Was Du mir tust, nutze ich für Dich!
Was nun kommt, ist eigentlich nichts Neues. Und doch scheint es mir, als ob es eher wieder in Vergessenheit gerät. Es geht um die Funktion der Resonanz der Berater auf den Kunden. Zum Start ein Beispiel aus einem unserer Projekte:
Wir befinden uns in einer ersten Kennenlern-Situation. Es geht um einen möglichen (großen) Auftrag für ein „Culture-Change“-Projekt. Auftraggeber ist der Vorstand des MDAX-Unternehmens. Er ist zusammen mit HR auch unser Gegenüber beim ersten Termin. Meine Kollegin und ich wissen wenig über Anlass und Zielsetzung des Projekts. Das ist so gewollt und mehr soll uns im Termin selbst offenbart werden. Dort sollen wir dann erste Ideen über Vorgehensweisen „spontan“ äußern. Unter der Hand erzählt uns die HR-Verantwortliche, dass der Vorstand dies als „Test“ ansieht, ob die Berater auch wirklich was taugen und man will sehen, wie sehr wir dabei „ins Schwitzen“ kommen. Allein dieses Setting und das Ansinnen lässt uns auf der professionellen Ebene neugierig werden und auf der persönlichen entsteht eine wahrnehmbare Anspannung. Der Termin beginnt mit einer freundlichen Begrüßung durch HR in einem Meetingraum, der nur vom Vorstand benutzt werden darf. Er ist ausstaffiert vielen Fotos von Trophäen und Auszeichnungen der Vorstandsmitglieder überall auf der Welt. Subtil macht sich eine gewisse Einschüchterung in uns breit, über die wir uns beim Warten kurz leise austauschen. Die drei Vorstände kommen mit etwas Verspätung und setzen sich in Phalanx nebeneinander. Der Sprecher des Vorstands berichtet davon wie gut das Unternehmen dasteht und benennt als Gründe für das Projekt die hohe Fluktuation in der ersten Führungsebene und die immense Rückdelegation von Entscheidungen dieser 17 Bereichsleiter in den Vorstand. Daran soll sich etwas ändern. Die Skizzierung der Lage endet mit dem Satz: „Was haben Sie uns da anzubieten?“ Meine Kollegin antwortet freundlich und klar: „Das, was wir Ihnen anbieten, ist unsere Angst!“. Wir blicken in erstaunte bzw. verwirrte Gesichter. Sie fährt fort: „Wenn Sie Ihre Bereichsleiter auch nur ein klein wenig so behandeln wie uns im Vorfeld dieses Termins und jetzt im kurzen Briefing, dann müssen Sie sich über keines der von Ihnen monierten Verhaltensweisen Ihrer Bereichsleiter wundern. Ihre Kernkompetenz scheint es zu sein, andere einzuschüchtern, zu verunsichern und unter Druck zu setzen. Sie verbreiten Angst. Und unter Angst verlassen Personen, die Alternativen haben, die Firma und die, die bleiben, werden vorsichtig und versuchen sich rückzuversichern, ob die Entscheidungen so sind, das Sie damit zufrieden sind. Daher ist das, was Sie von uns kriegen können und im Moment auch schon kriegen, dass wir Ihre eigenen Anteile am Herstellen des Problems so klar benennen, dass nicht nur die anderen, sondern eben auch Sie selbst sich mit Ihren Ängsten auseinandersetzen müssen. Wir vermuten, dass Sie das nicht wollen, und rechnen daher damit, dass Sie sich ärgern und wir unsererseits die Variante wählen werden müssen, das Unternehmen schnell wieder zu verlassen.“
Soweit die Fallschilderung. Zugegebenermaßen ist das nicht so häufig, aber auch nicht die Ausnahme.
