Klaus Eidenschink
Organisationale Resonanz und menschliche Anliegen (Teil 8/8)
Organisationale Resonanz
Alle Systeme haben Resonanzorgane, die sie mit der Welt verbinden. Menschen haben z.B. Augen, die ein bestimmtes Spektrum sehen können. Dieser Ausschnitt macht uns sehend und blind zugleich. Wir sehen kein Infrarot wie ein Smaragdprachtbarsch, der auch im (für uns) Dunklen seine Beute erkennen kann. Menschen haben ein Gehör, das einen bestimmten Frequenzbereich abdeckt. Wer uns im Ultraschallbereich eine Musikstück vorspielt, wird unbemerkt bleiben. Jedoch die Fledermäuse würden angetan klatschen.
Auch (Wirtschafts-)Organisationen gehen in Resonanz mit der Welt. Sie reagieren auf Zahlungen, also auf Einnahmen und Ausgaben. Diese werden verbucht und leiten Entscheidungen. Diese Einsicht von Luhmann finde ich nachwievor ebenso simpel wie erkenntnisträchtig. Denn sie informiert uns in ihrer Schlichtheit, worauf Organisationen reagieren und worauf nicht. Fälschlicherweise wird sie oft kritisch und als kapitalismuslegitimierend angesehen. Das halte ich für einen Fehlschluss. Denn es geht hier um Resonanz, nicht um Inhalte der Resonanz. Das wäre so, als ob man das Sehen kritisieren würde, weil man damit auch einen Mord beobachten kann.
Machen wir es überdeutlich. Rein wirtschaftlich ist der Einbau von Toiletten in Betriebsgebäuden ein Kostenfaktor, den eine Organisation sich gern sparen würde. Würde man die Kosten an der Stelle vermeiden, würde die Organisation allerdings feststellen, dass es beim Rekruiting neuer Mitarbeiter Probleme gibt, wenn diese in den Büro- und Fabrikfluren an diversen Häufchen und Pfützchen vorbeilaufen, die unangenehm riechen. Da ist der Einbau von WCs dann doch auch ökonomisch sinnvoller.
Dieser Gedanke, dass Organisationen auf etwas dann reagieren, wenn es Geld bringt, einspart oder die Kosten erhöht, wir vom Gesetzgeber in vielfältiger Weise umgesetzt. Kündigungsschutz, Subventionen für erwünschte Produkte, Arbeitsschutz, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall etc. sind Beispiele unter tausenden. Ebenso werden DIN-Normen und andere Vorgaben beachtet, weil die Missachtung Geldstrafen oder Verkaufsverbote bewirken würde. Wohin Tricksereien führen können, wenn Gesetze missachtet werden, ist am Beispiel VW hinlänglich illustriert. Weil die Mehrkosten für CO2-Neutralität in bestimmten Marktfeldern einen Mehrabsatz versprechen, wird darin investiert.
Wenn Moral sich rechnet, wird sie praktiziert. Aber nicht weil es moralisch ist, sondern weil es Geschäft bringt. Erleichtern Purpose-Versprechen oder neue Arbeitsformen die Personalbeschaffung und die Mitarbeiterbindung, werden sie von der Organisation eingeführt. Aber nicht um den Menschen Sinn zu liefern (auch wenn es für die Menschen so ist), sondern weil dieser Sinn für die Mitarbeiter für die Organisation als Organisation nützlich ist. Quasi Win-Win.
Doch das ist natürlich nicht immer so. Manches, was den Mitgliedern guttut, reduziert einfach nur den Gewinn. Man nehme das triviale Beispiel betriebliche Weihnachtsfeier. Die Organisation verdient deswegen keinen Cent mehr. Manches, was der Organisation guttut, geht den Mitarbeitern einfach nur auf den Wecker, z. B. Überstunden am Wochenende, das den Kindern gehört. Solche Arbeit macht alles, nur keinen Spaß. Win-loose, auf beiden Seiten. Mal so, mal so.
Schlussendlich gibt es manches, was der Organisation einfach nur Geld kostet und den Mitarbeitern auf die Nerven geht. Loose-loose. Beispiele dafür findet jeder zuhauf selbst. So wie wir Menschen nicht immer das tun, was uns und der Umwelt gut tut, tun auch Organisationen nicht automatisch das, was Kosten spart und Umsatz erhöht. Beide, Mensch wie Organisation sind voller innerer Widersprüche.
Dass in solchen Verhältnissen die Idee aufkommt, man könne diese Widersprüche tilgen, ist zu erwarten. Es kommt zu zahllosen Versuchen, die Organisation wie die Menschen zu verbessern. Ich finde, da ist wenig dagegen zu sagen. Wogegen ich etwas sagen möchte, ist, dass wenn die Ergebnisse nicht so sind, wie man es erwartet, die Enttäuschungen darüber in Anklagen übergeführt werden. So wie der Satz „Werde die beste Version Deiner selbst“ auf der psychischen Ebene aus psychologischer Sicht nah an Folter grenzt, da er eine narzisstisch aufgeladene Ich-Ideal-Orientierung als seelische Gesundheit und positive Lebenseinstellung maskiert, so ist die Ideal-Vorstellung einer Organisation, die sich an Menschen orientiert, wo sie doch dafür gar kein Resonanzorgan hat, ebenso schädlich. Denn es weckt Erwartungen, die die Organisationen nicht einlösen können. Jeder der Kinder schon mal etwas versprochen hat und das Versprechen nicht einhalten konnte, weiß, wie destruktiv solche Versprechen sein können.
