Klaus Eidenschink
Wie kann man andere beruhigen? (Teil 2)
Günstiges und weniger Günstiges im Umgang mit Menschen in Angst
– Eine Minihandreichung in vier Teilen –
Teil 1 und Teil 3
Im Folgenden geht es um eine zweite (chronische) Erscheinungsform von Angstzuständen, die Menschen entwickeln können. Dieses Muster habe ich in Teil 1 dieser kleinen Handreichung so überschrieben:
Man weiß von seiner Angst, spürt sie und versucht sie zu verbergen.
So wie im ersten Teil möchte ich dies zunächst an einem Beispiel aus einer Online-Coachingsitzung von letzter Woche illustrieren.
Die zitternde Tee-Tasse
Vor mir (am Bildschirm) sitzt die Bereichsleiterin eines großen Konzerns. Es ist der 1. Termin nach einem Vorgespräch in der Vorwoche. Sie gilt im Konzern als vorstandstauglich, ist hyperintelligent, ist anerkannt durchsetzungsstark und wird von vielen ob ihrer Entschlusskraft und Kompromisslosigkeit auch gefürchtet. Ihre Ausstrahlung ist freundlich, etwas distanziert und auf einer subtilen Ebene vorsichtig. Sie berichtet zunächst von dem Krisenmodus des Unternehmens. Als diese Schilderung überhand zu nehmen droht und mir das leichte Flackern in ihren Augen immer mehr auffällt, unterbreche ich sie und frage, wie sie persönlich die Lage erlebt.
Sie schaut mich überrascht an, auch prüfend, und erzählt mir dann, dass sie sich bis oben hin voller Angst fühlt und auch kaum mehr schläft. Ich sage ihr, dass ich froh bin, dass sie mich das wissen lässt und ich mich aber wundere, dass sie das nicht gleich zu Beginn erzählt hat, wenn es denn innerlich so stark spürbar ist. Etwas zögerlich sagt sie: „Meine Angst darf keiner merken! Gestern habe ich bei der Videokonferenz eine Tasse Tee getrunken und dabei gemerkt, wie dabei die ganze Tasse gezittert hat. Das war für mich der GAU! Wenn die Leute sehen, dass ich schwach bin, dann ist es mit mir, meinem Ruf und meiner Autorität dahin. Das wird dann sofort ausgenutzt!“
Das „Ich-darf-meine-Angst-nicht-zeigen-Muster“
Was kennzeichnet dieses Angstmuster? Die Angst wird innerlich deutlich erlebt und sie dominiert auch das Innenleben. Diese Dominanz wird besonders wahrgenommen, wenn die Ablenkung fehlt und man nicht funktionieren muss: Also in Pausen, beim Einschlafen, beim Aufwachen, in Wachzeiten in der Nacht. Sie klingt also nicht mehr wirklich ab und der Organismus bleibt durchgängig in einem Stresszustand. Bewusst versucht man kompensatorisch stark zu sein. Damit gibt man sich unnahbar und hart. Die Faszien und Tiefenmuskulatur kommen chronisch unter Spannung. So kann man den körperlichen Ausdruck weitgehend reduzieren. Es bleiben dann Momente und Kleinigkeiten wie der leichte Tremor beim Halten der Teetasse übrig, die als Hinweise für die Anspannung von anderen wahrgenommen werden (können).
Dem liegt u.a. ein Beziehungsverständnis zugrunde, das da lautet: „Angst ist ein Zeichen von Schwäche!“ und „Wer Schwäche zeigt, der wird zum Verlierer!“. Also ist die Gleichung:
- Angst = Schwäche => Verlierer sein => Verbergen.
Selbstverständlich gibt es hiervon sehr viele Varianten:
- Angst = Beschämung => Scham => Verbergen
- Angst = Andere im Stich lassen => Schuldgefühle => Verbergen.
- Angst = Allein gelassen werden => Verzweiflung => Verbergen
- Angst = Andere sind überfordert => Ohnmacht => Verbergen
Das Prinzip ist immer das Gleiche. Angst ist innerlich mit einer sehr unangenehmen Abwertung, Zuschreibung oder erwarteten Folge verknüpft. Dies löst ein weiteres Gefühl aus, welches unerträglich ist. Diese Verknüpfung – psychologisch sagt man dazu Sekundäraffekt – führt dazu, dass man Angst nicht ohne Schwäche, Scham oder Schuld empfinden kann und deshalb versucht, sie aus dem Selbstausdruck zu verbannen. Stärke und niemanden brauchen war schon immer die Lösung im Leben. Wer allein klar kommt, kommt zurecht.
Ungünstige Folgen
Es leuchtet – denke ich – ein, dass solche Angstmuster massiv in die Krise kommen, wenn – so wie im Moment – die Gefahren im Außen zunehmen und schlecht unter Kontrolle zu bringen sind. Denn es wird der Aufwand höher und höher die immer größer werdende innere Anspannung unsichtbar zu machen. Das kann im Prinzip bis zu dem sprichwörtlichen Nervenzusammenbruch gehen. Daher sind Menschen in solchen Mustern besonders gefährdet.
Ungünstig wirkt sich insbesondere aber aus, dass Menschen in solchen Muster im Stress wandelnde Konfliktgeneratoren sind. Dadurch, dass sie allein und angespannt sind, sind sie oft gereizt, ungeduldig, fordernd, abwertend anderen gegenüber und erwarten Unmögliches. All das wiederum belastet die Beziehungen auf eine Weise, dass die Gründe für Anspannung zunehmen. Ein Teufelskreis nimmt seinen Lauf. Weil sich andere eher fürchten, auf Distanz gehen und solche Personen wenn möglich meiden, bestätigt sich der Eindruck, dass man am Ende auf dieser Welt einfach allein ist und sich auf niemanden verlassen kann, weiter gefestigt.
