Zum Paradox der zwei Auftraggeber!
Wer als Coach, Teamentwickler oder Organisationsberater beauftragt wird, hat grundsätzlich zwei Auftraggeber bei einem Kunden. Was ist mit dieser zunächst merkwürdigen Aussage gemeint?
Alle Coachees, alle Teams, alle Organisationen, die Beratung suchen, sind in einer Ausgangslage A und wollen zu einem Zielzustand B. Die Ausgangslage A fällt nicht vom Himmel, sondern wird in irgendeiner Weise – oft unbewusst, unbemerkt, implizit – vom Kunden erzeugt. Ein „Teil“ des Kunden – nennen wir ihn AK – ist also für „A“ verantwortlich und mit „A“ auch zufrieden, sonst würde dieser Zustand weder hergestellt worden sein, noch würde er aufrechterhalten werden. Ein anderer „Teil“ (= BK) des Kunden ist mit der Ausgangslage A unzufrieden, möchte Veränderung und möchte gern zum Ziel „B“ kommen! Beide Teile AK und BK kommen also zum Berater. Üblicherweise beginnt nun der Teil „BK“ des Kunden zu sprechen und zu formulieren, was er sich von der Beratung erhofft: Der Coachee formuliert seine Ziele, die Teamleiterin das, wo das Team hin soll, die Vorständin das, was sie mit der Organisation anstrebt.
Fragt nun der Berater nach dem Status quo, bekommt er meistens Klagen über die Ausgangslage und hört somit (Selbst-)Vorwürfe gegen den Teil „AK“ des Kunden:
- Kontext Coaching: „Ich möchte mich verändern, weil ich einfach zu undiszipliniert bin und ich meine Arbeit nicht schaffe!“ Der Berater fragt sich: Welche Instanz (= Ich) im Klienten möchte hier welche andere Instanz (= mich) verändern? Welches „Ich“ schafft die Arbeit nicht und welches „Ich“ leidet darunter? Welche Instanz ist in welchen Augen undiszipliniert und welche Instanz beobachtet dies kritisch? Was hat dies für Folgen?
- Kontext Team: „Wir begreifen nicht, dass wir unsere Arbeitsweise ändern müssen, damit wir den Anforderungen der Organisation Genüge leisten können. Wir stimmen uns zu wenig ab und wir helfen uns untereinander zu wenig!“ Der Berater fragt sich: Welches „Wir“ ist jeweils gemeint und welches „Wir“ wird angeklagt? Welches „Uns“ hilft sich nicht und was hat es davon?
- Kontext Organisation: „Die Bereiche sind wie Silos, die in ihren Entscheidungen einander kaum im Auge haben und sich jeweils selbst optimieren. Die Organisation ist so zu langsam, zu unflexibel und verkämpft sich endlos in Gremien.“ Der Berater fragt sich: Wer optimiert sich in wessen Einschätzung aufgrund welcher Kriterien mit welchen Gründen auf welches Ziel? Für welche Sub-Systeme ist das ein Problem oder auch nicht?
Es ist offensichtlich, das beide „Teile“ des Kunden „AK“ und „BK“ im Spiel sind. „BK“ leidet und sucht die Hilfe des Beraters, „AK“ schweigt und fühlt sich unbehaglich, der er fürchtet, dass es ihm in der Beratung ans Leder gehen soll. Er ist als Problem ausgemacht und soll sich zugunsten der Lösung (von BK) vom Acker machen. An dieser Stelle kommt nun der Berater und seine Vorstellung von Veränderung ins Spiel.
Es gibt Beratungstheorien, die diese Aufteilung des Kunden gewissermassen übernehmen. Dann ist die Sache klar: Es geht darum sich mit „BK“ anzufreunden, die Fehler und Schwächen von „AK“ zu analysieren, „BK“ zu helfen den Widerstand von „AK“ zu überwinden und zum Verschwinden zu bringen und in Summe möglichst schnell beim Zielzustand von „BK“ zu landen. „BK“ und Berater kämpfen dann gemeinsam gegen „AK“. Wir halten dies für ineffizient und langfristig für wenig effektiv.
