Teil 8/8 der Skizze einer Metatheorie der Teamdynamik (von Klaus Eidenschink)
Kann man Teams beraten?
Mit einer Antwort auf die Frage, ob sich Teams (als Teams) beraten lassen, werde ich die Serie über die Dynamik in Teams abschließen. „Natürlich kann man Teams beraten“, werden die meisten antworten! Meine Beobachtung als Supervisor ist allerdings oft eher die, dass meist Menschen in Teams beraten werden. Genauso oft lässt sich feststellen, dass Teams vorübergehend vom Berater beeinflusst, ja geführt oder belehrt und „auf Kurs“ gebracht werden. All das mag im Einzelfall zumindest nicht schädlich sein, ich würde es allerdings nicht als Beratung bezeichnen (siehe dazu ausführlich meine Artikelserie über „Wie funktioniert Beratung?“).
Will man ein Team als Team beraten, dann gilt es, ihm zu helfen, die Muster seiner Dynamik zu reflektieren. Setzt man umstandslos auf Verbesserung (der Kommunikation oder des Verhaltens), dann überspringt man die Reflexion des Status quo. Wer mit Verbesserungskonzepten arbeitet, wird blind für die bedeutsame Funktion dessen, was ist. So droht man normativer Experte („So werden sie ein Dream-Team!“) zu werden oder verbessert einzelne Teammitglieder zu mehr „Teamfähigkeit“. Beides ist aus dieser hier vertretenen Sicht deshalb problematisch, weil man über eine Norm – Dream-Team oder Top-Teamfähigkeit – kontextlos und menschenfrei bestimmt, was für dieses Team funktional oder dysfunktional ist. Dagegen führt eine Beratung, die auf die Selbstbeobachtung des Systems – hier also das Team – abstellt, zu einer Neubestimmung der Selektionen, die das jeweilige Team als Muster seiner Identität ausgebildet hat. (siehe dazu auch die Ausführungen über Erwartungen).1. Reflexion der Zielsetzung
(Der Artikel zur Teamdynamik der Zielsetzung findet sich hier)Es geht immer anders, als man gewählt hat. Sowohl die Haupt- wie Unterziele, Zwecke wie Mittel lassen sich potentiell variieren. Berät man ein Team oder berät es sich via Selbstreflexion selbst, dann beschäftigt man sich mit den verworfenen oder noch nie ins Kalkül gezogenen Zielen. Gerade jetzt in der Coronakrise beschäftigten sich viele Teams mit der Frage, welche Ziele müssen wir uns neu vornehmen, um unsere Arbeit weiter erledigen zu können? Plötzlich wurde das Risiko deutlich, das darin lag, wenig virtuelle Kompetenz zu haben. Es liegt – abstrakter formuliert – immer ein Risiko darin, dass ein Team oder ein einzelnes Teammitglied genau das tut und anstrebt, was es tut und anstrebt. Jeder Fokus blendet andere Möglichkeiten aus. Man treibt mit Inbrunst etwa die Optimierung des bestehenden Produkts voran und übersieht, dass man eine wesentliche Innovationsnotwendigkeit gar nicht auf dem Schirm hat. Mit der gut gelösten Aufgabe ist kein Blumentopf zu gewinnen, wenn es die unpassende Aufgabe ist. Es nützt nichts, das falsche Problem richtig zu lösen.
Die Reflexion darüber, was man entschieden hat, nicht zu tun oder zu wollen, unterbleibt sehr häufig und ist dabei so wichtig. Sonst macht man einfach so weiter wie bisher. Die Informationen darüber, was man ausgeblendet hat, gewinnt man entweder über Kunden oder aus (schwachen) Signalen im Markt, die auf veränderte Umweltfaktoren hinweisen, oder aber eben über Beratung. Es braucht einen Fokus auf Ausgeblendetes! Kompetente Berater stimulieren die Reflexion darüber und müssen an der Stelle unbequem sein können, da diese Beschäftigung immer das Gewohnte bedroht und herausfordert. In einer Welt, in der immer weniger klar ist, ob der gewählte Zielfokus noch passend ist, nimmt die Notwendigkeit für diesen Fokus allerdings ständig zu.
2. Reflexion der Interaktionsmuster
(Der Artikel zur Teamdynamik des Interaktionsmusters findet sich hier)- Welche Regeln leiten das Verhalten? Welche Regeln (anderer Teams) werden abgelehnt?
- Welche explizit formulierte Normen sanktionieren und belohnen Verhalten der Mitarbeiter? Welche impliziten lassen sich erschließen?
- Welche formellen und informellen Rollen lassen sich beschreiben? Welche Rollen sind unbesetzt oder werden als unwichtig erachtet?
- An welchen Ritualen erkennt man sich?
- Welche Werte werden geteilt? Welche werden gemeinsam abgelehnt?
- Was ist die Selbstdefinition des Teams?
- Welche typische Atmosphäre herrscht vor?
- Welche typischen Kommunikationsformen (Humor, Sarkasmus, Ironie, Anklagen, Beschwerden, Empörung, Beschönigung, Instruktionen, Befehle, etc.) werden genutzt? Welche werden nicht oder nur selten genutzt?
