunderheilungen präsentieren können, welcher der neuen frohen Botschaft zu verdanken sind (wie z.B. „Die stille Revolution“), werden gern gekauft. Sie machen sich die Hoffnung auf eine bessere Welt geschickt zu nutze. Wer hinter die Fassade blicken kann, findet – wie überall – die Realität.
- Ideale begünstigen narzisstische Persönlichkeiten. Diese machen sich ihren Charme, ihre Begeisterungsfähigkeit, ihre Rhetorik zu nutze, um ihr „erweitertes Selbst“ mit Anhänger zu füllen. Organisationen, die ihrem Chef zujubeln, sind mit Vorsicht zu genießen, da sie besonders gefährdet sind, die Großartigkeitsbedarfe des Chefs zu bedienen und die Realitäten aus dem Auge zu verlieren. Mehr dazu siehe hier.
Eine wichtige Funktion, die die Purpose-Idee sicherlich erfüllt, ist, dass auf diese Weise Mitarbeiter gewonnen, motiviert und gehalten werden können – jedenfalls für den oben schon genannten Zeitraum des Honeymoons. Aber auch bei dieser Funktion stellt sich die Frage, ob Organisationen nicht gut daran tun, diese Funktion auf viele unterschiedliche Weisen zu bedienen. Wenn es um psychische Motivation der Mitarbeiter geht, scheint es mir sinnvoll, im Auge zu behalten, dass die Motivationsdynamik von Menschen ein höchst widersprüchliches Geschehen ist: Menschen tun einerseits etwas, weil Bedürfnisse befriedigt werden könnten oder aber weil sich unangenehme Gefühle wie Ängste reduzieren lassen. Auf der anderen Seite motivieren sie sich, indem sie etwas nicht zu tun – entweder weil die Bedürfnisbefriedigung schwer oder unmöglich wird oder weil unangenehme Gefühle wie Inkompetenz, Scham oder Schuld aufzukommen drohen. Zu meinen alleMenschen finden per se Freiraum, Selbstverantwortung, Gemeinschaft, Klarheit, Neues und Purpose attraktiv, widerspricht allem, was die Psychologie weiß. Viele Menschen orientieren sich kaum an dem, was sie wollen, sondern mehr an dem, wie sie Unangenehmes verhindern können. Auch deshalb ist Change in Unternehmen so herausfordernd.
Der eine dominierende Sinn ist also aus meiner Sicht wenig sinnvoll. Das Annahme, dass Organisationen die Notwendigkeit sich auszurichten und Mitarbeiter zu motivieren, über ein„Why“ lösen können, dem die Mitarbeiter Sinn zuschreiben können, überfrachtet die Organisationen mit Erwartungen, ist unterkomplex und in den beschriebenen Hinsichten dysfunktional. Die Idee, dass Arbeit Sinn stiften kann (oder gar muss), macht Unternehmen zu modernen Kirchen, die sich in den Dienst sogenannter Selbstverwirklichung stellen sollen. Das kann nur schief gehen.
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