Paradigmenwechsel: Neue Entscheidungslogik
Die beiden jahrhundertealten Pfeiler „Wahrheit“ und „Konsens“ haben lange bestimmt, wie man zu (guten) Entscheidungen kommt. Doch sie sind ins Wanken gekommen. Wir stecken damit in einem Paradigmenwechsel allererster Güte.
Wenn man – die Sachdimension nutzend – feststellen will, was wahr ist, gibt es kaum ein Thema, zu dem man nicht mit widersprüchlichen Argumentationen konfrontiert wird. Auch findet man kaum mehr Experten, die zu einem x-beliebigen Thema eindeutig sagen können, was stimmt. Der Anspruch, dass die heutige Wahrheit auch morgen noch wahr sein soll, läßt sich ebenfalls nicht halten. Pläne, Strategien und Entscheidungen lassen sich immer seltener durchhalten und verdauern.
Wenn man – die Sozialdimension nutzend – auf Konsens setzen will, um zu entscheiden, wird man nicht mehr fertig. Es ist zu schlicht zu aufwändig, alle Betroffenen ins Boot zu holen, deren Interessengegensätze zu vereinen und dann die Einigung auch stabil zu halten. Die Zeiten wo es möglich war, dass alle mit „Blut“ unterschrieben haben, sind vorbei. Zudem dauert es meist zu lang.
Beide Paradigmen, Wahrheit wie Konsens, setzen auf „Durchhalten“, auf Nicht-Veränderung, negieren also Zukunft als zeitliche Dimension. Doch morgen kann etwas anderes ins Spiel kommen oder jemand anderes wird wichtig. Setzt man dagegen – die Zeitdimension nutzend – auf Änderbarkeit, entwickelt man Konzepte, die Reversibilität ermöglichen. Dazu müssen Entscheidungen revidierbar gestaltet und Risiken begrenzt werden. Vorläufigkeit wird dann zur Notwendigkeit und gilt nicht als Ausdruck von Unprofessionalität oder Inkompetenz. Man denkt in Versionen und nicht in Perfektion.
So hat es einen systematischen, theoretisch beschreibbaren Grund, dass in den letzten Jahren vermehrt Konzepte, die die Zeit als Ressource begreifen, entwickelt werden und erfolgreich sind. Das Hauptschlagwort hierfür ist „Agilität“. Wichtig ist hier, dass Beweglichkeit nicht als Selbstzweck angesehen wird, sondern als einer von zwei Polen verstanden wird. Wer auf Änderbarkeit setzt, muss immer auch sagen können, was beständig bleiben soll. Lernen ist ebenso wichtig wie Stabilisieren. Das wird bei all dem Hype um Flexibilität derzeit oft unterschätzt. Wirklich agil ist, wer sich entscheiden kann, ob er agil oder nicht agil sein möchte. Für Berater heißt dies, sich von „richtigen“ Rezepten und Tools zu verabschieden und Konflikte nutzen zu lernen, statt auf Befriedung und Konsens zu setzen. Anders gesagt: Es geht darum, zu helfen, dass Menschen und Organisationen mit Nachteilen und Schattenseiten in jeder Entscheidung rechnen sowie Verlieren-können als Kompetenz zu begreifen und aufzubauen.
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