Klaus Eidenschink
Rechthaben
Georg Picht, vielleicht einer der drei größten unter den unbekannteren Philosophen des 20. Jahrhunderts, hat mal geschrieben: „In der Gestalt, in der das Denken auftritt, ist immer zugleich auch darüber entschieden, was dieses Denken begreifen kann und was nicht. Die Form umgrenzt den Horizont dessen, was eine Philosophie zu denken vermag.“
Wenn dies stimmt, dann ist es gut, wenn man sich über die Folgen klar wird, die es hat, wenn man in bestimmten Formen denkt. Denken ist seit längerem nicht mehr Sache von Gelehrten, sondern – Gott sei Dank – fühlen sich alle berufen, qualifizierte Meinungen zu äußern. Das entbindet aber eigentlich nicht von Selbstreflexion. Eine von Vielen – Politikern, Journalisten, Linkedin-Mitgliedern – derzeit besonders genutzte Form des Denkens ist das, was ich hier mal RECHTHABEN nennen möchte. Die Texte triefen von (moralischer) Selbstgewissheit und verbreiten den Anspruch die eine(!) Wahrheit zu kennen. Sie laden nicht mit Statements zur Diskussion, zum Widerspruch ein, sondern suggerieren, dass die Sachlage eindeutig und klar ist. Man wertet die eigene Position positiv und die anderer als negativ. Das hat eine lange Tradition bei uns. Seit Platon lernen wir genau so zu denken. Es ist eine der bedeutendsten Vorannahmen unseres westlichen Kulturkreises, dass die Welt verständlich sei, weil von Vernunft und vom göttlichen Geist durchdrungen. Klar – wenn die Welt klar und eindeutig ist, dann ist die Wahrheit auch klar und eindeutig.
Aber stimmt denn die Grundannahme? Wenn die Welt von sich aus nicht geordnet und verständlich wäre, sondern dunkel und rätselhaft, wenn das gesamte Dasein Rätselcharakter hätte, wäre jeder Versuch Selbstbetrug, der dem Rätselcharakter des Daseins zu entfliehen sucht. Nietzsche hat das ganz besonders in Frage gestellt. Obwohl etwas altertümlich in der Sprache, hier ein Zitat dazu in voller Länge:
„Man bemerkt, bei meinen früheren Schriften, einen guten Willen zu unabgeschlossenen Horizonten, eine gewisse kluge Vorsicht vor Überzeugungen, ein Mißtrauen gegen die Bezauberungen und Gewissens-Überlistungen, welcher jeder starke Glaube mit sich bringt; man mag darin zu einem Theile die Behutsamkeit des gebrannten Kindes, des betrogenen Idealisten sehen – wesentlicher scheint mir der epikureische Instinkt eines Räthselfreundes, der sich den änigmatischen Charakter der Dinge nicht leichten Kaufs nehmen lassen will, am wesentlichsten endlich ein aesthetischer Widerwille gegen die großen tugendhaften unbedingten Worte, ein Geschmack, der sich gegen alle viereckigen Gegensätze zur Wehr setzt, ein gut Theil Unsicherheit in den Dingen wünscht und die Gegensätze wegnimmt, als Freund der Zwischenfarben, Schatten, Nachmittagslichter und endlosen Meere “ (Nietzsche)
Ich schließe mich an! Ich werbe für eine Form des Denkens, welches nicht auf Rechthaben, sondern auf Erkunden setzt. Dann werden alle Einsichten fragiler und sicherer in ihrer Unsicherheit.
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