Vernunft und Wille
Seit alters her – genauer seit Aristoteles – sind Vernunft und Wille getrennte Bereiche im Menschen: Einerseits soll er die Welt erkennen, wie sie ist (und dabei sich möglichst nicht irren). Andererseits soll er das Gute wollen und tun (und sich dabei nicht beirren lassen. Noch bei Kant findet sich diese Teilung in der Unterscheidung von reiner und praktischer Vernunft. Auch in Organisationen – soziale Systeme, die richtige Entscheidungen und richtige Ziele erarbeiten sollen – sind von dieser alten (und überholungsbedürftigen) Auffassung geprägt. So investieren Organisationen einerseits viel Ressourcen in die Begründung von Entscheidungen und deren Faktenuntermauerung (Vernunft) und beschwören andererseits das „unternehmerische“ Wirken und Handeln, das erstrebte Ziele unbeirrt, risikonehmend und konsequent verfolgen soll. Auch so beliebte Unterscheidungen wie zwischen Management und Leadership gründen auf der Gegensetzung von Vernunft und Wille in der aristotelischen Metaphysik. Das ist das Prinzip, welches zum Problem führt, dass Menschen etwas wollen, was nicht vernünftig ist, und die Vernunft im Handeln oft so folgenlos bleibt. Man soll richtig finden, was man will, bzw. nur das Vernünftige wollen. Daher sollen Menschen ihre Leidenschaften mittels Vernunft kontrollieren und die Organisationen ihre Ziele rechnerisch überprüfen (Controlling!).
Diese Problemstellung verändert sich, wenn man Vernunft und Wille als zwei Möglichkeiten des Unterscheidens begreift, die auf keinen Überbegriff zurückgeführt werden können, sondern als Paradoxie versteht: Man kann eine Unterscheidung nicht benutzen (Wille) und gleichzeitig sie reflektieren (Vernunft). Alles, was getan wird, kann auch anderes getan werden (mit guten Gründen) und alles, was als wahr angesehen wird, muss etwas ausblenden (und ist daher kritisierbar). Es gibt weder das in sich Gute noch das absolut Wahre.