Günstiger scheint es uns, eine Beratungstheorie zu verwenden, die in beiden „Teilen“ des Kunden den Auftraggeber des Beraters erblickt. Schaut man so auf den Kunden, dann ist jeder Kunde, der an sich etwas ändern möchte, in Konflikt mit sich selbst. Jede Beratung ist dann eine Beratung innerer Konflikte des Kunden(systems) zwischen Veränderungs- und Bewahrungsaktivitäten. Daraus folgt unmittelbar, dass der Berater eine neutrale, allparteiliche Haltung in diesem Konflikt einnehmen muss. Er muss sich als Anwalt beider Interessenslagen verstehen, er braucht das Mandat von „AK“ und von „BK“!
Das hat nun in unterschiedlichen Beratungssettings spezielle Konsequenzen.
- Im Coaching bedeutet es, dass man zunächst mal den meist unbewussten Prozess, der zum Status quo führt herausarbeiten muss. Wenn die psychischen Selbstrepräsentanzen, die diesen Prozess gestalten, sich vom Coach bedroht oder als Problem abgewertet fühlen, kommen sie erst gar nicht zum Vorschein. Diese seelischen Prozesse sind meist fragil und leiden ja schon unter der Abwertung des Klienten selbst. Am besten der Satz „Was ist, darf sein!“ die notwendige Haltung des Coaches zum Ausdruck. Das achtsame, akzeptierende und geduldige Erforschen des Impliziten ist unabdingbar, um der heimlichen Logik von selbstschädigendem Verhalten näher zu kommen und die Leidbewältigungsfunktion dahinter zu entschlüsseln.
- Im Teamkontext bedeutet es zum einen, dass die Beziehungsmuster, welche einen dysfunktionalen Effekt haben, ebenfalls mit der Perspektive angeschaut werden müssen, dass sie einem Zweck dienen. Auch wenn das oft gesagt wird, auch viele systemisch orientierte Berater werden schnell zum verlängertem Arm des beauftragenden Teamleiters. Wie viele Teamentwickler kenne ich, die konsequent darauf bestehen vor einem Workshop mit allen Teammitgliedern gesprochen zu haben? Wie viele verstehen konsequent das Gesamtteam als Auftraggeber? Das ist bisweilen mühsam, aber wenn nicht alle den Berater als Anwalt ihrer Interessen ansehen, berät man nicht das Team.
- Im Organisationsentwicklungskontext ist das Gesamtunternehmen der Auftraggeber. Da das Gesamtunternehmen nicht sprechen kann, wird Beratung ganz leicht und ganz schnell zum Optimierer lokaler Rationalitäten. Jeder Bereich hat dann so seine „eigenen“ Berater. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn alle Berater ihrerseits die Kommunikations- und Entscheidungsmuster der Gesamtorganisation im Blick haben oder in den Blick bekommen wollen. Dazu brauchen sie eine Heuristik, die genau diese Muster erlaubt zu beschreiben, Erklärungen anzufertigen, die vermeintliche Irrationalitäten deuten und auf Dysfunktionalitäten hinzuweisen. Jedes Denken in richtig/falsch oder eine Orientierung an einem vermeintlich guten Organisationsmodell drängt die Seiten, die sich nicht darin wieder finden in den Untergrund.
In Summe: Allparteilichkeit ist weder theoretisch noch praktisch leicht zu haben und braucht auf Beraterseite eine unerschütterliche Immunität, sich instrumentalisieren zu lassen bzw. eine seismographische Wahrnehmung dafür, wenn es subtil geschieht oder versucht wird. Die Akzeptanz aller Kräfte braucht auch eine Akzeptanz aller Kräfte in einem selbst. Auch das muss erarbeitet sein.
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