Einfältig
Wer etwas beschreibt, beschreibt nie alles, sondern immer eine Auswahl. Welche Auswahl getroffen wird, spielt für die Form von Konflikten eine enorme Rolle. Oft werden Konflikte über Ziel- oder Interessensgegensätze erklärt. Mindestens genauso wichtig ist es, dass Konflikte darüber entstehen können, wie ein und dieselbe Realität unterschiedlich wahrgenommen und beschrieben wird. „So war es und nicht anders!“ Eine Aussage, die den Anspruch hat, festzulegen, was wirklich passiert ist, ignoriert, dass jede Beschreibung ein Bild dessen ist, der beschreibt. Christian Morgenstern formulierte dies mal aphoristisch so: „Wenn ein Affe ins Evangelium hineinschaut, so schaut auch ein Affe wieder aus dem Evangelium heraus!“
Streit entsteht folglich leicht dann, wenn es um das wahre „Evangelium“ geht. Sobald die Teilnehmer einer Kommunikation darauf bestehen, dass ihre Beschreibung alles abdeckt und sich mit ihrer Sichtweise identifizieren, entsteht ein Entweder-oder. Die Welt des Konfliktsystems rutscht von der Viel-falt in die Ein-falt. In einfältigen Beschreibungen werden alle anderen Möglichkeiten ausgeschlossen. Es zählt nur die (vermeintlich objektive) Information („Was steht drin?“) und der Mitteilungsaspekt der Kommunikation („Was lese ich raus?“) verschwindet.
Eine solche Einfältigkeit braucht es unter Umständen, um zementierte Weltbeschreibungen („Die Sonne dreht sich um die Erde“) in Frage zu stellen. Gegenpositionen dieser Art müssen dann in der Regel mit Autorität (Wissenschaft) oder Protest (Friday for future) aufgeladen werden, um so ernst genommen zu werden, dass ein Konfliktsystem entsteht: „Die Erde dreht sich um die Sonne!“