Wenn Veränderung nicht attraktiv ist…
Damit Menschen, Teams und Organisationen sich ändern, müssen sie lernen. Es ist gängige Meinung, dass Lernen etwas Gutes, Wichtiges oder Notwendiges ist. Und wenn das mal nicht so klappt, kann man Beratung und Coaching zu Hilfe nehmen. Da man nun feststellen kann, dass Veränderung der Öfteren nicht attraktiv ist, braucht Beratungstheorie eine Erklärung, wie es dazu kommt. Die gängigen und wenig hilfreichen Buzzwords dazu sind Widerstand, Uneinsichtigkeit, Eigennutzsicherung, Borniertheit etc. Alles Konzepte, die eine negative Motivation voraussetzen. Das aber ist unwahrscheinlich, da die meisten Menschen, Teams und Organisationen am (Über-)Leben interessiert sind und daher zu aller meist das tun, was sie für gut für sich halten.
Hier wird eine andere Begründung für die häufige Unattraktivität von Veränderungen vorgeschlagen, die davon ausgeht, dass sinnvolle, nachvollziehbare, wenn auch dysfunktionale Motive im Spiel sind.
Lernen wird in Veränderungskontexten meist auf der Erkenntnis-, Verhaltens- oder Einstellungsebene angesiedelt: Es geht also darum, etwas anderes für wahr zu halten, neue Fertigkeiten und Verhaltensweisen zu praktizieren oder einen besseren „Mind-Set“ zu erwerben. Spätestens beim Letzteren weiß aber dann niemand schon mehr so richtig, wie man an diesen neuen Mind-Set kommt und erst recht nicht, wie man ihn in die Menschen hineinbekommt, die ihn (vermeintlich) haben sollten. Alle drei Ebenen kurven um das, was man „Einsicht“ nennt und folgt damit dem alten griechischen Bild vom Menschen, dass die Vernunft es sei, welche den Menschen und soziale Systeme zu gelingendem Leben verhelfe. Veränderung basiert in diesem Modell auf einem besseren Zugang zur (einen) Wahrheit. Dieses Modell wird selbstverständlich mittlerweile modern aufgehübscht und man hat die Wichtigkeit von Emotionen erkannt. Diese werden dann über „Begeisterung“, „Sinn“ und „Spirit“ in Changeprojekten adressiert und genutzt. Aber macht es das besser, wenn die erhoffte Begeisterung nicht lange vorhält und auf jeden Hype der Ausnüchterungskater folgt, wenn der Honeymoon der Agilität im Alltag der Mühen um Koordination verblasst?
Wird da etwas nicht bedacht? Die These hier ist, dass bei Veränderungen sehr oft nicht nur die obigen Fragen nach besserer Vernunft im Spiel sind, sondern die Frage, ob das Selbstverständnis derer, die zu diesem vernünftigen Lernen kommen sollen, noch angemessen ist. Es geht also nicht primär um die Frage „Erkenne, handle und fühle ich richtig?“, sondern um die Fragen „Bin ich (noch) richtig?“ oder „War ich bislang falsch?“ Der Fokus liegt auf Identität, nicht auf dem Tun!
Wenn das zutrifft, muss man sich über Veränderungsresistenz und der Instabilität guter Vorsätze nicht mehr wundern. Hat ein Mensch oder ein soziales System seine Antwort auf die Frage „Wer bin ich / sind wir?“ gefunden, wird die damit einhergehende Stabilität, Sicherheit und Orientierung nicht mehr so schnell aufgeben. Das ist auch sinnvoll, da ein Wechsel im Grundmuster der Selbstorganisation immer mit einer vorübergehenden Labilität verbunden ist, die die normale Leistungsfähigkeit durchaus einschränkt. Kein System gibt also so leicht seine Identität auf. Wer sich nun – aus welchen Gründen auch immer – mit dem Neuen identifiziert hat (Gründer, Vertreter von New Work, Digital Nomad etc.), der tut sich leicht, denen die eine andere Identität haben, zu sagen, sie müssen sich verändern. Wer nur ein bißchen die Historie von sozialer Schichtung in unserer Kultur kennt, weiß wie unmöglich bis schwer es war (und z.T.) ist, dass ein „Bauer“ oder „Arbeiter“ sich im Stall der „oberen 10000“ wohl fühlt und die Regeln wirklich kennt.
