ESKALATIONSWILLE UND DIE BEREITSCHAFT ZUR RÜCKSICHTSLOSIGKEIT

In Konflikten gibt es Eskalationsschwellen. Das hat F. Glasl nun schon vor Jahren aufs Wunderbarste herausgearbeitet. Sind diese überschritten, ist es leicht die nächste Schwelle zu überschreiten. Das Land des Konflikts ist eines, in das man leicht einreisen kann, aber nur sehr viel schwerer die Ausreisemöglichkeiten findet (so ähnlich hat das A.v. Schlippe mal formuliert).

Wenn man eingereist ist, dann sollte man wissen, welche Expeditionen man sich in diesem Konfliktland zutraut, wie es um die eigene Ausrüstung steht und wie es um den eigenen Willen bestellt ist. Zu letzterem ein paar Anmerkungen.

Ist die Schwelle überschritten, in der Drohungen und Gewalt im Spiel sind, dann hängt vieles am Willen. Denn, wenn es um Sieg und Niederlage geht, gewinnt sehr oft nicht der Kräftigere, sondern der Entschlossenere. Es gibt dafür unzählige Beispiele. Ein Vorteil der Ukrainer derzeit, ist diese Entschlossenheit. Der Wille zum Sieg hat jedoch eine weitere, oft entscheidende Komponente: Das Maß der Rücksichtslosigkeit! Man kann das schon an Geschwisterkämpfen sehen, in denen die Kleinen – mangels Reflexionsvermögen – entschlossen zubeißen und damit als Sieger vom Platz gehen. Klar, sie werden dann moralisch ermahnt, weil sie zu unlauteren Mitteln gegriffen haben. So entsteht eine Kultur, die der Rücksichtslosigkeit, die jeder Konfliktdynamik innewohnt, Grenzen setzt. Alle lernen ihre Wut zu zügeln. Man geht zum Rechtsanwalt und greift nicht zum Schwert. Heute. Meistens.

Ist diese Art der Zügelung außer Kraft – und im Krieg ist das so – dann greift obige Regel: Der moralisch Rücksichtslosere hat den Vorteil auf seiner Seite. Gewalt und Moral vertragen sich nicht im Hinblick auf Sieg. Wer ohne zu zögern, dem anderen in die Fresse haut, hat Vorteile.

Wer sich auf die gewalttätige Auseinandersetzung mit einem Gegner einlässt, sollte kennen, welche moralische Hemmschwellen auch bei drohender Niederlage intakt bleiben werden. Wenn man einerseits dem Gegner alles zutraut, wirklich alles, und gleichzeitig im Kampf mitmischt, dann ist das heikel. Wer also damit rechnet, dass der andere nicht beim Faustkampf bleibt, sondern das Messer zückt, sollte auch zum Messerkampf bereit sein. Ist man das nicht, werden Drohungen und verfestigtes Zuschlagen mit den Fäusten zur Tollkühnheit.

Wer den Sieg fordert, muss sagen, wie er verhindern will, dass der andere sich selbst und alle anderen zerstört, oder er muss Willens sein, zugunsten wichtiger Ziele, alles zerstört zu sehen. Gemeinsam in den Abgrund – die letzte Stufe der Eskalation nach Glasl – geht immer.

Folglich:
Was immer Du tust, bedenke, in welche Zugzwänge Du Dich und andere bringst!
Was immer Du tust, kläre, ob Du alle Mittel wählen willst, die der Gegner wählen könnte!
Was immer Du tust, rechne damit, dass der Gegner im Angesicht der Niederlage, alle Mittel, die er hat, wählen könnte.

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