Ungünstige Antworten
Hat man nun mit Menschen in solchen Angstzuständen zu tun, neigen viele dazu, nur die gezeigte starke Seite zu sehen und diese für die ganze Wahrheit zu halten. Die kleinen Signale – das Zittern der Tasse – werden übersehen und die harten Züge um den Mund sind das, auf was man achtet. Man glaubt, dass solche Menschen niemanden brauchen und überlässt sie damit sich selbst. Viele versuchen nicht in die Forderungs- oder Schusslinie zu kommen und halten sich bedeckt. Die eigene Hilfsbereitschaft bleibt dann auf einer sachlichen, aufgabenbezogenen Ebene, da man nicht damit rechnet, dass Wärme, Zugewandtheit und Fürsorge nötig oder wichtig wären. Das ist ja vordergründig auch nicht ganz verkehrt. Zudem werden solche Angebote oft brüsk und unwirsch – „Ich brauch das nicht!“ – zurückgewiesen, zumindest aber nicht aufgegriffen, sondern scheu und unbeholfen mit einem knappen „Danke“ quittiert. So zieht man sich dann spätestens nach dem zweiten Versuch zurück. Dieser Rückzug ist verständlich, jedoch ungünstig.
In Beratung- und Coachingkontexten kommen solche Menschen als Klienten im Übrigen so gut wie immer mit dem Auftrag, der Coach oder Therapeut möge doch etwas tun, damit die Angst weggeht. Diesen Auftrag anzunehmen, wäre ein Desaster, würde es doch den Kampf des Klienten gegen sich selbst erst recht befeuern. Leider stelle ich immer wieder fest, dass Coaches wie Therapeuten genauso arbeiten, frei nach dem Motto: „Ohne Angst durchs Leben!“. Destruktiver geht es kaum.
Was hilft Betroffenen wirklich?
Was hilft nun? Ganz simpel gesagt, geht es um die Botschaft „Ich sehe Deine Angst und ich mag sie!“ Nachdem wie oben geschildert, Angst mit Gefühlen von Schwäche, Scham, Schuld oder Ohnmacht gekoppelt ist, brauchen solche Menschen die Erfahrung, dass sie in und mit ihren Ängsten nicht ausgenutzt werden. Das Problem ist, dass andere Botschaften nicht so leicht geglaubt werden. Daher stellt sich die Frage, was es wahrscheinlicher macht, dass man mit seiner Zuwendung durchdringt?
- Das Wichtigste ist, dass es aufrichtig ist. Wer sich der versteckten oder verschleierten Angst des Gegenübers nicht innerlich verbunden fühlt, ist nicht geeignet Beruhigendes beizutragen.
- Es ist in der Folge wichtig, dass man sich selbst dafür zuständig macht, das Thema anzusprechen. Im einleitenden Beispiel ist das der Grund, warum ich die Schilderung der Probleme im Außen unterbrochen habe und nach dem Erleben meiner Klientin gefragt habe. Andernfalls hätten wir die gesamte Sitzung mit äußerlichen Schwierigkeiten zugebracht.
- Dann kommt es darauf an, den ängstlichen Teil direkt und explizit anzusprechen. Also nicht „Ich mag Dich!“ oder „Kann ich Ihnen helfen?“, sondern „Ich finde Dich in den Momenten, wenn Dir anzumerken ist, dass Du Dir vielleicht Sorgen machst, ganz besonders liebenswert!“ oder „Wenn ich sehe, wie schwer Sie es grad haben und wie Ihnen das auch Angst machen muss, dann will ich Ihnen versichern, dass Sie ganz sicher mit mir rechnen können. Ich bin da, wenn Sie mich brauchen!“. Entscheidend ist, dass man zu erkennen gibt, dass man etwas beim anderen sieht und sich in ihn einfühlt in Bezug auf einen Aspekt der Person, den der andere zu verbergen sucht.
- Schlussendlich muss man ausdauernd sein und sich nicht von einer positiven Reaktion abhängig machen. Einmal ist keinmal. Es ist eine gewisse Unerschütterlichkeit notwendig, will man für die ängstliche Seite im Gegenüber glaubwürdig sein. Solche Persönlichkeitsteile sind fragil, scheu und testen das Gegenüber immer. Sie kommen nicht beim ersten Rufen aus dem Versteck!
- Spürt der andere dann, dass man stabil da ist, auch wenn er die Angst zeigt, ist es wichtig, einfach nur da zu sein. Nicht beruhigen wollen, weil der beruhigende Effekt rein durch die Bindung entsteht, die erlebt wird. Kontakt und Begegnung hilft, nicht das, was man tut.
Soweit zu dieser zweiten Form von Angstmanagement. Im nächsten Teil wird es dann um Menschen gehen, die viel von ihrer Angst zeigen, ohne dass sie selbst von ihr wissen.
Heinz-Günter Andersch-Sattler
Diese Form der Angst ist meiner Erfahrung nach weit verbreitet in Organisationen. Ich habe lange nicht verstanden, warum Beamte Angst um ihren Arbeitsplatz haben, insbesondere Lehrer. Diese Angst speist sich aus dem oben beschriebenen Drang: keiner darf’s merken, weil sich die Angst da durch potenziert spiralförmig: jeden Moment könnte ich entdeckt werden. Und ja, ich erlebe es auch so, dass die Angst gelassen und freundlich anzuschauen, eine große Entlastung darstellt.