Klaus Eidenschink
Organisationen als ideale Eltern? (Teil 1/8)
Wer wissen will, warum er unglücklich ist, sollte seine Erwartungen prüfen. Denn es sind häufig die Erwartungen und daraus resultierende Enttäuschungen, die Unglück erzeugen nicht die ungünstige Wirklichkeit. Ich möchte diesen psychologische Grundsatz am Zusammenleben von Mensch und Organisation an ein paar wichtigen und häufigen Themen illustrieren. Will man Organisationen verbessern, dann sollte man sich durchaus mit der Frage beschäftigen, was Organisationen für das Glück von Menschen leisten können – und was nicht in ihrer Macht steht! Ich möchte den lateinischen Rechtsgrundsatz „Ultra posse nemo obligatur“ (Es darf von niemandem mehr erwartet werden, als er leisten kann) für Organisationen in Anschlag bringen. Auch Eltern versuchen ja das Bestmögliche für ihre Kinder und stellen fest,
- dass sie selbst das nicht in jeder Hinsicht können (Man ist genervt),
- dass es Situationen gibt, in denen es einfach nicht geht (Man muss anderes tun) oder
- dass die Kinder Unmögliches erwarten (Kannst Du das wieder heile machen?).
Eltern können und sollen nicht ideal sein. Aber können und sollen es Organisationen?
Aus der Annahme, dass Organisationen von Menschen geschaffen und gesteuert werden, folgt üblicherweise die Erwartung, sie könnten und sollten so „gebaut“ sein, dass es den Menschen als Mitgliedern in der Organisation gut geht. Da dies für viele in der Arbeit allerdings täglich widerlegt wird, entstehen vorhersagbare Enttäuschungen und in der Folge unermüdliche Bestrebungen die Organisationen menschengerechter zu machen.
Das kann man tun. Gelingen kann es nur, wenn man sich drei Fragen stellt:
- Sind die jeweilige Erwartungen so, dass es den Menschen selbst gut tut, wenn sie erfüllt wird?
- Sind die Erwartungen der Menschen so, dass das soziale System „Organisation“ diese erfüllen kann?
- Hat es ausschließlich günstige Folgen für Organisation und ihre Mitglieder, wenn die jeweilige Erwartung erfüllt wird?
Ich beginne hier eine Serie, die diesen Fragen an Hand folgender sieben Themen nachgeht:
WERTSCHÄTZUNG, SICHERHEIT, AUTONOMIE, GERECHTIGKEIT, BINDUNG, SINN UND MENSCHLICHKEIT.
Alle diese Begriffe haben einen Bezug zu psychischen Bedürfnissen. Damit ist eines schon mal klar: Menschen aktivieren automatisch alle (dys)funktionalen Bedürfnisregulationsmuster auch in der Rolle „Mitglied“ einer Organisation. Sie leben in der Arbeit ihre Abhängigkeiten, ihre Rebellionen, ihre Frustrationen, ihren Wertschätzunghunger, ihre Verletzungen, ihre Beschämungen, ihre Resigniertheiten, ihre Opferwut, ihre Einsamkeiten, ihre Brüchigkeiten und ihre Heilserwartungen aus.
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