Interne Beratung – geht das?
Wenn man darüber nachdenkt, wie Beratung funktioniert, kommt man unweigerlich an der Frage vorbei, ob und wie interne Beratung funktionieren kann. Mit interner Beratung sind hier gemeint, die Consulting- oder HR-Abteilungen großer Konzerne, einzelne HR-Mitarbeiter mit Beratungs- und Coachingkompetenz (und -aufgaben), Supervisoren der gleichen sozialen oder pädagogischen Institution etc. Es geht also um die Situation, dass Berater und zu Beratende Sub-Systeme eines gemeinsamen Systems sind. Das schafft mehrere Besonderheiten (von denen manche in veränderter Form auch auf externe Beratung zutreffen, wenn diese über lange Zeit mit dem selben Stammkunden verbandelt ist). Diese Besonderheiten sind in Kürze:
- Man kennt sich bevor die Beratung beginnt. Es gibt eine Geschichte. Die internen Berater haben bei ihren internen Kunden einen Ruf, der viel umfassender ist, als der von Externen. Man hat schon mal zusammengearbeitet oder man kennt welche, die das schon getan haben. Man sieht sich in der Kantine, man hat gemeinsame Bekannte. Das macht – explizite oder latente – Wertungen wahrscheinlicher. Und es fördert Zusatzmotive wie taktische Auswahl, Vorsicht, Loyalitätserwartungen u.ä.
- Das Ganze gilt natürlich auch spiegelbildlich. Auch die interne Beratung kennt oft den Coachee, kennt das Team, kennt den Bereich. Das lässt sich nutzen, macht aber den Aufbau der Beratungsbeziehung nicht eben leichter (siehe These 1).
- Die Probleme des internen Kunden, sind nicht eben selten auch Probleme der internen Beratung. Klar, man ist ja in der gleichen Firma, ist „nur“ in unterschiedlichen Sub-Systemen. Man kann also sagen, dass interne Beratung immer auch ein Stück sich selbst sieht, wenn sie auf den Kunden schaut. Man teilt in manchen Hinsichten die gleichen Selbstverständlichkeiten und hat die gleichen blinden Flecken. In diesen Hinsichten wird es dann schwer zu beraten, da man den gleichen Bezugsrahmen teilt.
- Schlussendlich hat interne Beratung oft auch Informationen darüber, wie andere Bereiche, Teams und Personen den Kunden sehen und wo es „schwierig“ oder „einfach“ mit ihm ist. Das erleichtert es, die blinden Flecken des Kunden zu finden. Man sieht leichter, was das Klientensystem in seinem Sehen nicht sieht.
Daraus ergeben sich Gefährdungspotientiale für interne Beraterinnen und Berater. Welche sind das?
- Wie sehr ist man sich sicher, dass man nicht ungünstig vermeintliche Selbstverständlichkeiten der Organisation mit dem Kunden teilt? Schon um hier vorzusorgen, braucht interne Beratung intensiven Austausch und Kontakt über den Tellerrand der eigenen Organisation hinaus!
- Wie viele eigene Bewertungen des Kunden sind schon vorab im Spiel („Unsere Führungskräfte müssten endlich mal…!“)? Jede solche wertende Haltung erschwert Beratung. Ist sie unbewusst oder hält man sie für wahr, endet die Beratung bevor sie angefangen hat. Statt dessen beginnt Schulung, (Nachhilfe-)Unterricht, Verbesserungsversuche! Das ist meist ebenso sinnlos wie frustrierend.
- Oft ist die interne Beratung auf Lernen und Änderungen des Kunden fixiert. Es gilt aber immer auch den Blick auf das zu haben, was erhaltungswürdig ist.
- Eine nicht unerhebliche Gefährdung besteht darin, dass manches beim Kunden nicht in Frage gestellt wird, weil man sich damit selbst in Frage stellen würde. So eine einfache Frage wie „Warum machen Sie diesen Missstand bei unserem Vorstand nicht zum Thema?“ kommt natürlich schwerer über die Lippen, wenn man selbst diesen Missstand bislang nicht angesprochen hat.
- Ungünstige latente und implizite Regeln der Gesamtorganisation können in ihrer Schädlichkeit für den Kunden oft nicht thematisiert werden, da die interne Beratung diese Dysfunktionalität nicht so leicht bemerkt, weil diese Regeln ja auch für sie selbst gelten. Man schwimmt im gleichen Wasser und hat so auch immer Vorannahmen darüber, was veränderbar ist und was nicht.
Dem gegenüber stehen Nutzenpotentiale, die externe Berater nicht haben.
- Die interne Beratung hat mehr Möglichkeiten zu wissen, welche Schnittstellenpartner in der Organisation mit dem Klienten Schwierigkeiten haben. Externe brauchen da viele Interviewstunden oder wissen das gar nicht. Das ist sehr hilfreich, um auch Themen zu identifizieren, die der Kunde gern vermeiden würde
- Interne Beratung weiß in der Regel sehr gut, womit man sich in der Organisation wirklich gefährdet, und ist daher nicht so leicht bei der Hand, naive Vorschläge zu machen. Auch ist sie weniger in Gefahr, etwas besprechen zu wollen, was unbesprochen bleiben muss, wenn man die Flexibilität und den Handlungsspielraum erhalten will. Manche Tabus müssen tabu bleiben, wenn sie funktionieren sollen.
- Die Kenntnis der Abläufe, Prozesse, Strukturen ist für die interne Beratung nützlich, wenn man sie gebraucht, um zu verstehen, wo der Kunde überangepasst ist oder etwas nicht in Frage stellt, was zum Thema gemacht werden könnte! Wo sind blinde Flecken des Kunden im Hinblick auf seine Schnittstellenstrukturen? Was wird durch ihn zu wenig oder zu viel abgestimmt? Wo fehlen im Allianzen, Loyalitäten und Netzwerke?
- Und nicht zuletzt hat die interne Beratung natürlich genaue Kenntnis der informellen Seite der Organisation. Diesen Hintergrund kann man in vieler Hinsicht nutzen, um den Kunden zu verstehen, zu konfrontieren oder seine Problemstellung wie seine Lösungswege zu hinterfragen.
In Summe halten sich Vor- und Nachteile ziemlich die Waage. Schon aus diesem Grund ist es bisweilen eine sehr gute Idee, wenn externe Beraterinnen und interne Beraterinnen zusammenarbeiten. Das setzt allerdings ein gemeinsames Beratungsverständnis voraus. Auch braucht es ein Orientierung, wann man als Interner auf keinen Fall aktiv werden darf. Das sind meist die Fälle, wenn man obige Gefährdungen als schon gegeben ansehen muss.
Die Ansprüche an persönliche Unabhängigkeit, Zivilcourage, Kritikfähigkeit, Standing und Beziehungskompetenz beileibe nicht geringer als bei externer Beratung. Daher brauchen interne Beraterinnen und Berater durchaus eine umfassende Ausbildung, wenn man sich nicht verheizen und missbrauchen lassen möchte.
Die Sorgfalt, mit der darauf geachtet werden muss, dass wirklich eine Beratungsbeziehung entsteht und nicht nur kollegiales Setting (in dem dann schnell obige Gefährdungen greifen) ist nicht eben klein.
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