- In welcher Art und Weise werden Konflikte bearbeitet? Über welche Themen werden Konflikte ausgebildet? Über welche nicht?
3. Reflexion der Zielbearbeitung
(Der Artikel zur Teamdynamik der Zielbearbeitung findet sich hier)- In welchen regelmäßigen Aktivitäten kommt zum Ausdruck, dass wir sowohl Problemlagen wie Interessenlagen im Blick haben?
- Zu welchem Pol neigen wir im Konfliktfall? Verlieren wir eher die Akteure oder kommen wir zu ungünstigen Aktionen?
- In welchen Prozessschritten der Aufgabenbearbeitung (Erkennen, Verstehen, Entscheiden, Ausführen, Abschließen) haben wir Schwächen/Stärken?
- Wo sind wir kompetent oder inkompetent im Darstellen und Vertreten unserer Positionen?
- Wo und mit wem kommen wir – im Team und in der Organisation – in unfruchtbare und dysfunktionale Konflikte? Was tragen wir selbst dazu bei?
- Wo können wir unterschiedliche Standpunkte in Sachfragen nutzen und wo behindern uns diese?
- Wo in der Organisation werden wir als stur und mächtig, wo als weich und zu schwach angesehen?
- Mit welchen Akteuren in der Organisation findet zu wenig oder ungünstige Kommunikation statt?
- Welche schlechten Kompromisse haben wir in letzter Zeit zugelassen?
- Wo haben wir unnötig oder ungünstig Verliererdynamiken hervorgerufen?
- Wer hat uns gegenüber in welchen Situationen Rabattmarken angesammelt und könnte sich rächen wollen?
- Wo fehlt – innen und außen – Vertrauen (in welcher Hinsicht auch immer)?
Dabei ist insbesondere darauf zu achten, ob sich das Team einig ist oder nicht, ob die Führungskraft (sofern gegeben) eine andere Meinung hat als das Team, und ob der Berater andere Beobachtungen macht als das Team. Inkonsistenzen und Diskrepanzen sind häufig ein Hinweis für Dysfunktionalitäten, genauso wie vollkommene Einigkeit und gleichgeschaltete Ansichten.
4. Reflexion des Teamerhalts
(Der Artikel zur Teamdynamik des Teamerhalts findet sich hier)- Sind wir mit dem Klima im Team und der Art der Zusammenarbeit so zufrieden, dass jeder Lust hat seine Leistung zu erbringen und gern in die Arbeit geht? Wenn nicht, woran liegt das?
- Ist eines der sechs Grundbedürfnisse chronisch so ausgeschlossen, dass es dysfunktional ist? Wenn ja, wie zeigt sich dies?
- Sind wir auf eines der sechs Grundbedürfnisse so fixiert, dass es uns hindert angemessen andere Bedürfnisse im Team leben zu können? Wenn ja, was kommt darin zum Ausdruck?
- Geben wir Einzelnen zu viel oder zu wenig Einfluss, um ihre Interessen einzubringen?
- Achten wir angemessen darauf, für die Organisation die Leistung zu erbringen, die diese von uns erwartet?
- Sorgen wir dafür, dass die Anliegen der Organisation bei uns so aufgenommen werden, dass freundliches Entgegenkommen, Flexibilität, Verständnis und kritisches Nachfragen, Hinterfragen und eigene Interessenvertretung in einer passenden Mischung aufscheinen?
- Vertreten wir unsere Interessen so, dass wir das große Ganze im Blick haben oder drohen wir uns für partikuläre Interessen zu Lasten anderer Teams in der Organisation zu optimieren? Wenn ja, was sind dafür relevante Beispiele?
- Verärgern wir andere in der Organisation unnötig und so, dass schlecht oder ungünstig über uns gesprochen wird? Wenn ja, dient dies dem Wohl der Organisation?
- Stimmt die Mischung aus dem Verfolgen unserer Teaminteressen und den Organisationsinteressen? Würden wir das auch so sehen, wenn wir nicht Mitglieder dieses Teams wären?
Vielleicht wird an dieser Auswahl von Reflexionsmöglichkeiten deutlich, welchen Beobachtungsreichtum man sich erschließen kann, wenn man konsequent gegensätzliche Pole gedanklich im Spiel hält. Zudem wird die Wahrscheinlichkeit, dass man betriebsblind wird, geringer. So leicht kann ein Team nicht mehr selbstverliebt in den eigenen Mustern agieren, wenn es eine Theorie von Dynamik nutzt, in der es zu jeder Lösung eine Gegenlösung und zu jeder Lösung ein Problem gibt, das genau dadurch erzeugt wird.
5. Reflexion der Teamgrenzen
(Der Artikel zur Teamdynamik der Teamgrenzen findet sich hier)Eine Reflexion der Teamgrenzen kann in zweierlei Hinsicht – inhaltlich und prozessual – erfolgen.