Menschliche Anliegen
Nochmals – das ist keine Kritik am Versuch, Verhältnisse für Mitarbeiter oder Klimaziele so gut wie möglich zu machen. Sondern es ist der Wunsch, dass in all dem die Vorläufigkeit und das Unzureichende normalisiert werden. Wenn eine Gesellschaft nur mit dem Perfekten zurechtkommt – hier Organisationen, die sichere, gerechte, freie, autonome, gute, humane und sinnvolle Arbeit anliefern und gleichzeitig am Weltmarkt bestehen können -, dann beginnt sie sich selbst zu gefährden. Wenn wir weder mit den inneren Konflikten der Menschen wie der organisationalen Systeme noch mit den Spannungen zwischen den beiden Systemen ein Auskommen finden, fehlt ein Stück Lebenstauglichkeit.
Wir alle sind unausweichlich Teil der Probleme. Niemand kann ein richtiges Leben im Falschen führen, um es mit Adorno zu sagen. Organisationen haben nicht nur Menschen in der Rolle als Mitarbeiter als relevante Umwelt, sondern auch als Käufer. Schon sind wir beim Widerspruch: Es sind die gleichen Menschen, die als Mitarbeiter für hohe Löhne sind, als Käufer billige Kleidung aus Pakistan erwerben und als Bürger gegen Arbeitsplatzabbau eintreten. An welchen der Aktivitäten der Menschen sollen sich Organisationen nun orientieren? „Werdet organisationstauglich!'“ würden Organisationen posten und damit meinen, dass Menschen mit Konflikten und Unzulänglichkeiten leben lernen sollen. Organisationstauglich würde meinen, dass Menschen sich weder resigniert mit Verhältnissen in Organisationen abfinden, noch grandiositätsverblendet glauben, Organisationen könnten die Welt retten oder würden sich nur an Werten orientieren können.
Bei all dem ist vollkommen unbestritten, dass die Möglichkeiten Organisationen in Resonanz mit Phänomenen zu bringen, die Menschen wichtig sein müssen, nicht ausgeschöpft sind. Gewinnerzielung ist auf Dauer nur möglich ist, wenn entscheidende Phänomene in der Umwelt nicht ignoriert werden. Organisationen ignorieren alles, was nicht mit Zahlungen zu tun hat, so wie wir Menschen Ultraschall ignorieren. Nicht weil wir wollen, sondern weil wir sind, wie wir sind. Das ist aus meiner Sicht allerdings kein beklagenswertes Phänomen. Denn man kann es, wie oben schon angedeutet, nutzen.
Wie man auf das Resonanzorgan von Organisationen einwirken kann – das muss dann die wichtigste Frage werden. Denn gesetzt den Fall, alle Mitarbeiter inklusive der Geschäftsführung wären besten Willens, vernünftig und moralisch gut, dann wären Organisationen in ihren Entscheidungen immer noch daran orientiert, Gewinn zu machen. Organisationen sind nicht die Summe ihrer Mitarbeiter, auch wenn das immer wieder so vermutet und behauptet wird. Organisationale Motive sind nicht die Addition der Motive ihrer Mitglieder.
Zur Ökonomie des Gewünschten
Zurück zur entscheidenden Frage für die Beeinflussung von Organisationen. Wie wird das von Menschen Gewünschte für Organisationen ökonomisch attraktiv und das Unerwünschte unattraktiv? Es geschieht dann, wenn – ich wiederhole es – das Attraktive Gewinn bringt und das Unerwünschte zu hohen Aus- und Abgaben zwingt. Warum wird das nicht so mit Hilfe von Wirtschaftsgesetzgebung gemacht?
Wenn ich über diese Frage nachdenke, komme ich immer und immer wieder bei einem Problem heraus, für das ich derzeit keine Lösung sehe und auch anderswo keine finden kann (Hinweise sehr willkommen!). Das Problem besteht in der globalen Aufstellung des Wirtschaftssystems bei gleichzeitiger nationaler Strukturierung der Gesetzgebung. Angenommen Deutschland (oder auch die EU) würde per Gesetz alle in Deutschland (oder der EU) wirtschaftenden Organisationen die Kosten für jedweden Verbrauch und Verschmutzung der Umwelt auferlegen, dann hätte das vermutlich zwei Folgen. Die Unternehmen, die das können, würden ihren Standort aus Deutschland wegverlagern, und die, die bleiben müssen, würden international kaum mehr wettbewerbsfähig sein.
Solange wir uns das Wertschätzende, Gerechte, Sichere, Autonome, Sinnhafte, Gute und Humane von Organisationen wünschen, senden wir letztlich auf dem falschen Kanal. Es bleibt dann Zufall, ob die Organisationen in unseren Wünschen auch ökonomisch Sinnvolles entdecken. Da könnte man klüger vorgehen. Denn die Wirtschaft ist nicht dazu da, uns zu befriedigen, sondern um zu wirtschaften.
Aber es könnte die große Chance sein, wenn wir dies zu nutzen verstünden. Stattdessen ist es beliebt, humane und moralisch hochwertige Forderungen an die in Organisationen Verantwortlichen adressieren. Das gleicht vom Vorgehen religiösen Menschen, die ihre Wünsche an dafür zuständige Heilige im Abendgebet richten. Die Heiligen von gestern sind heute die Führungskräfte in Organisationen. Das scheint mir suboptimal. Vielleicht sollte man Ihnen Namen geben und Bildchen drucken…? Ob sie je antworten werden, wage ich im einen wie im anderen Fall stark zu bezweifeln.
Organisationen eignen sich nur bedingt als Institutionen, die uns Menschen glücklich machen können. Die eigenen Erwartungen so zu managen, dass man nicht permanent enttäuscht ist, und die Adressaten nicht permanent überfordert, erscheint mir hingegen etwas, was man von sich abverlangen sollte. Gerade dann, wenn man glücklich sein will.
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