Was heißt das für Beratung? Es bedeutet, dass sich Berater nicht um dieses Problem herumdrücken können. An Skills, an Haltungen, an Gefühlen zu arbeiten, macht Sinn, wenn der Schritt sich von einer (alten) guten Identität zu einer (neuen) guten als nötig angesehen wird. Dafür gibt es ein ganz einfaches Erkennungsmerkmal: Leidensdruck! Der Mensch, der sich bessere Kommunikationsfertigkeiten antrainiert, um mehr Eindruck zu machen, bleibt ein Mensch, der Eindruck machen möchte. Ein Team, das agile Arbeitsmethoden lernt und seine Sicherheit seit 15 Jahren über Anweisungen der Hierarchie findet, bleibt auf der Ebene seines Selbstverständnisses und damit seiner Selbstorganisation das gleiche Team. Sobald Stress entsteht, greifen die alten Muster. Eine Organisation, die über Optimierung lokaler Kompetenz (= Silos) erfolgreich war, kann zwar die Hierarchie formal abschaffen, und wird sie dennoch weiter pflegen. Wenn also Berater die Ebene der Identität beachten, dann helfen sie zunächst dem Kunden, Leidensdruck aus der Gegenwart heraus wahrzunehmen. Verhaltensweisen, die die Zukunft ermöglichen sollen (= Vorsätze), ohne Leidensdruck auf der Identitätsebene, sind immer instabil und wenig oder gar nicht krisenresistent. Das heißt nicht, dass man nicht Neues im Verhalten ausprobieren kann, um dann zu sehen, dass man mit dem Alten nicht mehr zufrieden ist. Der Schritt, die alte Identität loszulassen, bleibt aber notwendig. Und das geht nie ohne Trauer, ohne Schmerz und ohne Angst. Das ist aus dieser Sicht der Grund, warum so viele Veränderungsvorhaben scheitern. Wer glaubt, dass Veränderung nur schön und angenehm ist, wer verspricht, dass die Firma besser, bunter, gerechter, erfolgreicher und lebenswerter wird, der kalkuliert verhängnisvollerweise nicht mit den bestehenden Kräften beim Kunden, die weiter daran festhalten werden, dass sie so wie sie waren und sind, gut waren. Auch und gerade dann, wenn es beim Kunden auch Kräfte gibt, die schon ahnen, dass das alte „Ich“ in der Zukunft Probleme bekommen wird. Aber das zukünftige Leiden stellt nie die gegenwärtige Identität in Frage. Dazu braucht es Leiden in der Gegenwart. Und um Leiden zu können, braucht es innere Stabilität, die vom Berater nicht vorausgesetzt werden darf.
Wenn Personen, Teams oder Organisationen feststellen, dass ihre gegenwärtige Identität nicht mehr (ganz) so stimmt, entsteht Druck Neues zu lernen. Es entsteht dabei aber eben immer auch die Frage, ob „man selbst“ denn richtig ist, wenn man falsches Wissen hatte („Wie konnten wir uns nur so irren?“). Personen, Teams und Organisationen, die in sich schon labil sind, zeichnen sich oft dadurch aus, dass sie auf Meinungen beharren, Bestehendes aufs Letzte verteidigen, unflexibel sind und Sturheit kultivieren. Das liegt dann aber nicht daran, dass die Argumente für das Neue zu schwach wären, sondern daran, dass die betroffenen Systeme auf der Identitätsebene zu fragil sind, um lernen zu können. Es ist zu selbstwertgefährdend, zu bestandsgefährdend, zu beziehungsgefährdend, zu rufgefährdend, zu markengefährdend, zu stellengefährdend, zu strukturgefährdend oder anderes mehr. Aus diesem Grund ist es oft so sinnlos Argumente für das Neue immer und immer wieder ins Spiel zu bringen, wenn man ahnen kann, dass der andere nicht gegen das Neue ist, sondern nicht weiß, wer er ist, wenn das Alte nicht mehr gilt.
Hier braucht es einen Ebenenwechsel, der es ermöglicht die Identitätsthemen zu bearbeiten. Sonst wird das Alte zur „Vergeblichkeitsfront“!