Auf der inhaltlichen Ebene gehört die Reflexion der Teamgrenze mit zum Schwierigsten, was sich ein Team vornehmen kann. Denn dann stellt sich die Frage nach der personellen Zusammensetzung des Teams. Nicht zuletzt deshalb neigen Teams wie Organisationen dazu, die Reflexion dieser Fragen an den Teamleiter zu delegieren. Er/Sie soll entscheiden, ob jemand gehen muss oder wer dazu kommt. Dies entlastet das Team von anspruchsvollen gruppendynamischen Situationen mit der Konsequenz, dass im Team formale Hierarchie nötig wird. In Teams, welche diese nicht haben – manche Geschäftsführerteams, Gesellschafterkreise, familiäre Beiräte, auch manche Vorstände, Kooperativen, genossenschaftlich organisierte Teams, gewählte Gremien u.a.m. – kommen um eine Bearbeitung solcher Themen nicht herum. Hier empfiehlt sich so gut wie immer, dass derartige Dialoge moderiert werden. Andernfalls werden sie umgangen oder drohen zu eskalieren.
Die Teamgrenze auf der prozessualen Ebene wird dann reflektiert, wenn Unzufriedenheit mit der Art und Weise des Eintritts und des Ausscheidens eines Mitglieds entsteht. Oft – und oft unterschätzt – entsteht diese dadurch, dass die Vorgänge ausschließlich durch den Teamleiter gesteuert sind und die Gründe intransparent bleiben. Aber auch Phänomene wie, dass plötzlich jemand weg ist, ohne Dank verabschiedet wird, plötzlich jemand da ist und ohne richtige Begrüßung, Vorstellung und Einführung mitarbeitet, sind untrügliche Hinweise für Reflexions- und Beratungsbedarf. Aber auch ohne solche Vorgänge, sind Reflexionen im Hinblick auf Aufnahme, Einarbeitung und Integration einerseits und Ausscheiden, Kündigung und Verlust andererseits, unerlässlich, will man nicht mehr an Angst und Reibungsverluste erzeugen, als nötig ist.
6. Reflexion der Teamreflexion
(Der Artikel zur Teamdynamik der Teamreflexion findet sich hier)Das ist es auch und ist dennoch sehr wichtig. Wer den vorigen Artikel in dieser Reihe gelesen hat, ist dafür schon sensibilisiert. Führungskräfte wie selbstgesteuerte Teams drohen bei der Beschäftigung mit der Reflexion der Reflexion über Tabus, über Abneigungen, über Unvertrautes, über Ungeliebtes zu „stolpern“. In jedem Fall verlässt man die Komfortzone, da man ja nicht nur die Vertrautheit der Handlungsmuster, sondern auch die Vertrautheit der Deutungsmuster aufgibt. Die Verunsicherung, die bei der Frage „Wie schränken wir uns beim Nachdenken über unser Tun unpassend ein?“ auftritt, ist oft erheblich.
Man kann eine solche Selbstverunsicherung vermeiden und folgerichtig auch auf Beratung verzichten, doch dann drohen einem Team wichtige Aspekte seiner Wirksamkeit zu entgehen. Pragmatisch und am Tun orientierte Personen haben hier meist begreifliche Widerstände. In ruhigen und stabilen Zeiten darf man diesen auch nachgeben und alle in diesem Artikel vorgestellten Fragen mit gutem Gewissen auf sich beruhen lassen. In anderen Zeiten – und wo wären diese gegenwärtig nicht angebrochen – ist es fahrlässig.
Ein Team organisiert sich selbst. Immer. Gewissermaßen bleibt nichts liegen. Aber – und das ist ein wichtiger Unterschied – was sich selbst organisiert hat, kann sich deshalb nicht auch selbst steuern!!! Steuerung bedarf immer einer Reflexionsebene und einer Metakommunikation. Dies wird beim gegenwärtig häufig zu lesendem Lob der Selbstorganisation bisweilen übersehen. Man muss darüber sprechen, worüber man spricht, worüber nicht, worüber nicht mehr gesprochen werden soll und worüber man in Zukunft reden muss. Erst dann kann man auf bislang vermeintlich einfach „geschehende“ Phänomene Einfluss bekommen und dazu bewusste Entscheidungen treffen. So wird aus Selbstorganisation manifeste Selbststeuerung.
Fazit
Teamdynamik lässt sich nicht beherrschen. Sie wird vollzogen und ist vielen Einflüssen ausgesetzt, die unerkannt und unbenannt bleiben. Beratung von Teams ist die Kunst, die Hebel zu finden, die ein Team wirksamer und robuster werden lassen. Wirksamer im Hinblick auf seine Ziele, robuster im Hinblick auf die Erwartungen und die damit einhergehenden Enttäuschungen. Aus der Sicht dieser Überlegungen braucht es weder für die Organisation noch für die Mitglieder Dream-Teams. Es braucht Teams, die wissen, wie man durch Fehler besser wird und wie man gut Vertrautes und Neues zusammenbringt. Dabei helfen die sechs in dieser Artikelreihe vorgestellten Leitprozesse der Teamdynamik .
Im Übrigen: Wir starten im Herbst eine Fortbildung, die unser metatheoretisches Verständnis von Teamdynamiken in der Praxis lehrt. Mehr dazu hier.