Funktion des Pols „Verhandelnd“
Im Modus ‚Macht‘ werden Konfliktsysteme sehr leicht dysfunktional. Beispielsweise, wenn über (wechselseitige) Drohungen Feindbilder kultiviert werden, wenn Kräftegleichgewichte gepflegt, Umsetzungszwänge von Drohungen und damit Selbstschädigung aller Parteien praktiziert werden. So haben sich Verhandlungen seit jeher als eine Kommunikationskultur in Konflikten etabliert, die notwendig sind, wenn Drohungen nicht weiterhelfen.
Verhandlungen werden oft als Interessenausgleich interpretiert. Das ist auch eine ihrer Funktionen. Damit siedelt man sie allerdings auf der Sachebene an. Es spricht allerdings viel dafür, Verhandlungen als Phänome der Zeit zu verstehen. Verhandlungen (und ihre Ergebnisse) sollen Zeit „binden“. Zeit wird immer dann gebunden, wenn sich Entscheidungen stabilisieren und damit Gegenwart und Zukunft einander ähnlich werden – jedenfalls im Hinblick auf die zu verhandelnden Punkte. Deshalb stehen am Ende von Verhandlungen oft Verträge, in denen sich die Parteien zur Einhaltung (=Bindung) verpflichten oder über Dritte (z.B. Staatsmacht) zur Einhaltung verpflichtet werden. Diese Zeitstabilisierung ermöglicht neuen Ordnungsaufbau. Sie schafft für alle Beteiligten Planungsgrundlagen und Freiraum anderes als nur den Konflikt zu gestalten. Konflikte binden vieles gleichzeitig: Sachliche Ressourcen, soziale Aufmerksamkeit und eben zeitliche Verfügbarkeit: Alles dreht sich um den Konflikt.
Daher ist eine der Hauptmotivationen von Konfliktbeteiligten in Verhandlungen einzusteigen, die von den Lasten befreien, die Konflikte mit sich bringen. Es entsteht Aussicht auf Freiheit. Dies hilft den Beteiligten oft, die Verbissenheit loszulassen, mit der sie an sachlichen Überzeugungen und Anliegen festhalten, sowie die oft merkwürdige Destruktivität aufzugeben, mit der sie sich an seelischen Verletzungen und den darauf beruhenden Rachewünschen orientieren.