Vertrauen, Regelbruch, Ausnahme
Organisationen brauchen Anarchie, weil sie sonst an Regeln ersticken würden. Anarchie meint hier, dass es in Organisationen eine Überlastung der Hierarchie wäre, jede situationsgerechte Behandlung eines Problems als Ausnahme von einer Regel zu genehmigen. Organisationen brauchen die informell ausgeübte Kompetenz von Mitarbeitern Anweisungen, Prozesse, Kommunikationswege, Entscheidungsprogramme und Entscheider zu umgehen.
Das geht nur mit Vertrauen in diese Kompetenz und in die Kultivierung des informellen Bereichs von Organisationen. Informelle und inoffizielle Möglichkeiten Regeln zu interpretieren, zu ignorieren, zu vergessen , ohne dass dies automatisch als Illoyalität oder gegen die Organisation gerichtet interpretiert wird, muss als Leistung des organisationalen Systems angesehen werden.
Regelbrüche können erst recht nicht zentral gesteuert werden, weil dies das Vertrauen in die Hierarchie zu sehr erschüttern würde. Daher werden diese oft informell nach unten delegiert. Die oben dürfen davon offiziell nichts wissen. Auch dieser Vorgang wird üblicherweise pauschal moralisch als bedenklich interpretiert. Das ist aus systemtheoretischer Sicht differenziert zu sehen. Ohne diese Möglichkeit informeller Regelbrüche, wäre die Organisation in bestimmten Situationen, zu langsam, zu unflexibel, würde ungünstige Präzedenzfälle schaffen oder die Hierarchie ungünstig belasten. Dass solche Möglichkeiten Hierarchen zum Missbrauch einladen, Bauernopfer ermöglichen und ein Sich-aus-der-Verantwortung-stehlen begünstigen, steht außer Frage. Aber es hat eben beide Seiten und so werden eben auch beide Seiten von Organisationen genutzt.