Die Resonanz auf das, was der Kunde tut und wie er etwas sagt, welche Atmosphäre er erzeugt, wie der das Kennenlernen und die Auftragsgestaltung gestaltet u.ä. liefert für Berater die wesentlichen Informationen. Das „Wie“, nicht das „Was“ ist entscheidend, um wirklich zu verstehen, wie der Kunde die unerwünschten Verhältnisse erzeugt, unter denen er (auch) leidet. Da Stabilität von Verhältnissen in Organisationen immer damit einhergeht, dass über bestimmte Wahrnehmungen nicht gesprochen wird, gilt es für Berater ganz genau darauf zu achten, worüber sie selbst nur unter vorgehaltener Hand, nach dem Termin untereinander usw. sprechen wollen. Eigene Ängste, Schamgefühle, Ärger, Wut, Rebellions- oder Anpassungsimpulse, Abwertungen, Bewunderung, innerer Druck, Es-gut-machen-wollen, Unsicherheiten, Konkurrenz- oder Dominanzbestrebungen, Belehrungswünsche, Rückzugswünsche, Genervtsein u.v.a.m. sind das wichtigste Material, um es dem Kunden zur Verfügung zu stellen. Selbstverständlich nicht immer gleich im Erstkontakt und meist anders dosiert als wie im obigen Beispiel, aber vom Prinzip her nicht anders.
Es ist immer wieder zu beobachten, wie viel Berater zurückhalten. Oft aus Angst den Kunden oder den Folgeauftrag zu verlieren. Verständlich und falsch. Die persönliche Unabhängigkeit ist die Basis ohne die man Beratung nicht wirklich gut machen kann. Gerade auch wenn man ökonomisch auf den Kunden angewiesen ist, darf man die eigene Resonanz nicht zurückhalten. Dabei ist eine große Kunst den passenden Zeitpunkt, die passenden Worte, die passende Dosierung, den passenden Kontext zu wählen, um oft schwierige und tabuisierte Themen und Phänomene anzusprechen. Hierfür gibt es weder Regeln noch Rezepte, sondern nur das eigene Gespür und die geschulte Wahrnehmung. Entscheidend ist die innere Haltung. Berater müssen wertschätzende, zugewandte, freundliche Impulse mit Klarheit, Aggression und Unerschrockenheit zusammenbringen können. Die Integration von Liebe und Aggression – wie Freud dies mal nannte – ist die Voraussetzung für eine wirksame Begegnung und das Zustandekommen eines veränderungsstimulierenden Beratungssystems.
Wer sich oder den Kunden schont, nimmt meist genau die Elemente und Phänomene aus dem Beratungsdialog, die für nachhaltige Veränderung notwendig sind. Kommunikation, die nur leicht und geschmeidig läuft, kann nicht das vom Kunden Ausgeblendete ins Spiel bringen. Niemand schaut gern in den Spiegel, der zeigt, was man gerade nicht sehen wollte. Kein Coachee, kein Team, keine Organisation. There is no straight way to paradise – weder für Berater noch für deren Kunden. Immer ist dabei vorausgesetzt, dass sich an den Grundmustern der Kunden etwas ändern soll.
Wichtig ist, dass auf diese Weise beide – Kunde wie Berater – frei bleiben. Man kann sich dann auf Augenhöhe darüber verständigen, ob man an den relevanten Mustern arbeiten will und dies die Umstände erlauben. Wenn man dies nicht tut, weiß man als Kunde zumindest, was man vermeidet, und als Berater steckt man keine Energie in Projekte, in denen sich nichts verändert. Auf eine solche konsequente Haltung haben Kunden eigentlich einen Anspruch. Darum sollte man es sich als Kunde sehr gut überlegen, Berater zu engagieren, die Umsatzdruck haben und die sich an die eigenen Vorstellung davon, wie etwas zu laufen hat, unter dem Label „Kundenorientierung“ anpassen. Es gibt kaum etwas, was Kunden so schadet, wie falsch verstandene Orientierung an dem, was der Kunde (vordergründig) will und vor allem was er (hintergründig) nicht will.
Ah ja – im Übrigen haben wir den obigen Auftrag bekommen, aber es blieb von Anfang bis Ende ein Ritt auf der Rasierklinge.
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